Review Rohner, Bertolotti, Rutten – Under The Skin Of Rock’n’Roll

Am Anfang stand die Idee der Kollegen von sounds2move, eine Schwerpunktreportage über die Tattoo-Kultur in der Rock- beziehungsweise Metalszene zu verfassen. Die Resonanz der Leser, aber auch der dazu interviewten Musier und Tätowierer war so groß, dass man sich recht bald entschloss, es nicht bei einer Online-Reportage zu belassen, sondern das Thema in voller Ausführlichkeit in Buchform abzuhandeln. Herausgekommen ist „Under The Skin Of Rock’n’Roll“.

„Under The Skin Of Rock’n’Roll“, das sind dabei knappe 400 Seiten, gefüllt mit Hintergründen, Interviews und – natürlich – Photos, eingeteilt in übersichtliche vier Kapitel: Eine Einführung mit Hintergründen zum Thema, ein Abschnitt mit Interviews, in dem Musiker ihre Einstellung zu Tattoos und ähnliches verraten, ein zweiter Interviewblock, der sich diesmal mit der Gegenseite, den Tattoo-Künstlern selbst, beschäftigt, sowie ein letzter Abschnitt in welchem Szenekenner zur Sprache kommen, die zwar selbst zu keiner der beiden Seiten gehören, aber dennoch etwas zu dem Thema zu sagen haben. Dass alle Interviews exklusiv für dieses Buch geführt und somit nur in diesem nachzulesen sind, sollte sich dabei von selbst verstehen.
Da es sich bei diesen vier Abschnitten um sehr eigenständige, in sich geschlossene Teile handelt, sollte auch auf jeden mehr oder weniger ausführlich eingegangen werden – warum also nicht gleich die Gliederung beibehalten…
so here we go:

Im ersten Abschnitt werden, wie bereits angesprochen, Hintergründe zum Thema Tattoo im Allgemeinen, aber auch zu Tattoos im Rock/Metal, beleuchtet. Sicherlich, vieles davon ist nicht gerade die Offenbarung – dass Tattoos bei schlechtem Hygienestandart im Studio ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko darstellen, dürfte beispielsweise wohl jedem schon vorher klar gewesen sein. Dennoch bietet dieser Abschnitt viele interessante Aspekte: Hätte beispielsweise Seventh Avenue-Sänger Herbie Langhans dieses Buch früher in Händen gehalten, hätte er („Ich kann mit meinem Tattoo auf gewisse Weise auch ein Christliches Statement mit einbringen“) gewusst, dass die Kirche bereits im Jahre 787 Tätowierungen jeglicher Art ächtete, in dem sie sich auf – wer hätte es gedacht – das Alte Testament berief: „… auch sollt ihr euch nicht Zeichen einritzen; ich bin der Herr“ (3. Mose 19,28; den logischen Zusammenhang lasst euch bitte von jemand Anderem erklären). Die einzelnen Aspekte sind dabei in in sich geschlossenen Ein-Seiten-Essays abgehandelt, so dass man auch bequem einen Abschnitt auslassen könnte, so man sich denn für das jeweilige Thema nich begeistern kann.
Die Ausführungen zur Geschichte des Tattoos sind recht interessant, angenehm zu lesen und durch Musikerzitate aufgewertet – viele der anderen Abschnitte kann man jedoch getrost überblättern, da sie wenig erkenntnisbringend sind: „Ein Tattoo sollte einem selber gefallen und man sollte sich ein Tattoo auch nur dann stechen lassen, wenn man es auch wirklich selber möchte“. Aha.
Auch stellt sich die Frage, ob „Die Qual der (Motiv)wahl“ wirklich in einem Buch wie diesem als eigenes Thema abgehandelt werden muss, oder ob schlicht jeder selbst entscheiden sollte, welche und wie starke Beweggründe er für ein Tattoo hat bzw. braucht, sollte zumindest angezweifelt werden: Sätze wie „Man sollte tunlichst darauf achten, dass ein Tattoo bzw. die Stelle, an die es gestochen wird, die eigene Persönlichkeit widerspiegelt und dass man erläutern kann, wieso man sich für das jeweilige Motiv entschieden hat“ könnten ebensogut in einem „Das richtige Tatto-Motiv“-Check der Bravo stehen, sind (mitunter deshalb) aber weder sehr Rock’n’Roll, noch so allgemeingültig, dass sie in einem Buch wie diesem als Quintessenz einer ganzen Seite stehen sollten.

Fazit: Als Einleitung in Ordnung, mit Abstrichen recht interessant und dank der guten Gliederung problemlos nur in Ausschnitten zu lesen.

