Review Various Artists – Snowflakes IV

„Kommerz“ schreit es in der Vorweihnachtszeit aus allen Ecken, in der Tat ist die Konsumfreude der Menschen in der besinnlichen Jahreszeit höher als sonst irgendwann. Verständlich, warum sollte man die Kuh nicht melken, die sich vor jedermanns Tür breit macht? Wie schön, dass es da immer noch still kämpfende Gegenpole gibt, wie beispielsweise die kostenlose Sampler-Reihe „Snowflakes“, die von At Sea Compilations schon zum vierten Mal aufgelegt wird.

Passend zu der Liebhabereinstellung von Betreiber Axel – es handelt sich um ein Non-Profit-Hobby-Projekt – sind die Musiker, die sich, wie bei Bands, die nicht nur über den Tellerrand schauen, sondern sich auf einem ganz anderen Tisch befinden, üblich, keinen Konventionen unterwerfen. Die generelle Ausrichtung ist akustisch und vor allem düster. Nur hier und da agiert eine Truppe mal mit dezenter Härte und fällt damit sofort auf. Aber nicht negativ, denn das dritte Standbein ist stets die Qualität. Gut, mag man einwerfen, bei jeweils nur einem Song sind es vor allem Momentaufnahmen und alleine darauf basierend kann niemand erkennen, ob es die jeweiligen Kapellen auch über eine komplette CD schaffen würden zu begeistern.
Das ist aber ganz egal, denn die zweimal 60 Minuten Spielzeit lassen derartige Überlegungen gar nicht erst zu. Überhaupt lassen sich jegliche Gedanken hervorragend ausschalten. „Snowflakes IV“ lädt zum Träumen ein, gerade so, wie man es sich von romantischen Spielarten wie Dark-Folk, Neoklassik oder dem recht neuen American-Gothic (eine Mischung aus Gothic/Darkwave und Singer/Songwriter) erwartet. Zusätzlichen Exotenbonus gibt es für die Herkunft vieler Bands, die nicht nur aus „klassischen“ Ländern wie Deutschland oder den USA kommen, sondern auch aus den zumindest im Metal nicht omnipräsenten Staaten wie Spanien, Litauen oder dem Iran.
Einige Truppen dürften aber auch schon jetzt nicht unbekannt sein, beispielsweise legten die Spanier Sangre de Muerdago kürzlich ein tolles Forest-Folk-Album vor, auch die einheimischen I-M-R und Nebelung sind dem einen oder der anderen schon einmal über den Weg gelaufen.
Dennoch ist das Schöne an Samplern, dass man schnell neue Musik kennenlernt, die sonst vermutlich an einem vorbeigegangen wäre. Großartig sind die Beiträge der Russen Stillife („Autumn“) und von The Division Men („Dying To Get You“), welche beide unerwartet eingängig sind oder auch das Projekt The Owl der sibirischen Pianistin Daria Shakhova („Into The Light“). Diese Lieder drücken in der Tat aus, was Worte manchmal nicht zu sagen vermögen. Überhaupt sind viele Nummern sehr vokal-reduziert, die Sprache auf „Snowflakes IV“ ist eine andere, sie ist Melancholie, aber sie ist auch Hoffnung. Denn bei aller Dunkelheit, die die Songs verbreiten, ist immer auch das viel beschriebene Licht am Horizont nicht nur zu erahnen, wie eine Schneeflocke in der tiefstehenden Morgensonne glänzt es hell leuchtend und lädt den Hörer ein, sich ganz und gar den zwei Stunden äußerst emotionaler Musik hinzugeben.

Leider wird die „Snowflakes“-Reihe gerade jetzt einer Kreativpause unterzogen. Gut, nach vier Ausgaben ist es vorstellbar, dass die Macher neue Impulse suchen müssen, aber das Konzept ist so überzeugend und die Bandauswahl so gut getroffen, da weint der Hörer jetzt schon eine leise Träne, die sich auf wundersame Weise mit den zerbrechlichen Klängen des Samplers vermischt und Künstler und Konsument schließlich zu einer kompletten Einheit verschmelzen lässt. Bezogen werden kann „Snowflakes IV“ über www.at-sea-compilations.de, eine freiwillige Spende rundet diese Win-Win-Situation sicher ab. Kommerz ist es dann noch lange nicht.

Keine Wertung

Publiziert am von Jan Müller

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