Review Sigur Rós – Hvarf / Heim

„Hvarf / Heim“ ist eines dieser Alben, auf die man Monate lang wartet, die letzten Tage vor der Veröffentlichung in einer immer größer werdenden Vorfreude ist, die sich dann letztendlich beim Öffnen der Hülle und dem danach folgenden allerersten Durchlauf entlädt. Richtig, man konnte alle Titel bereits auf MySpace vorab anhören, doch das ganze Ambiente, eben sich richtig Zeit für die Musik zu nehmen und die CD samt Booklet in der Hand zu halten ist doch ein ganz anderes. Darüber hinaus ist SIGUR RÓS für mich persönlich auch eine ganz besondere Band, die ich über alles schätze, da sie mich in sehr wichtigen Situationen mehr als nur begleitet hat. Mein persönliches Weihnachten ist also dieses Jahr auf den 02. November gefallen.

Denn „Hvarf / Heim“ wird zusammen mit „Heima“, der ersten DVD der Isländern, veröffentlicht, doch dies hier soll trotzdem viel mehr als nur ein dazugehöriges Schwesteralbum sein. Das macht schon die Tatsache deutlich, dass keines der Stücke in den jeweiligen ganz eigenen Versionen auf den beiden CDs auch auf der DVD so zu hören ist. Wie der Titel schon andeutet ist es ein Doppelalbum, das auf der einen Seite („Hvarf“) drei vollkommen unveröffentliche Stücke, sowie Neuaufnahmen der Stücke „Von“ und „Hafsól“ beinhaltet, und auf der anderen Seite („Heim“) fünf akustische Versionen von Titeln aus allen vier bisher veröffentlichten Alben.

Mit welcher Seite des Doppelalbums man nun die Reise beginnt bleibt jedem selbst überlassen. Letzten Endes ist dies die einzige Entscheidung, die man selbst treffen muss. Den Rest des langen Weges wird man von SIGUR RÓS an einer unsichtbaren Hand geführt, die einem das Gefühl von Schwerelosigkeit gibt und alles ganz leicht erscheinen lässt. Ich beginne mit „Salka“, einem Lied, das nach Georgs ältester Tochter benannt ist, und lasse mich bereits nach wenigen Sekunden fallen. Ich lande ganz weich, ohne jemals Angst gefühlt zu haben. Ein wenig wie ein kleines Lämmchen, das seine Nase in das wohlig warme und weiche Fell seiner Mutter steckt und sich ganz dicht an sie heran kuschelt und sich freut, dass sie immer für es da sein wird. Ist überglücklich noch steigerbar? Ja, ich meine schon, denn „Hljómalind“ verkörpert mehr als die Studioaufnahme von „Rokklagið“, das auf Konzerten sehr selten gespielt und nie veröffentlicht wurde. Man mag bei diesen Song den Einwand erheben, dass er zu einfach gestrickt sei, doch solch viel zu rationalen Dingen wie Aufbau, schenke ich keine Beachtung. Es ist mir egal, es zählt einfach für mich nicht. Ich würde SIGUR RÓS auch lieben, wenn sie nur mit zwei einzelnen Tönen die Welt verzäubern würden und die Wirkung von „Hljómalind“ ist schlichtweg ergreifend. Womöglich einer der kraftvollsten Titel, der jemals von der Band komponiert wurde, ohne aber den Hörer zu erdrücken. Im Gegenteil: Er befreit wie kaum ein anderer, geht direkt ohne einen Umweg ins Herz, umschließt es ganz sicher, so dass es keine Angst haben muss zu fallen, auf einer Reise die es in unbegreifliche Höhen führt oder um es mit anderen Worten zu sagen: Ich liebe dieses Lied!
Werf mich in die Luft, lass mich fliegen, fang mich auf und lass mich nie wieder fallen! „Í Gær“ ist da ein fast schon notwendiger Kontrast, der wesentlich nachdenklicher wirkt als die einleitenden beiden Stücke. Es ist Musik, die cineastischen Anspruch hat und gleichzeitig atmet. Ein sechseinhalbminütiges Kopfkino, genau zum richtigen Zeitpunkt, dem zwei bereits bekannte, jedoch vollkommen überarbeitete Stücken aus dem allerersten Album der Band mit dem Namen „Von“, was so viel wie Hoffnung heißt, folgen, um „Hvarf“ abzuschließen. Über die Qualität beider Stücke muss man nur sehr wenige Worte verlieren, denn es sind mit die beiden großartigsten Titel aus der Frühphase der Band: Der Titelsong „Von“ und „Hafsol“. Die Überarbeitung von ersterem ist kaum zu glauben, schlichtweg phänomenal. Weicher, nichtmehr ganz so verkopft und noch lebendiger ist es geworden. Das abschließende „Hafsol“ steht hierzu im Kontrast. Sehr verkopft, sich nur ganz langsam öffnend, mehrere Durchgänge erfordernd. Man experimentiert hier beispielsweise damit den Bass mit einem Drumstick zu spielen. Es gelingt.

