Review Vintersorg – Solens Rötter

Die physikalische Ausrichtung VINTERSORGS, die mit dem 2000er Release „Cosmic Genesis“ begonnen wurde und in dem sehr kalten und technischen „Visions From The Spiral Generator“ seinen Höhepunkt hatte, wurde – zumindest musikalisch – beim letzten Album „The Focussing Blur“ schon etwas zurück genommen. Auch optisch in warmen Tönen gehalten, markiert dieses Album für mich bereits den ersten Schritt zurück zu den folkloristischen Wurzeln der Band. Nach der Veröffentlichung im Jahr 2004 und einigen Auftritten, war es jedoch still um die Band geworden. Kurz wurde die Öffentlichkeit aufgeschreckt, als Gerüchte über ein neues Thrash Metal Projekt von Vintersorg durch die Metalwelt geisterten (dessen Namen ich sofort wieder verdrängt habe), doch sonst passierte nicht viel, was mit Sicherheit auch an seinem Engagement bei Borknagar lag, die ja zwischenzeitlich ihr mäßiges Akustikalbum veröffentlichten. Umso größer war die Freude und Spannung – zumindest bei mir – als plötzlich bekannt wurde, dass Ende April das neue Album „Solens Rötter“ veröffentlicht werden sollte.

Schon der Name macht deutlich: Es wird wieder auf schwedisch gesungen – und zwar ausschließlich. Doch nicht nur sprachlich kehrte man zu seinen Wurzeln zurück, auch musikalisch wird der Weg konsequent fortgesetzt und der folkloristische Anteil nimmt deutlich zu, ohne jedoch die Komplexität einzuschränken. VINTERSORG klingen auf „Solens Rötter“ wieder deutlich organischer und verarbeiten textlich angeblich die Verbindung von Mensch und Natur in all seinen Facetten. Ob jedoch das was musikalisch gelingt, auch textlich umgesetzt wurde, kann ich leider nicht überprüfen.

Die größte Neuerung sind sicherlich der vermehrte Einsatz von Chören und die zur neuen Ausrichtung passenden Instrumente wie Flöte, Harfe oder Violine. Auch sehr auffällig ist die Art wie das Album abgemischt ist: Die unzähligen Übergänge von verspielt ruhigen Teilen in harte Black Metal Attacken schlagen sich so gut wie gar nicht in der Lautstärke nieder, sodass das ganze Album trotz immens harter Passagen immer eine gewisse Ruhe behält und einen ungeheure Homogenität ausstrahlt, die bei der Komplexität der Songstrukturen sehr überrascht. Unterstrichen wird dieser Eindruck von den zig Melodiebögen, die wieder in jedem Teil zu finden sind und auch dem brachialsten Part einen Hauch von Anmut und Zerbrechlichkeit geben.

Ein kurzes Rauschen und eine herrlich klare Akustikgitarre leitet „Döpt I En Jökelsjö“ ein. Flöten, Glockenspiel, pizzicato Streicher und einige nicht definierbare Instrumente gesellen sich langsam hinzu und erschaffen eine unglaubliche Tiefe, bevor Vintersorgs prägnante Stimme einige leichte Zeilen anstimmt und plötzlich hat auch dass Schlagzeug unbemerkt seinen Weg in die Musik gefunden. Mit der verzerrten E-Gitarre und den verzerrt gesprochenen Passagen wird der Härtegrad zwar deutlich erhöht, doch ohne die aufgebaute Stimmung nur im Geringsten zu verlieren. Blastbeats, die mit gesungenen und geschrienen Vocals überlagert werden, führen über anspruchsvolle Rhythmen in den Refrain, der plötzlich wieder mit Akustikgitarren und eine Reihe weiterer Instrument aufwartet und eine verspielte Erhabenheit ausstrahlt. Die instrumentale Überleitung überzeugt vor allem durch ihr Gitarrenspiel und die ständigen Taktwechsel und immer wieder entdecke ich weitere Details. Auch wenn der Opener mit fünfeinhalb Minuten keinesfalls Überlänge aufweist, könnte ich mich schon in der Beschreibung verlieren. Dabei finden sich auf „Solens Rötters“ noch so viele erwähnenswerte Teile!

