Review Porcupine Tree – Arriving Somewhere… (DVD)

Der erste Live-Mitschnitt von PORCUPINE TREE hat lange auf sich warten lassen – nun, nach 14 Jahren, gibt es erstmals Material von Steven Wilson & Co. auf DVD. Im Großen und Ganzen halte ich „Arriving Somewhere…“ für ein bestechendes Live-Dokument einer topaktuellen, angesagten Band, die den Sprung über den Szene-Rand schon längst geschafft hat und zunehmend auch im Mainstream-Markt Beachtung findet, was bei der Musik, die die Jungs produzieren, alles andere als üblich und normal ist.

Das zwei DVDs umfassende Paket ist in sich so perfekt, dass es manch einem vielleicht schon wieder zu perfekt erscheinen mag. Oder formulieren wir es etwas anders: PORCUPINE TREE treiben hier ihre Markenzeichen auf die Spitze, und gewiefte Beobachter der Band wissen, dass diese weit über die Musik hinausgehen. Wovon ich hier genau spreche? Lasst mich versuchen, dafür die richtigen Worte zu finden:

Das bandeigene Kunstverständnis, welches bei den eigenartigen, dunklen, verwaschenen CD-Booklet-Gestaltungen beginnt, dann in den Live-Shows mit den Animationen und Filmen seine Fortsetzung findet, ist schließlich in aller Pracht eines der Hauptmerkmale der Konzert-Aufzeichnung. Das hier ist nicht nur ein Mitschnitt, das ist ein Kunstwerk. Ob die Band über ihr eigenes Ziel hinausstößt, muss dabei der Betrachter entscheiden. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass nicht alle Zuschauer rasante Kameraschnitte begrüßen, die in der Regel maximal 5 Sekunden lang auf einer Einstellung verharren. Der Fokus liegt klar bei Steven Wilson, andere Bandmitglieder werden deutlich weniger gezeigt. Ebenso fragwürdig ist, ob ein Konzert an Tiefe und Atmosphäre gewinnt, wenn andauernd mit verschiedenen Effekten, wie Grauton-Bildern, die zudem mit Rauschen oder Kratzern übersäht sind, gearbeitet wird – oder das Bild in verschiedene Farbtöne getaucht und anderweitig nachbearbeitet wird. Für PORCUPINE TREE gehört das zu ihrem eigenen, äußerst ausgeprägten Kunstverständnis.

Dieses Verständnis geht sogar so weit, dass Steven Wilson bis zu dem Zugabenteil des Konzerts lediglich etliche „Thank You“-Sprüche hervorbringt, ansonsten passiert an Interaktion mit dem Publikum leider gar nichts. Man mag den Eindruck gewinnen, dass die Band zu denjenigen Acts gehört, die sich für zu intellektuell, cool und abgeklärt halten, um mit ihrem Publikum zu kommunizieren. Damit reihen sie sich in die Riege von Gruppen wie Tool ein. Ich finde es einfach wichtig, dass man nicht nur die Musik einer Band mag, sondern auch eine wie auch immer geartete Beziehung zu ihren Mitgliedern aufbauen kann. Und da kommen mir persönlich Wilson & Co. mit ihrem unterkühlten Auftreten so gar nicht recht, erst recht dann nicht, wenn es um so emotional mitreißende Musik wie die von PORCUPINE TREE geht. Wir reden hier doch von Menschen, nicht von Maschinen, die Playback abspielen! Die Performance an sich ist allerdings über jeden Zweifel erhaben (sehen wir mal von der einzigen wirklich lebhaften Szene im Konzert ab, nämlich „Trains“, bei dem Wilson die Gitarrensaite reißt….), nur eben zu distanziert und routiniert – einzig Drummer Gavin Harrison geht wirklich aus sich raus und ist der einzige Musiker in der Band, dem man Passion, Freude und Spaß ansieht. Zudem ist er mehr als wohl allgemein festgehalten für die Dynamik und Atmosphäre in der Musik der Band verantwortlich. Er erst bringt Farbe, Progressivität und Abwechslung in den über eine Konzertdauer doch recht monoton wirkenden Sound der Band. Hierzu höre man beispielweise die fantastische Version von „Hatesong“. Das ganze Gegenteil ist Keyboarder Richard Barbieri, der nichts anderes tut, als dauerhaft gelangweilt zu sein, weil er nur für wahlweise psychedelisch-spacige oder noisige Hintergrundsounds verantwortlich ist. Wirkliche Melodieläufe und Tonfolgen hören wir von ihm nicht, sieht man mal von „Lazarus“ und vereinzelten, anderen Passagen ab.

Die Setlist und der Sound der Show, die übrigens am 11. und 12. Oktober 2005 in Chicago aufgenommen wurde, ist absolut großartig und hat Referenzwert, wobei man sich natürlich auf die neueren, weniger psychedelischen und ausfallenden Tracks der letzten beiden Alben konzentriert hat. Auch vom Umfang her kann man sich nicht beklagen: Obendrauf gibt es eine nette Bonus-DVD mit zwei Tracks vom WDR Rockpalast-Gig („Futile“, „Radioactive Toy“), den Promoclip zum fantastischen „Lazarus“ sowie Konzert-Animationen zu drei Tracks und den lustigen, absolut sehens- und hörenswerten „Cymbal Song“ von Gavin Harrison. Eine Fotogallerie und eine tolle Verpackung runden das Package ab.

Vielleicht ist es euch aufgefallen: Ich liebe die Musik der Band, doch ihre Attitüde zum eigenen, doch so „neuen, großartigen und intellektuellen“ Sound gefällt mir einfach überhaupt nicht. Sie gehören zu den größten progverwandten Bands der letzten Jahre, und das mit Recht. „Arriving Somewhere…“ ist absolutes Pflichtprogramm für jeden Anhänger der Band und perfektioniert das Genre „Konzert-Film“; ein inszeniertes, durch und durch geplantes Konzerterlebnis, dass eben aber so kalkuliert daherkommt, dass es mir eine Spur zu perfekt und leblos ist. Bewertet man rein objektiv, gehört das hier zu den besten Musik-DVDs, die ich kenne. Doch für meinen persönlichen Geschmack wäre „etwas weniger“, etwas bodenständiger hier mehr gewesen. Und da es in letzter Konsequenz immer noch um die Musik geht, werde ich die Alben der Band dieser Veröffentlichung in Zukunft vorziehen. Die Bewertung fällt mir hier recht schwer, doch mit Rücksicht darauf, dass meine Kritikpunkte wirklich allerhöchster Subjektivität und persönlichem Geschmack unterliegen, vergebe ich eine unverfälscht objektive Höchstwertung.

Wertung: 9 / 10

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