Review von Brücken – Weit weg von fertig

  • Label: Four
  • Veröffentlicht: 2015
  • Spielart: Entmetallisiert, Indie Rock, Pop

„Hallo Angst, du Arschloch“ wird zur Kampfansage an die alte „Lady Angst“: Nicolas Müller hatte schon lange mit seinen Angststörungen zu kämpfen, die letztes Jahr dazu führten, dass der charismatische Sänger seine Band Jupiter Jones verlassen musste. Wie es aber oft passiert: Freunde und Musik sind häufig ein nicht geringer Teil der Therapie und Genesung. Dass aus einem gemeinsam Musizieren mit seinem alten Kumpel Tobias Schmitz demnach immer mehr wurde und nun mit „Weit weg von fertig“ das erste Album von „VON BRÜCKEN“, dem neuen Projekt der beiden Musiker, erscheint, ist in dieser Hinsicht sowohl folgerichtig, als auch eine Erleichterung, da der deutschsprachigen Musiklandschaft ansonsten einer der besten Texter und eine der markantesten Stimmen verloren gegangen wäre. „Weit weg von fertig“ präsentiert sich dabei als eine Mischung zwischen Indie Pop, Indie Rock und radiotauglichen Melodien, die textlich und technisch absolut überzeugen kann, allerdings stellenweise zu glatt gerät.

Eines wird sofort mit dem Einstieg deutlich: Jupiter Jones haben sich zum größten Teil aus Nicolas Müllers prägnanter Stimme und dessen lyrischen, stimmigen und schönen Texten heraus bestimmt. „Weit weg von fertig“ klingt dabei stellenweise wie die konsequente Fortführung der letzten Jupiter-Jones-Alben, wobei die erste Platte von VON BRÜCKEN durch die komplexe Instrumentierung mit einer achtköpfigen Studio- und Liveband und der vollkommenen Loslösung vom Punk eine einprägsame Eigenständigkeit entwickelt. Rockige Nummern wie „Das Türen-Paradoxon“ oder „Ist gut, Mensch“ wechseln sich mit beschwingten Nummern wie „Lady Angst“, „Der Tanz“ und „Die Sache mit dem toten Clown“ ab, während die ruhigen Nummern wie das Lied für Nicolas Müllers Tochter „Dann sammle ich Steine (L.K.M.)“, das textliche Herzstück des Albums „Die Parade“, das wunderschöne „Elephanten“ und das sanfte „Gold gegen Blei“ die dritte große Kategorie bilden. „Immerhin (Für die Trauer)“ ist dabei ein sehnsüchtiger, epischer Abschluss, der „Weit weg von fertig“ perfekt beendet. Alle diese Stile wissen für sich zu überzeugen, sind gut komponiert und textlich über nahezu alles erhaben, was hierzulande getextet wird.

Klingt doch eigentlich nach einer rundum gelungenen Sache, oder? Das Problem: VON BRÜCKEN haben „Weit weg von fertig“ zu glatt und auch zu lang geraten lassen. „Der Tanz“, „Irgendwie Alles“ und „Yukon“ sind zwar keine schlechten Songs, weisen aber auch zu wenig Eigenständigkeit auf, um auf „Weit weg von fertig“ und seiner absolut umwerfenden ersten Hälfte überzeugen zu können. „Mein furchtbar besoffenes Herz“ hat zwar einen großartigen Titel, gerät dann aber musikalisch leider zur absoluten Belanglosigkeit. Dazu kommt, dass die Produktion den ohnehin sehr geradlinigen Nummern noch einmal alle potentiellen Ecken und Kanten abschleift. Das ist für diese Musik wahrscheinlich logisch, eine direktere, intimere Produktion hätte „Weit weg von fertig“ allerdings mehr Authentizität verliehen, die in den fabelhaften Texten zu jeder Sekunde zu spüren ist. Musikalisch werden dabei auch keine großen Experimente gewagt, ja sogar das Tempo nur seltenst variiert; vielmehr steht Nicolas Müllers Stimme die meiste Zeit im Mittelpunkt. Ebenso wirken beide Gastauftritte ein wenig in die Songs gezwängt, wobei Rocky Votolato dies noch sympathisch löst, Thomas D allerdings klingt wie immer und einfach fehl am Platz wirkt.
VON BRÜCKEN liefern alles in allem mit „Weit weg von fertig“ ein starkes, vor allem textlich überzeugendes und eingängiges Debütalbum, das im Feinschliff noch Luft nach oben lässt. Hoffentlich bleibt uns diese Band so lange erhalten.

Wertung: 7 / 10

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