Mit Teil zwei kommt man zum Hauptbestandteil des Buches: Über 370 Seiten erklären Musiker aus allen Genres des Metal- bzw Rock ihre Einstellung und Sichtweise zum bzw. auf das Thema „Tattoo“. Sicherlich, nicht jeder wird mit jedem Interview-Text beziehungsweise Musiker etwas anfangen können – aber dafür ist die Zahl der befragten Musiker ja hoch genug, als dass jeder genug seiner „Helden“ wiederfinden wird. Denn nicht nur die Zahl der beteiligten Musiker ist beachtlich – auch der Promi-Faktor könnte kaum höher sein: Ob AMON AMARTH, EXODUS, AGNOSTIC FRONT, DISTRUBED, STONE SOUR, MERVENARY, IN FLAMES, CRADLE OF FILTH, TRIVIUM, SEPULTRUA oder DARK FUNERAL – Heroen aus nahezu jedem Genre konnten für ein Interview gewonnen werden.Sehr gut finde ich dabei, dass die Interviews vollkommen genre-gemischt und somit sehr abwechslungsreich angeordnet sind. So findet wohl fast jeder in relativ regelmäßigen Abständen Interviews mit Musikern aus dem favorisierten Genre, dazwischen erweisen sich oft auch die Interviews mit Musikern, deren Bands nicht den eigenen Geschmack treffen, als sehr interessant.
Lustige Anekdoten mischen sich hier mit dem Versuch, Einstellung oder Lebensphilosophie zu erklären. Wenn man keine Lust hat, seitenweise die Meinung von Leuten zu lesen, die man nicht einmal kennt, kann man aber ja immernoch weiterblättern oder sich vom Inhaltsverzeichnis leiten lassen.
Dabei sollte jedoch klargestellt werden, dass hier nicht vornehmlich auf die einzelnen Tattoos der Künstler eingegangen wird, sondern die Einstellung des Musikers zum Thema „Tattoo“ im Allgemeinen im Mittelpunkt steht: Hierzu wird jedem ein (an den jeweiligen Musiker angepasster) Fragenkatalog unterbreitet – und je freier dieser gehalten ist, desto interessanter sind die Gespräche: Denn wenn man ehrlich ist, gibt es auf die Frage, was an Tattoos fasziniert, ob Tattoos heute nurnoch Trend sind und ob man die Suicide Girls kennt, nur eine begrenzte Anzahl sinnvoller Antworten, was dazu führt, dass sich diese nach zehn gelesenen Interviews zu wiederholen beginnen. Da der Interview-Abschnitt aber wohl nicht unbedingt darauf ausgelegt ist, am Stück und in voller Länge verschlungen zu werden, macht das eigentlich nicht viel aus. Interessanter, da meist individueller beantwortet, sind die Fragen zu den Tattoos der Musiker, ihren Erfahrungen, Vorlieben und ähnlichem. Hier fehlt es leider bisweilen an Anschaulichkeit, da nur wenige Detailaufnahmen gezeigt werden. Es ist klar, dass es sicherlich rahmensprengend gewesen wäre, jeden Musiker mit all seinen Tattoos abzulichten und diese von ihm erklären zu lassen… aber zumindest die persönlichen Highlights hätten schon abgebildet sein können.

Suboptimal am Layout : Schlampig gesetzte Umbrüche (ja, Kleinigkeit, aber trotzdem) und wenig aussagekräftige Bilder: Zumeist sieht man nur ein Portrait des Musikers, gelegentlich einige Detailaufnahmen seiner Tattoos, bis auf wenige Ausnahmen in schwarz-weiß. Sicherlich ist es immer eine Kostenfrage, aber dennoch kann man nicht leugnen, dass hier Farbbilder und Glanzpapier in Kombination mit einigen Detailaufnahmen Wunder gewirkt hätten.

Der dritte Abschnitt ist im Verhältnis dazu sehr kurz gehalten und befasst sich auf etwa 40 Seiten mit einigen ausgewählten „Tätern“ und deren Ansichten über ihre Kunden, Tattoos und die Tattookultur im Wandel der Jahre. Hierbei werden ausgewählte Tätowierer bezogen auf ihre Lieblingsstile, ihre Berufseinstellung, Erfahrung mit Musikern und Ähnlichem befragt. Da die Interviews recht individuell geführt sind, gibt es hier weniger Standard-Antworten, all zu viel mit Rock/Metal hat dieser Teil allerdings nicht zu tun… für Tattoo-Fans sicherlich interessant, zumal die ausgewählten Künstler durchaus als Szenegrößen zu betiteln sind, für den Metaller oder Rocker, der sich mehr für Tattoos im Metal/Rock interessiert, jedoch eher belanglos. Etwas schade, dass ausgerechnet in diesem Teil Farbbilder zum Einsatz kommen: Sicherlich, die Werke der Künstler in Ehren, aber wenn ich x-beliebige bunte Tattoos sehen will, kauf ich mir ein Tattoo-Magazin … da wären die Tattoos der Musiker definitiv interessanter und von zentralerer Bedeutung gewesen.

