Review Pensées Nocturnes – Grand Guignol Orchestra

Wer seinen Asterix studiert hat, weiß, dass der Gallier als solcher oder zumindest einige ausgewählte Exemplare gemeinhin für verrückt erklärt wurden. Vaerohn, der Kopf hinter PENSEES NOCTURNES, scheint in direkter Linie von den Unbeugsamen abzustammen – zum einen, da auch ihm ein gewisses Maß an Verrücktheit nicht abzusprechen ist, zum anderen, weil seine Produktivität und Kreativität den Verdacht nahelegt, dass er das wohlgehütete Zaubertrank-Rezept kennt: Mit „Grand Guignol Orchestra“ veröffentlicht er nun bereits sein sechstes Album in zehn Jahren. Jedes einzelne klingt, als habe er daran ein Jahrzehnt komponiert.

Wie nicht anders zu erwarten, hat sich Vaerohn PENSÉES NOCTURNES auch für dieses Album neu erfunden. Als musikalischen Schauplatz hat er sich diesmal ganz die Welt des Theaters, der Schaustellerei und des Zirkus zu eigen gemacht, die bereits auf  „Nom d’Une Pipe“ als Einfluss zu vernehmen war. Und dabei ein Stück Musik erschaffen, das selbst für seine Verhältnisse auf einem neuen Level verstörend ist. Das beginnt beim Titel „Grand Guignol Orchestra“, wohl angelehnt an das um 1900 eröffnete Horror-Theater „Théâtre du Grand Guignol“ in Paris, setzt sich im Artwork, das ebensogut einen Splatter-Film anpreisen könnte, und dem Bühnenoutfit der Band (durchweg überzeugenden Horrorclowns) fort und reicht bis in die Grundfesten der Musik hinein.

Hier wartet den aufgeschlossenen Hörer Black Metal im eigentlichen Sinne nur noch in Versatzstücken – stattdessen wirft Vaerohn Zirkusmusik, Chanson, Motown-Bläser, Gedonner und Apokalypse in die Manege und lässt daraus unter Zuhilfenahme von geradezu psychotischem Geschrei einen surrealen, verstörenden Soundtrack zu exakt dem Horrorfilm entstehen, von welchem man als halbwegs normaler Mensch wohl nur froh sein kann, dass er nie gedreht wurde.

Das Ganze ist – und das ist das eigentlich Absurde – einmal mehr so grandios wie zugleich quasi unzumutbar. Und gerade deswegen schlicht genial. In ihrer völligen Verrücktheit ergeben sämtliche Komponenten exakt dort, wo Vaerohn sie einsetzt, zu 100 Prozent Sinn. Und doch gilt es nach 47:40 Minuten erst einmal tief durchzuatmen, ehe man sich damit auseinandersetzen mag, was man da eben gehört hat. In Gänze nachvollzogen hat man es aber, soviel sei vorweggenommen, auch nach zehn Durchläufen nicht.

Denn wiewohl die Werke von PENSÉES NOCTURNES stets verschroben waren, setzt Vaerohn mit „Grand Guignol Orchestra“ auch dahingehend neue Maßstäbe: Stellenweise wirkt das Album durch das verquere, multiinstrumentale Arrangement tatsächlich und nicht nur scheinbar etwas chaotisch – um nicht das anmaßende Wort „unausgereift“ zu verwenden. Allein diesem vielleicht etwas spießigen Kritikpunkt ist es geschuldet, dass PENSÉES NOCTURNES mit „Grand Guignol Orchestra“ ihren bereits rekordverdächtigen Metal1.info-Score von bislang dreimal voller Punktzahl nicht um eins erhöhen können.

Mit der Zirkus-Thematik hat Vaerohn nicht nur für die Live-Shows seiner Truppe, sondern auch für das Konzept von „Grand Guignol Orchestra“ einen grandiosen Einfall gehabt, den er erwartbar verquer wie zugleich konsequent in die Tat umgesetzt hat. Wer bislang dachte, „Las Masquerade Infernale“ von Arcturus wäre verrückte Avantgarde gewesen, bekommt das Ganze von PENSÉES NOCTURNES nochmal in komplett wahnsinnig vorgeführt: Lieblich und liebenswert und doch hässlich und fast unerträglich zugleich, verschiebt „Grand Guignol Orchestra“ einmal mehr die Grenzen des musikalisch Denkbaren. Inwieweit man bereit ist, hier mitzugehen und sich darauf einzulassen, ist freilich auch diesmal jedem einzelnen überlassen.

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Wertung: 9.5 / 10

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2 Kommentare zu “Pensées Nocturnes – Grand Guignol Orchestra

  1. Hm… Also ich hätte das Cover/den Albumtitel mehr als Hommage ans Theater Grand Guignol in Paris verstanden, dass ja ebenfalls auf die Tötung und den Gore als Zirkusvorstellung setzte.

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