Das Geschäft mit dem Personenkult. Oder: Wie aus Fans VIPs wurden.

Kolumne_2016

Wir schreiben den 27. Februar 2007,

in der Münchner Georg-Elser-Halle – mittlerweile längst Baggern und Büroflächen gewichen – spielen die Ami-Rocker STONE SOUR. Es ist ein Konzert wie viele andere auch: Ein guter, ein schweißtreibender Auftritt, rückblickend betrachtet aber eben nur ein Konzert, wie STONE SOUR davor und später noch unzählige gespielt haben. Trotzdem ist mir der Abend bis heute, bald ein Jahrzehnt später, in Erinnerung geblieben. Nicht der Show wegen, sondern wegen dem, was danach geschah.

Der junge Fan, der ich damals war, hatte sich in den Kopf gesetzt, seine auch bei SLIPKNOT involvierten Helden persönlich zu treffen. So hieß es nach dem Konzert nicht ab nach Hause, sondern warten. Mehrere Stunden, durchgeschwitzt, in einer zwar milden, aber eben doch noch Februarnacht. Auf dem Parkplatz, vor dem Nightliner. Die Rechnung war einfach: Egal, wie viel die Band nach der Show auch feiern mag – irgendwann muss der Tourtross weiter und der Musiker somit in den Bus.

Corey Taylor (Slipknot, Stone Sour)Am Ende ist es spät geworden und das Bild, das Sänger Corey Taylor abgab, als er schließlich reichlich angetrunken von der Tourmanagerin in einem Einkaufswagen aus dem Backstagebereich geschoben wurde, war gleichermaßen desillusionierend wie beeindruckend: Ein Rockstar, wie er im Buche steht, ein Mensch wie jeder andere auch. Ein paar Fotos, ein paar Autogramme, ein paar ehrfurchtsvoll gestotterte Worte auf der einen, ein paar nette, aber natürlich leere Phrasen auf der anderen Seite. Eine Begegnung, die für den Einen immer eine strahlende Jugenderinnerung bleiben wird, für den Anderen bereits im Moment des Geschehens reine Routine war. Aber eine Begegnung mit Stil, mit dem Charme von Rock’n’Roll.

Solche oder ähnliche Geschichten

haben wohl die meisten Rock-Fans parat. Doch wie der Besuch des Musikladens am Veröffentlichungstag eines heißersehnten Albums, wie der Spontankauf einer Platte, weil das Cover so cool aussieht, oder wie das ehrfürchtige Zerschlitzen des Cellophans, das eine brandneue CD umhüllt, von der man höchstens die Single kannte, weil es noch keine Pre-Release-Streams gab, ist auch diese Erfahrung vom Aussterben bedroht. Nicht, weil Musiker heute nicht mehr so leicht zu treffen wären – sondern, ganz im Gegenteil, weil es heute zu leicht ist: Das Treffen mit dem Idol ist keine Glückssache mehr, sondern berechenbar geworden. Und zwar in Euro, in Dollar, in schnödem Mammon. Weil es käuflich geworden ist.

Meet&Greet Wednesday13

Schon mäßig bekannte Bands wie die Grusel-Rocker WEDNESDAY 13 verkaufen mittlerweile für all ihre Konzerte Special-Packages mit Meet&Greet-Gelegenheit vor der Show. Und wer kann es ihnen verdenken? In einer Zeit, in der Musik nichts mehr wert zu sein scheint und CDs, aber auch Downloads kaum Geld in die Taschen der Musiker spülen, müssen neue Wege beschritten werden. Waren das zunächst Konzerte und dort verkauftes Merchandise, gehören heute „Band-Reliquien“ (WEDNESDAY 13 beispielsweise hat benutzte Gitarrensaiten (10€), leere Jack-Daniels-Flaschen (15€) und signierte Drum-Felle (50€) im Angebot) und der systematisch kommerzialisierte Personenkult zum Standard-Repertoire vieler Bands. Der Preis für den Handshake mit dem Idol orientiert sich – natürlich – am Popularitätsgrad: Während Max Cavalera für ein Treffen im SOULFLY-Tourbus 50€ ansetzt, kostet ein signiertes Polaroid-Foto mit MARILYN MANSON schon 250$. Für ein organisiertes Meet&Greet mit Mitgliedern von SLIPKNOT muss der Fan stolze 400$ hinblättern.

Was spricht dagegen,

mag man zunächst fragen – schließlich ist die Nachfrage da, das Angebot damit also aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Doch dass nicht alles, was ökonomisch sinnvoll sein mag, auch moralisch richtig ist und deswegen bedenkenlos umgesetzt werden kann, ist keine neue Erkenntnis. Und so ist auch dieser Trend zumindest fragwürdig. Denn abgesehen davon, dass es generell auf ein zweifelhaftes Selbstbild schließen lässt, wenn man auch als noch so bekannter Prominenter denkt, es wäre angemessen, sich für einen Händedruck und ein Foto mit Fans von diesen bezahlen zu lassen, verändert sich allein durch das Angebot als solches das Fan-Star-Verhältnis grundlegend. Und das nicht nur für diejenigen, die mitunter viel Geld dafür bezahlen, sich ein paar Minuten im Glanz des Ruhms ihres Idols sonnen zu dürfen.

