Schandmaul – „Anderswelt“-Prelistening

 

Das Comeback des Märchenonkels
So oder so ähnlich könnte man in kurzen knappen Worten mein Pre-Listening des neuen Schandmaulalbums (dem ersten und einzigen für Webzines) mit Leadsänger Thomas Lindner beschreiben. Verhielt es sich bei „Wie Pech und Schwefel“ und „Mit Leib und Seele“ noch so, dass die Musiker teilweise eine gewisse Härte an den Tag legten, um ihren Inhalten Ausdruck zu verleihen, so führt der Weg in die Anderswelt zurück zu Geschichten, Mythen und Sagen. Aus den 17 Tracks vom letzten Album hat man gelernt: So wurde die Anzahl der Stücke auf 14 reduziert – damit man auch morgens beim Autofahren alle Stücke einmal bequem in einer guten Stunde durchhören kann. Welche Stücke es genau sein werden, die ab 4. April 2008 die Herzen der Schandmauljünger erfüllen sollen, steht noch nicht fest: Ende Dezember treffen sich die 6 kreativen Köpfe, um darüber zu entscheiden, welche Songs auf dem Album und welche exklusiv auf anderweitigen Wegen (als .mp3 zum Download, als CD-Beilage bei einer Zeitschrift) veröffentlicht werden. Im Klartext bedeutet dies, dass keines der 16 fertig eingespielten und eingesungenen Stücke verloren gehen wird – sie werden lediglich nicht alle den Weg in die Anderswelt einschlagen.

„Anderswelt“
Der Titeltrack, der an sich keiner sein soll. Die mystische Welt, die den Künstlern dieser Erde ihre Inspirationen liefert, soll ab diesem Jahr die Fans der Münchner Folkrocker in ihren Bann ziehen. Weg vom ewigen „und“ in den Albentiteln wollte man, so dass der Arbeitstitel „Feuer und Flamme“ konsequenterweise nicht umgesetzt wurde. Das Stück entstand auf der Basis eines an sich schlechten Romans, der allerdings einen bleibenden Eindruck bei Thomas hinterließ und den Text des Stücks, dessen Passage „Es schlägt das Herz – himmelwärts“ besonders gelungen ist, maßgeblich beeinflusste. Neben diesem einfachen und doch neuen Reim erfährt der geneigte Hörer, wie auch er den Weg in die Anderswelt beschreiten kann. Eine Aufforderung, der viele nur zu gerne nachkommen werden.

„Die zweite Seele“
…weckt sofort Parallelen zu „Der Untote“. Der Stil der Lieder und die Thematik ist ähnlich, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass der Text – wie auch beim Untoten – aus der Feder von Birgit stammt.

„Der Krieger“
Der lang erwartete Abschluss der Trilogie rund um die Nibelungensage und gleichzeitig der Auftritt Hagens. Entsprechend „ritterlich“ ist das Arrangement geraten. Während der junge Siegfried noch eine sehr freie Interpretation der Geschichte war, näherte man sich mit dem Drachentöter der historischen Vorlage genauer an und folgt ihr mit dem Abschluss der Trilogie, die aufgrund der Fülle des Materials durchaus noch Stoff für 4-5 weitere Teile bietet, beinahe Wort für Wort. Live wird man es sich wahrscheinlich nicht nehmen lassen, die Fans zumindest in einem Tourblock mit dem kompletten Paket zu versorgen.

„Die Sirenen“ und „Die Königin“
Spätestens jetzt fällt auf, dass die Titel durch ihre Einfachheit und Klarheit hervorstechen – sozusagen Überschriften für die Geschichten. Einmal dreht es sich dabei um die aus der griechischen Mythologie bekannten Sirenen, die entsprechend durch weiblichen Gesang von Birgit und Anna interpretiert werden, und einmal um die Königin. 2 getragene Balladen, besonders für die weiblichen Fans. Meine Zugänglichkeit für solche Stücke hält sich augenblicklich leider in Grenzen. Dennoch fällt auf, wie ausgefeilter die Instrumentalparts ausfallen, so dass zwar ein Unterschied zu den letzten Alben erkennbar ist, aber dennoch deren Weg weiterverfolgt wird. Diese Stücke sind gleichzeitig auch die einzigen Tracks auf dem gesamten Album (neben „Der Krieger“), an denen ein Gastmusiker (Benni Cellini von der letzten Instanz am Cello) mitwirkt.

