Review Tempestt – Bring ‚Em On

Wer denkt an Brasilien, wenn er heute den Begriff „Progressive Metal“ hört? Die Zahl dürfte sich in Grenzen halten. In der Vergangenheit sah es allerdings noch um Einiges schwieriger für Bands der härteren Gangart aus. Diese Erfahrung mussten auch TEMPESTT aus São Paulo machen, als sie zu Musizieren begannen. Mit Coverauftritten von Journey, Europe, Queen und Dream Theater verdienten sich die vier ihre ersten Sporen und werkelten bald an eigenem Material. „Bring ‚Em On“ heißt ihr Debüt, das ich heute in den Händen halten darf, und wurde vom Latin Grammy Gewinner Adriano Daga produziert.

Vom Song „Faked By Time“ eröffnet, sagt „Bring ‚Em On“ noch nicht viel mehr aus als: „Schaut mich an, ich hab Gitarristen, die tolle Soli spielen können und wirke durch und durch melodisch.“ Bjs Gesang erinnert dabei an Dream Theaters Kevin LaBrie, lässt aber noch nicht tiefer blicken. Wer zuvor noch meinte, hier typischen 08/15-Progressive Metal vor sich zu haben, hat geirrt – und wie. Das gesangliche Repertoire des Brasilianers umfasst nämlich nicht nur den geschmeidig-hohen Gesang; er kann auch röhren wie ein Rasenmäher. Dabei legt er neben einem unglaublichen Stimmvolumen auch eine beeindruckende Vielschichtigkeit an den Tag, die dem Gesamtwerk „Bring ‚Em On“ einen deutlich eigenwilligeren Charakter einverleibt, als Anfangs angenommen. Wüsste man nicht, dass es sich hierbei um das Debüt der Jungs handelt – man würde es schlicht und ergreifend nicht für möglich halten.

Titel wie „A Life´s Alibi“, „Too High“ und „Fallen Moon“ regen nicht nur textlich zum Nachdenken an, sondern laden geradezu zum Dahinträumen ein. Ruhige Pianopassagen, der verträumte Gesang und die technisch herausragenden Gitarren-Arrangementes verbunden mit dem atomuhrgenauen Rhythmusspiel von Drummer Edu Cominato und Paulo Soza am Bass bauen ein unglaublich dichtes Klangwerk auf. Der gelungene Sprung von metallischer Härte und progressiven Spielereien auf höchstem Niveau zieht sich wie ein roter Faden durch „Bring ‚Em On“ und ist nahezu in jedem Song allgegenwärtig. Auf die Hilfe des Synthesizers wird zwar nicht verzichtet, wohl aber überlegt und nicht zu oft zurückgegriffen, sodass das Hauptaugenmerk klar auf den tatsächlichen instrumentalen Qualitäten der Südamerikaner liegt. Ein besonderes Highlight stellt auch „Insanity Desire“ dar, auf dem sich BJ mit Jeff Scott Soto (ex-Journey) ein Vokalduett liefern.

Sich Adriano Daga als Produzent zu holen, hat sich für das Quartett definitiv gelohnt. Die Produktion wirkt nicht so klinisch, als kommt sie direkt aus dem Emergency Room, versprüht aber das nötige Maß an Professionalität und erscheint trotzdem noch verspielt und in gewisser Weise auch farbenfroh. Die in der Scheibe innelebende Freude am Musik machen und der dahintersteckenden Leidenschaft ist mir bisher nur in ganz wenigen Ausnahmefällen begegnet – aber TEMPESTT schaffen das beinahe problemlos.

Vom heutigen Tag an hat Brasilien musikalisch mehr als den Karneval und knackige Po…- Früchte zu bieten: TEMPESTT, da bin ich mir sicher, werden noch für einiges Aufsehen sorgen. Auf der anderen Seite müssen sie aber unbedingt aufpassen, weiter an sich zur arbeiten und sich zu entwickeln. Progressive Metal-Bands gibt es wie Sand am Meer und wenn man sich ernsthaft von ihnen abheben will, braucht es Einiges – um nicht zu sagen: verdammt viel. Mit dieser Leistung hier haben sie aber ein eindeutiges Statement gesetzt: sie haben Hunger.

Wertung: 9.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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