Review Respire – Black Line

2020 ist in jeder Hinsicht ein fürchterliches Jahr, auch für die Musikwelt. RESPIRE dienen hierzu als Paradebeispiel: Seit mehr als zwei Jahren arbeiten die sechs Musiker*innen aus Toronto an ihrem dritten Album, das nun während einer Pandemie das Licht der Welt erblickt und nicht betourt werden kann. Die Erfolgsmeldung, einen Vertrag bei Holy Roar unterschrieben zu haben, wurde von den Missbrauchsvorwürfen an den Labelbetreiber ein paar Tage später zunichtegemacht. RESPIRE verließen (wie nahezu alle Bands) das Label, der geplante Release musste verschoben werden. Kurz vor Jahresende ist es nun aber so weit, und „Black Line“ kann auf Church Road Records erscheinen. Mit ihrer Mischung aus Screamo, Post-Rock, Black Metal und orchestralen Elementen bringen RESPIRE dieses verfluchte Jahr mit einem Knall in die Zielgerade.

Noch mehr als auf den beiden Vorgängern setzen RESPIRE mit „Black Line“ ganz auf das Albumkonzept. Zwar stechen einzelne Songs hervor, doch alle neun Songs sind eindeutig als ein Ganzes konzipiert ist und wollen auch als solche gehört werden. Dabei gelingt den Musiker*innen das Meisterstück, gleichzeitig düsterer und brachialer, aber in all der Verzweiflung dennoch hoffnungsvoller und harmonischer zu klingen als auf „Gravity And Grace“ von 2016 und „Denouément“ von 2018.

Wenn „Tempest“ nach einem ruhigen Intro als brutaler Klumpen Black Metal beginnt und nach einem wahren Dauerfeuer an Blastbeats und Gebrüll plötzlich nahezu zum Stillstand kommt, nur um sich danach in fast schon schwindelerregende Harmonien emporzuschrauben, ist das ganz großes Kino. Ähnliches gilt für das strukturell zwar ähnlich konzipierte, musikalisch aber stärker im Crust und Hardcore verortete „Cicatrice“. Immer wieder lassen RESPIRE auf „Black Line“ auch Einflüsse von Godspeed You! Black Emperor anklingen. Das macht sich zum einen in den Streicher- und Bläsermelodien und ihren fast schon majestätischen Crescendi bemerkbar, zum anderen aber auch in Form kleiner Samples und Interludes, die das dritte Album der Kanadier*innen durchziehen.

Auch wenn RESPIRE über „Black Line“ hinweg ähnliche Songstrukturen darbieten, kommt die Abwechslung nicht zu kurz. Am Ende von „Embers To End“ bauen RESPIRE beispielsweise einen brachialen Breakdown ein, der auch Bands wie Code Orange gut zu Gesicht stünde. Direkt danach klingt die Band in „Flicker And Faint“ fast schon zerbrechlich, wenn harmonischer Gesang in den Fokus rückt und die Hardcore-Elemente zurückgefahren werden. In dieser rhythmischen Diversität sowie in der Mischung aus Harmonie und Dissonanz, aus Verzweiflung und Hoffnung wecken RESPIRE Erinnerungen an Envy und Deafheaven.

Dieser mächtige und gleichzeitig fragile Eindruck von „Black Line“ wird auch durch die kristallklare, druckvolle und detaillierte Produktion unterstützt. Am deutlichsten wird dies am Gesang: Egin Kongoli und Rohan Lilauwala wechseln zwischen gutturalem Brüllen und verzweifeltem Kreischen hin und her, schieben ihre Stimmen in den Vordergrund, nur im nächsten Moment verhallt aus der hintersten Ecke des Studios aufzutauchen.

„Black Line“ ist ein Meisterwerk des emotionalen Post-Hardcore, mit dem RESPIRE sich vor ihren musikalischen Vorbildern verneigen und nach zwei sehr guten Alben ihren eigenen Sound perfektioniert haben.

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Wertung: 10 / 10

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