„Heim“ war die Seite des Albums, auf die ich noch eine kleines, vielleicht nichteinmal messbares, aber trotzdem selbst subjektiv wahrnehmbares Stückchen mehr gespannt war. Die Liste der Songs, die in einem akustischen Kleid dargeboten werden liest sich als hätten die Isländer sie direkt aus meinen Träumen abgeschrieben. Eine Beschreibung der Songs an sich erscheint fast überflüssig. Nach dem sanften Einstieg mit Jonsis „E-Bow“ strahle ich, mein Lächeln setzt fast gleichzeitig mit der sanften, immer wieder zirkulierenden Pianomelodie von „Samskeyti“ ein, die hier noch deutlicher im Vordergrund steht, fast härter wirkt, aber trotzdem beruhigend. Ein ähnlicher Effekt stellt sich auch bei Starálfur ein. Hier war ich besonderes skeptisch. Es ist ein Lied wie kein zweites, mit einer einzigartigen Sonderstellung ausgestattet. Ich muss zugeben ich bin verblüfft von dieser Version. Sie unterscheidet sich marginal von der originalen und doch in ihrer eigenen Art und Weise sehr. Kräftiger und trotzdem mit grenzenlosem Gefühl. An jeder einzelnen Note, jeder Schallwelle möchte man hängen bleiben und nie wieder loslassen.
Sieht man die Isländer auf der Bühne stehen, reibt man sich nur verwundert die Augen. Sind Menschen wirklich fähig so eine wundervolle Musik zu erschaffen? Ja, sie sind es scheinbar, auch wenn nur sehr wenige Bands es schaffen wirklich das Herz der Menschen zu berühren. Die eigenen Tänze durch vor lauter Schönheit fast schon unwirkliche Welten, nach denen man sich im Innersten so sehnt, hat man noch einmal neu eingehüllt. Eine krampfhafte Verbesserung hätte mich nicht zufrieden gestellt, doch diese ganz behutsame Herangehensweise, mit ganz viel Vorsicht und dem Gespür für die wichtigen Details, schafft mehr als mich „nur“ zu überzeugen und trotzdem möchte man aber die Originale der Stücke nie missen.

Die Musik von SIGUR RÓS ist mit Worten kaum zu erfassen. Hier werde ich mich wohl immer wiederholen. Keine Band schafft es mich von einem Moment auf den anderen derart glücklich zu machen, so dass ich alle Sorgen, für die Zeit so lange ihre Musik erklingt und noch ein gutes Stück danach, einfach ausblenden kann. Realitätsflucht ist ein negativ klingender Begriff für so etwas Schönes. Auch „Hvarf / Heim“ ist über jegliche Kritik erhaben. Es besteht aus zwei einzelnen Hälften, die jede für sich auch ein eigenes Cover besitzen, und bildet trotzdem ein homogenes Ganzes. Was gibt es schöneres als Menschen mit Musik glücklich zu machen? SIGUR RÓS scheinen dies ganz genau zu wissen und erschaffen nicht einfach nur ein Best-Of oder eine normale Live-CD zum ebenfalls beeindruckenden Film „Heima“, sondern gehen auch hiermit ihren eigenen, unverkennbaren Weg. Eine Wertung in Zahlen, die mir sowieso sekundär erscheint, möchte ich nicht vornehmen, da es sich auch nicht um ein reguläres Album handelt. Kauft „Hvarf / Heim“, hört es euch immer wieder an und träumt ohne euch dafür zu schämen als wärt ihr ein Wolkenschaf am Himmel auf seiner Reise.

Keine Wertung

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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