Review Tiamat – Wildhoney

An Vögeln hat man im Hause TIAMAT wohl seine helle Freude – wie sonst ist es zu erklären, dass die lieblichen Geräusche immer wieder auf den Alben der Schweden zu hören sind? Folglich eröffnen Johan Edlund und Co – zur Zeit von “Wildhoney” (1994) bezieht sich das “Co” allerdings alleine auf den Mitstreiter Johnny Hagel – diese, bereits als Klassiker zu bezeichnende CD mit den lieblichen Lauten der freundlichen Gesellen.

Entsprechend kurz fällt somit der Titeltrack aus, der wohl als nicht mehr als ein kurzes Intro bezeichnet werden muss. Dann jedoch geht es mächtig zur Sache, ohne Übertreibung reiht sich nun ein Hit an den anderen. Bevor ich auf einzelne Songs eingehe, muss ich – und das ist sicher nicht üblich – schon am Anfang einen Kaufzwang aussprechen. Dies ist wirklich ein Werk, welches in keiner Metalsammlung fehlen darf, egal ob gut oder schlecht, umfangreich oder knapp, Black oder Power, Death oder Progressive, Heavy oder Gothic, Industrial oder Glam, oder, oder, oder. 1994, kein Wunder, dass einer der ganz großen Songs auf “Wildhoney” den Titel “Visionaire” trägt, denn als solche muss man Edlund und Hagel einfach bezeichnen. Eingängige Melodien zwischen gesunder Härte, schwebender Erhabenheit und atmosphärischer Einzigartigkeit, wie sie die (Metal-) Welt bis dahin noch nicht erlebt hatten. Dass Edlund den Erfolg von “Wildhoney” hinterher nicht wirklich verstehen konnte und zu großen Teilen Johnny Hagel zusprach, zeugt vom Understatement des schüchternen Schweden, auch wenn man tatsächlich festhalten kann, dass die besten der großartigen Lieder tatsächlich von Hagel stammen. Da wäre beispielsweise das bekannteste TIAMAT-Lied “Gaia”, welches mit einer ultraeingängigen Keyboard-Melodie eingeleitet wird und sich über eine dramatische Strophe zu einem Refrain aufschwingt, welcher die Erhabenheit von Erde und Natur in selten intensiver Form zelebriert. Ein wahrhaftes Stück Musikgeschichte!

Ein anderes Hagel-Stück, auf welches man näher eingehen muss, ist “The Ar”. Das jedoch nicht nur wegen der unbestreitbaren Qualität, sondern vor allem wegen des Titels, der als solcher ja schon etwas provokant ist. TIAMAT argumentieren seit je her, dass der Umgang mit derartigen Ausdrücken in Skandinavien lockerer gehandhabt wird als im restlichen Europa. Bedenkt man allerdings, dass TIAMAT früher unter dem Namen “Treblinka” musizierten (ein nazideutsches Konzentrationslager in Polen), könnte einem doch ein fader Beigeschmack entstehen. Textlich handelt es sich offensichtlich um den Aufruf, seine innere Kraft zu entdecken und zu nutzen, böse Zungen könnten behaupten, dass sich dies ebenfalls mit so mancher Nazi-Ideologie deckt. Gut, an dieser Stelle sollte man es dabei belassen und klar sagen, dass TIAMAT sicher keine Band der braunen Welt ist, vielmehr scheint es sich um jugendlichen Leichtsinn gehandelt zu haben, spätere Texte Edlunds zeigen jedenfalls keine Tendenzen in diese Richtung. Am Song ist vor allem der Einstieg bemerkenswert, der Übergang aus “Whatever That Hurts” verläuft nahtlos und genial, die Melodie sollte man sich nicht morgens anhören, wenn man nicht den ganzen Tag mit einem unauslöschlichen Ohrwurm verbringen möchte. Hübsch dabei ist der weibliche Gesang von Birgit Zacher, welche ganz offensichtlich Mitte der 90er Jahre im Hagener “Woodhouse”-Studio gewohnt haben muss, denn neben Engagements bei Bands wie “Moonspell” hat sie auch den Schweden ihre Stimme geliehen.

Zu schreiben, dass alles Wichtige nun gesagt sei, wäre sicher falsch, auch die Songs gegen Ende des Albums haben eine enorme Qualität, auch wenn sie eher was für die ruhigeren Freunde sind. Vor allem “Do You Dream Of Me?” und ebenso “A Pocket Size Sun” sind atmosphärische Balladen, die man sich einfach gerne anhört, der später – auf “A Deeper Kind Of Slumber” – aufkommende “Pink Floyd”-Touch ist hier bereits zu spüren. Der Höchstpunktzahl “entgeht” man hier nur, weil im Prinzip “nur” sieben komplette Lieder vorhanden sind, der Rest sind Intros und kurze, instrumentale Zwischenspiele. Ansonsten stimmt es an jeder Front, sei es nun die musikalische oder die produktionstechnische. Waldemar Sorychta und das “Woodhouse” sind sicher eine Traumhochzeit gewesen, welche Century-Media-Band war eigentlich noch nicht dort? Kritiker mögen mäkeln, dass sich der Sound irgendwann auch einmal auslutscht, aber gerade zu diesem Album passt er einfach wie der berühmte Arsch auf den Eimer. Gerne wiederhole ich noch einmal meine zu Beginn getätigte Aufforderung: KAUFEN!!!

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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