Review Trans-Siberian Orchestra – Night Castle

Rock-Opern liegen voll im Trend. Avantasia, Ayreon, mit gewissen Abstrichen Saviour Machine und beispielsweise auch das TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA halten in dieser Hinsicht Musik für den anspruchsvollen Fan bereit. Ich muss gestehen, dass ich TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA bislang nur vom Namen her kannte. Schade eigentlich, denn was das Mammut-Projekt um Mastermind Paul O`Neill präsentiert, hat schon Hand und Fuß. Dabei schreckt die bisherige Karriere den gemeinen Metalhörer vielleicht sogar eher ab, wurden auf drei der bislang fünf Alben doch Weihnachtslieder vertont.

Dass die Thematik auch ein anderes Gesicht haben kann, zeigt das Album Beethoven`s Last Night, welches von einem (fiktiven?) Pakt des großen Komponisten mit dem historischen Bösewicht Mephisto und diesmal geht es um eine gänzlich ausgedachte Geschichte, die sich auf den ersten Blick unspektakulär anhört: ein siebenjähriges Mädchen trifft an einem Strand in Kalifornien einen New Yorker, im Folgenden entspinnt sich eine Story um Hell und Dunkel, Tugend und Angst. Alles klar? Ne, bei mir auch nicht, wenden wir uns also der Musik zu.

Dass da keine Anfänger am Werk sind, hört man von der ersten Note an. Die Spiellänge hat eine ordentliche Spannweite zwischen < 1 min und > 10 min, dabei achtet O`Neill im wesentlichen auf dichte Arrangements und aussagekräftige Melodieführungen. Sehr häufig fühlt man sich an Musicals erinnert, dann klingt mal wieder Queen durch und einer der Gastsänger hat eine frappierende Ähnlichkeit mit Meat Loaf. Hört sich nach einer kruden Mischung an, entpuppt sich aber bald als ein faszinierendes Ganzes, bei dem die handelnden Figuren durch jede Note mit mehr Leben gefüllt werden. Dabei fällt es dem Hörer mal leichter (The Safest Way Into Tomorrow, Night Enchanted), mal schwerer (Epiphany, immerhin über 10 Minuten lang), Zugang zu den Klängen der Amis zu bekommen. Einige Abhilfe schafft allerdings der Umstand, dass Copy-and-Paste-Plagiate aktuell ebenso in sind wie Rock-Opern. Da hört man doch glatt das Eröffnungsriff von Am I Evil, zu dem treten diverse wirklich große Meister der Musikgeschichte an, so findet man Samples von Mozart, Bach, Tschaikowsky und einmal meine ich sogar die erste Töne der deutschen Nationalhymne (das wäre dann Joseph Haydn) zu erkennen, aber dies ist nicht in den Credits aufgeführt. Die Symbiose Klassik und Rock gelingt dementsprechend auch ziemlich locker, die bekannten und auch die selbsterdachten Melodien auf Violine, Cello und Co fügen sich fast nahtlos in das Geschehen ein. Manchmal sogar ein wenig zu nahtlos, denn bei allem technischen Firlefanz, der sich wirklich gut anhört, kommt zu kurz, was bei den eingans erwähnten Vertretern vorhanden ist: Metal. Unter dem Strich fehlt zumindest mir ein wenig die Power, die Aggressivität (zumindest im angemessenen Rahmen) oder schlicht mal ein wenig Heaviness. Sie wird die Musik, die immerhin als Doppel-CD mit einer opulenten Spielzeit von über zwei Stunden daherkommt, mit der Zeit etwas langatmig, trotz aller Abwechslung und Rafinesse der Kompositionen.

Und schließlich setzt man sich eine kleine Narrenkappe noch selbst auf. Der Blick auf die Trackliste lässt auch mittelprächtige Kulturbanausen verwundert mit den Ohren wackeln. Carmina Burana von Carl Orff??? Keine Überraschung, natürlich wird – wie beispielsweise (und auch etwas besser) schon von Therion – O Fortuna, das Eingangsstück dieser mittelalterlichen Textsammlung, gecovert. Ich meine, wer schon so mit klassischen Komponisten um sich wirft, könnte wenigstens soweit recherchieren und den richtigen Titel angeben. Seis drum, dieses kleine Ärgernis sollte nicht zu sehr zu Buche schlagen, Musikfreunde mit Hang zu progressiven Klängen, die auch gerne mal über den Tellerrand schauen, sind beim TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA ziemlich genau richtig – warum das gute Stück aber erst zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung in den USA den Weg zu uns gefunden hat, weiß unter den gegebenen Vorzeichen allerdings wohl auch niemand.

Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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