„Perfektionisten“ beispielsweise startet durch den massiven Gitarreneinsatz deutlich härter und hält dieses Niveau auch trotz rhythmisch anspruchsvollster Zwischenpassagen und gipfelt schließlich in einem absolut grandiosen Refrain, der einmal mehr die Klasse von Vintersorgs Stimme unter Beweis stellt. Gleichzeitig finden sich dermaßen abgedrehte Passagen in dem Lied, dass einem nicht vielmehr als Staunen bleibt. Was Björk mit ihrer Stimme macht mag viele begeistern, was VINTERSORG jedoch musikalisch umsetzen bleibt in meinen Augen unerreicht. So brüchig „Perfektionisten“ endet, so progressiv beginnt „Spirar Och Gror“ und stellt durch die etwas weniger breite Instrumentalisierung eine schönen Brücke zu den vorangegangenen Alben her. Kaum hat man sich an die Komplexität etwas gewöhnt und glaubt die Grenzen von „Solens Rötter“ zu kennen, steigern VINTERSORG mit „Idétemplet“ das Klangspektrum nochmals enorm. Sehr melancholischer Gesang über heftige Gitarrenriffs, die auf ein Drehorgel(?)-Intro folgen, sind zwar noch nicht so überraschend, doch spätesten mit dem Hoo-hoo Chor der jeder Räuberbände Konkurrenz machen würde, offenbart sich VINTERSORGs fantastisches Gespür für geniale Kompositionen. Bongas und ein sehr ergreifender Gesangsteil leiten wieder in heftigere Sphären über. Auf „Att Bygga En Ruin“ zeigen die Schweden dann nochmals ihre Verbundenheit mit ihren schwarzmetallischen Wurzeln. Hier wird gleichzeitig gekeift und gesungen was auch schon bei anderen Bands zu großen Momenten geführt hat, doch VINTERSORG wären nicht VINTERSORG wenn das Ganze nicht wieder in ein Gesamtkunstwerk eingebettet wäre, das dieses Lied zwar zu einem der härtesten aber trotz der abgefahrenen Riffs auch eingängigsten auf der Platte macht. Ungewöhnlich ruhige Töne werden dann noch bei „Strålar“ angeschlagen, dass zum Einen von der Leichtigkeit VINTERSORGs Stimme und zum Anderen von der reichhaltigen Instrumentierung, die nicht durch Masse sondern wieder einmal ungeheurer Detailverliebtheit begeistert. Diese wird beim abschließenden Instrumentalstück „Vad Aftonvindens Anding Viskar“ nochmals auf die Spitze getrieben. Dabei verstehen sich die Schweden nicht nur darauf komplexe Musik zu machen, sondern schaffen es diese in einer Form vorzutragen die immer wieder sehr eingängige Teile erzeugt. Dies wird besonders bei „Från Materia Till Ande” deutlich, welches live (zumindest bei entsprechender audiovisueller Umsetzung) mindestens so begeistern könnte wie es dies schon auf CD tut.

VINTERSORG fordern wieder einmal einiges von ihren Hörern. Wer sich aber bisher auf die Kunstwerke aus Schweden eingelassen hat, wird auch von „Solens Rötter“ wieder vollauf begeistert sein. Da man es aber geschafft hat die ungewohnt technizistische und eher kalte Atmosphäre endgültig hinter ich zu lassen, gibt es in meinen Augen für niemanden, der auf mehr als „Drei-Akkord-Musik“ steht, einen Grund warum er das Album nicht im Plattenschrank stehen haben sollte. Die lange Wartezeit auf ein neues Album hat sich ausgezahlt. Ich bin mir sicher, das stärkste VINTERSORG Album aller Zeiten und einen der heißesten Anwärter auf das/mein Album des Jahres in Händen zu halten. Die Ausnahmekünstler haben es geschafft das hohe technische Niveau und den unglaublichen Abwechslungsreichtum der Vorgängeralben in ein warmes Gewand zu gießen, dass einen zutiefst berührt. Nach 50 besprochenen Alben kann ich nicht anders: 10 Punkte für 10 perfekte Lieder!

Wertung: 10 / 10

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