Der Stützpfeiler des Konzepts bezahlter Meet&Greets nämlich ist die Exklusivität. Wer zahlt schon gerne für etwas, das andere nachher eventuell sogar gratis bekommen? Das Bad in der Menge, der nette Plausch am Merchandise-Stand oder eben das erkämpfte Zusammentreffen des Fanboys mit dem Star, mitten in der Nacht vor dem Tourbus, wird so zur Seltenheit. Statt des größten Fans trifft der reichste, der mit den reichsten Eltern oder schlicht der, der bereit ist, Geld dafür auszugeben, sein Idol. Das kann für einen Künstler eigentlich nicht befriedigend sein.

Auch wird aus dem spontanen, unbefangenen Miteinander von Musikern und Fans ein steriles, vertraglich geregeltes Aufeinandertreffen. In den Geschäftsbedingungen zum „Meet And Greet Package„, das SLIPKNOT-Fans aktuell für die Amerika-Tour erwerben können, heißt es:

Meet&Greet Slipknot USAIn anderen Belangen bleibt der Anbieter eher vage: Zur Dauer des Meet&Greets wird beispielsweise lediglich angegeben, diese richte sich nach dem jeweiligen Zeitplan der Veranstaltung. Doch egal, wie viel Zeit sich die Band schlussendlich nimmt – am Ende bleibt ein Meet&Greet unter diesen Bedingungen nur ein weiterer, lästiger Pflichttermin zwischen Interviews und Soundcheck.

  >> Den Bericht eines Fans zum SLIPKNOT-Meet&Greet lesen

Sofern die Band überhaupt dabei ist.

Immer öfter nämlich schlagen Veranstalter aus diesem Trend Gewinn, wie sich unlängst auf dem Onlineportal Ticketmaster im Rahmen der anstehenden Tour von BLACK SABBATH beobachten ließ: Aufgepeppt mit Pseudo-Fanartikeln wie einem „exklusiven BLACK-SABBATH-Soundcheck-Erinnerungslanyard“ oder dem „Sammlerstück – ‚2016 Beginning And End‘-Tourgeschenk“ sowie absurden Spezialbehandlungen („Begrüßungsgetränk bei dem Empfang„, „Betreuung durch VIP Hosts vor Ort„, „Early Entry Pass – Zutritt zur Waldbühne vor dem offiziellen Einlass“ oder „Zugang zum Merchandise Shop vor dem Publikum„) und wurden hier zu stolzen Preisen VIP-Packages angeboten. Ein Treffen mit der Band war freilich nicht Teil des Deals. Das höchste der Gefühle statt dessen: Ein „Ozzy Osbourne Dressing Room Package„, bei dem der Fan für stolze 1175,00€ einen Blick hinter die Kulissen und in Ozzys Künstlergarderobe werfen darf.

Meet&Greet Black Sabbath ticketmaster2

Getoppt wird das nur – wer hätte es anders erwartet – von den „Signature VIP Experience„-Tickets zu den kommenden GUNS ‚N‘ ROSES-Shows: Für satte 2500$ (das reguläre Ticket kostet übrigens 79,50$) bekommt der gut betuchte Fan zwar allerlei luxuriösen Service („Deluxe Dinner Buffet“ und „Signature GUNS ‚N‘ ROSES Themed Cocktails“ inklusive), ein unterschriebenes Poster („Ultra-Exclusive„) sowie die Möglichkeit, sich durch den Backstagebereich führen zu lassen und auf der Bühne ein Selfie zu schießen – der zum Zeitpunkt der Führung vermutlich noch im Hotel logierenden Band um Axl Rose jedoch ist man dabei allenfalls in Gedanken nahe. Es fällt schwer, sich in diesem Kontext Begriffe wie Kommerz und Ausverkauf zu verkneifen.

Am Ende

sind käufliche Meet&Greets nichts weiter als der verzweifelte Versuch, auch im 21. Jahrhundert im Musikgeschäft noch irgendwie Geld zu machen. Im kleinen Stil der Bands, anstelle der eingebrochenen CD-Verkäufe neue Einnahmequellen zu erschließen. Im Großen der Musikindustrie, den Fan dort zu schröpfen, wo er noch bereit ist, viel Geld zu zahlen. Dass das anscheinend nicht selten leichter mit GUNS-‚N‘-ROSES-Cocktails als mit ihrer Musik geht, sagt vielleicht sogar mehr über die heutige Fankultur als über die Bands und Musiker: Der Status Quo ist ein hausgemachtes Problem, über das man sich auch als Fan nur bedingt zu wundern braucht.