Teil vier hingegen füllt die letzten 20 Seiten des Werkes mit Gesprächen mit Personen, die zwar weder Musiker noch Tätowierer sind, aber dennoch in der Szene eingebunden sind – der Autor Stiff Chainey beispielsweise oder Metal-Pfarrer Pastor Bob. Liest man diesen Abschnitt gesondert oder schmökert hier quer, findet sich auch so manch interessante Passage. Macht man allerdings den Fehler, in nach einem langen Musiker-Interviewblock zu lesen, leidet er etwas darunter, dass hier erneut der gleiche Fragenkatalog herausgeholt wird, mit dem schon die 370 Seiten Musikerinterviews bestritten wurden und auch hier die Bandbreite der Antworten nicht weiter gefächert ist.
Dass als letztes noch Missy Suicide, Begründerin der Suicide Girls, zu Wort kommt, war irgendwie vorherzusehen, nachdem diesem meiner Meinung nach nicht sonderlich spektakulären Projekt in nahezu jedem Interview die Frage gewidmet war, ob der Musiker denn die SG kenne und wie er sie finde. Reichlich überflüssig meiner Meinung nach.

„Under The Skin Of Rock’n’Roll“ ist ein sehr umfangreiches Werk zu einem noch viel umfangreicheren Thema. Wie immer mussten die Redakteure auch in diesem Fall entscheiden, wie sie dieses Thema abdecken wollen… und haben sich dafür entschlossen, möglichst viele Musiker in kleinen Interviews zu befragen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Viele vergleichbare Interviews, die viele Fans untschiedlichster Metal-Sparten ansprechen und ein möglichst breit gefächertes Bild der Tattoo-Kultur in der Rockmusik bieten sollen. Das Problem dabei ist, dass die Rechnung so nicht ganz aufgeht, da sich durch die so gebotene Kürze der einzelnen Gespräche, aber auch durch die oft mehr als belanglosen Antworten der Musiker oft etwas nichtssagende Interviews mit wenig individuellem Charakter ergeben haben, die sich wohl problemlos untereinander austauschen ließen, ohne dass einem der beiden betroffenen Musiker etwas in den Mund gelegt würde, was dieser nicht selbst genauso ausgedrückt hätte. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, einige wenige populäre Künstler ausführlicher zu interviewen, da man so die Wiederholungsgefahr sowie Oberflächlichkeit der Antworten eingedämmt hätte.
Dazu kommt, dass die optische Aufmachung ob der leider teils wenig aussagekräftigen Bebilderung nicht grade optimal ausgefallen ist: Hauptsächlich Portait-Photos in einem Buch über Tattoos, dafür nur rudimentäre Detailphotographien der wirklich interessanten Hautabschnitte…

„Under The Skin Of Rock’n’Roll“ ist ein Buch von Fans für Fans, eine fixe Idee, die Ausmaße angenommen hat, die nur in Buchform zu kontrollieren waren, und dennoch vielleicht etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Ein „Problem“ sehe ich vielleicht in der fehlenden Zielgruppe: Tattoofans werden ob des Bildermangels bzw der niederen Qualität so mancher schwarz-weiß-Aufnahme enttäuscht sein, zumal die anderen Kapitel für solche Leute wohl wenig Neues zu bieten haben. Metaller und Rocker, die die Einstellung ihrer Idole zu Tattoos lesen wollen, werden eventuell ob der Kürze der Interviews und der vielen standartisierten Fragen, auf die meist Standart-Antworten folgen, enttäuscht sein – bleibt nach der Lektüre schlicht nicht das Gefühl, sonderlich viel Informationen erhalten zu haben.
„Under The Skin Of Rock’n’Roll“ ist somit sicherlich nicht der packende Urlaubs-Roman oder das Buch, das einem schlaflose Nächte beschert – für kurzweilige Unterhaltung zwischendruch, sowie einige kleinere Überraschungen ist es jedoch immer gut.

Keine Wertung

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