Ja, in einer Szene, in der stets Fannähe, Bodenständigkeit und Ehrlichkeit gepriesen werden, sollte ein Handshake oder ein Autogramm keinen Cent kosten. Auf der anderen Seite sollte es auch selbstverständlich sein, dass man sich ein Album kauft und nicht nur illegal herunterläd oder billig streamed. Am besten direkt am Merchandisestand, durchgeschwitzt, nach einem Konzert. Dann unterschreiben die Musiker vielleicht auch wieder gerne. Und gratis.

Der Weisheit letzter Schluss kann die erkaufte Nähe zum Star jedenfalls nicht sein, wie mittlerweile selbst Popstars erkennen, die sich sonst für nichts zu schade sind:

Meet&Greet Justin Bieber

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9 Kommentare zu “Das Geschäft mit dem Personenkult. Oder: Wie aus Fans VIPs wurden.

  1. Ich denke auch, dass hier die Nachfrage definitiv da ist. Man sieht es ja mittlerweile auch daran, was manche Bands für Ticketpreise verlangen und wie dann so einige Leute diese Preise zahlen, nur um dabei sein zu können. Leute, die man sonst auf nem Clubkonzert vergebens gesucht hätte.

    Ebenso bei solchen Meet & Greets. Davon habe ich noch nie was gehalten und werde es auch nie halten. Früher gabs die Chance über OT9 mit Slipknot ein Foto zu erwischen vor ner Show, aber das kostete nix. Und ob der Fanclub noch existiert, weiß ich ehrlich gar nicht. Damals tauchten Slipknot auch in Vegas im Rahmen der Fangoria Convention auf und gaben passend zur restlichen Gästeliste Autogramme gegen Bares. Die Chance habe ich mir damals nicht nehmen lassen und damals wussten wir alle noch nicht, dass es am nächsten Tag das letzte Konzert der 9 werden würde mit Paul. Oh well. Dinge passieren halt einfach.

    Hat W13 damals nicht sogar seine Dreadlocks verkauft nachdem er sie abgeschnitten hatte? So, 9 oder 10 Jahre muss das her sein. Da hab ich mich damals schon gefragt, wer für sowas Geld ausgibt.

    Mit Combi kann man aber trotzdem immer noch abhängen, auch ganz ohne bezahltes M&G und nett sind die Jungs auch weiterhin.

  2. Das Ding ist: Angebot und Nachfrage.
    Und da geht mein Blick als Fan definitiv zum Fan. Denn anscheinend gibt es dort draußen Leute, die bereit sind, hunderte oder tausende Dollar für – ja für was eigenlich? – auszugeben. Einen Blick in Ozzys Gardrobe? Einen Cocktail, der Guns n’Roses-Cocktail heißt? Eintritt VOR dem offiziellen Eintritt? Was eigentlich nur heißt: Ich zahle, damit andere SPÄTER rein dürfen als ich.

    Offen gesagt: Ich war noch ne bei einer Autogrammstunde, bei einem Meet&Greed oder bei sonst was. Ich wüsste nicht mal, was ich da soll – erst recht unter einer so erzwungenen Situation. Was soll ich mit Menschen bereden, mit denen ich eigentlich nichts zu bereden habe, weil wir uns nicht kennen – und die ich mit meinem Geld dazu nötige, mit mir zu reden. Das ist doch Schwachsinn. Da hat keiner was von.

    Aber wenn es nicht Menschen gäbe, die dafür Geld ausgeben würden, gäbe es so einen Quatsch nicht.

  3. Sehr guter Beitrag, treffend analysiert. Auch der Gedanke, dass der Fan durch sein illegales Downloadverhalten mitschuld ist an dieser Entwicklung ist interessant und richtig.

  4. Toller Bericht Moritz, aber das hab ich dir ja schon gesagt :)

    Ansonsten muss ich Marvin hier beipflichten: Ich frage mich, was es jemandem bringt, dafür zu bezahlen, dass man Zeit mit den Musikern verbringen kann. Ich zumindest hätte dabei immer im Hinterkopf, dass die Musiker sich nun nicht mit mir abgeben, weil sie es von sich aus wollen, sondern einfach nur deswegen, weil ich dafür bezahlt habe. Das ist doch ein komplett anderes Feeling als wenn man sich trifft, sei es auf einem Konzert, am Merch-Stand oder wie auch immer. Bei solchen Gelegenheiten hab ich auch schon einige Bandmitglieder getroffen und angesprochen, und niemand war je abweisend, im Gegenteil. Gerade in der Metalszene sollte so etwas kein Problem darstellen und wer von sich aus nicht bereit ist, sich mal unter das gemeine Volk zu mischen, sollte es auch nicht für Geld tun, weil es dann nicht ehrlich ist.

  5. Genialer Text. Habe schon oft über das Thema nachgedacht und halte persönlich auch nicht sonderlich viel von der gekauften Nähe zu der Lieblingsband. Lieber mal die Musiker so durch Zufall treffen. Habe beispielsweise Kai Hansen auf einem Judas Priest Konzert getroffen. Ist mir dann doch so lieber als haufenweise Geld auszugeben, nur um 15 Minuten mit dem Musiker in einem Raum zu verbringen.

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