„Das Missgeschick“
Hier tobt sich Thomas Lindner auf der Grundlage eines weiteren Romans textlich wieder einmal aus. Ein Mann, der sich in den Wirtshäusern an Frauen erfreut und sich mit seiner eigenen Waffe schwer an einer für das männliche Geschlecht besonders prekären Stelle verletzt. Der alte bärt’ge Wandersmann? Etwas vielleicht. Dieses Mal wird der anschmiegsame Busen der Frau jedenfalls direkt in den Song eingebaut und nicht erst live umgetextet, so wie in der Vergangenheit, als aus den ursprünglich „vollen Lippen“ gerne einmal die „vollen Titten“ wurden.

„Wolfsmensch“
Exklusiv für Metal1.info das meiner Meinung nach überzeugendste Stück. Sehr eindringlich und etwas härter wird die Werwolf-Thematik aufgegriffen. Meine Verbindung zu WETO erwies sich als falsche Fährte. Vielmehr standen die von Thomas geliebten Hörspiele Pate: genauer gesagt ein Europa-Hörspiel aus dem Jahr 1982 mit dem Namen „Der höllische Werwolf“. Dessen Geschichte beruht darauf, dass die Schwiegermutter sich bei einem Pärchen an einem denkbar ungünstigen Wochenende zu Besuch ankündigt, denn die beiden Turteltauben hatten ein folgenschweres Treffen mit einem Werwolf. Entsprechend besorgt ist der Mann, der wegen des Vollmondes bereits mit dem Schlimmsten rechnet. So sperrt ihn seine Frau dann auch wie gewöhnlich am Wochenende in den Keller und bekanntlich ist Neugier der Weiber Last, so dass die Schwiegermutter in einer unbeobachteten Sekunde das laute Treiben im Keller überprüft. So stellt sich schlussendlich heraus, dass er Mann vom Werwolf gestreift wurde und seine Verwandlung lediglich in seinen Gedanken vonstatten geht. Stattdessen befindet sich seine Frau auf Menschenjagd und schützt ihren werten Gatten dadurch, dass sie ihn in den Keller sperrt. Meiner Meinung nach eine wunderbare Story für einen Film. Der Song an sich beschäftigt allerdings nur mit der Verwandlung zum Wolfsmenschen.

„Die Prinzessin“
Freund oder Vater? Man kann es auf beide Arten sehen. Jedenfalls haben „Willst du?“ und „Dein Anblick“ endlich einen würdigen Nachfolger gefunden – sowohl für Konzerte als auch für die Anderswelt ein würdiger Abschluss, der besser nicht sein könnte. Vielleicht durch die Schlichtheit, die an frühere Werke erinnert, die stärkste Schandmaulballade seit langer Zeit. Man kann sich bildlich vorstellen, wie sich Verliebte dazu in den Armen liegen und den Text mitsingen. Die SZ nannte es „wetten-dass-tauglich“ – so weit würde ich nicht gehen. Aber an dieses Lied wird man sich in Schandmaulkreisen definitiv in vielen Jahren noch erinnern. Besonders für Männer mit Beschützerinstinkt maßgeschneidert.

„Traditionsgemäß“ wird es außerdem mindestens ein instrumentales Lied geben und augenblicklich steht noch nicht fest, ob der von vielen Fans vermisste Harlekin (das langjährige Markenzeichen der Band) im Artwork sein Comeback erlebt. Sicher ist jedoch, dass es von der Anderswelt eine Limited Special Edition geben wird. Bei dieser Version wird der Käufer die Möglichkeit haben, das Booklet zu einem Poster umzufunktionieren. Die einzelnen Seiten mit den Songtexten werden von Thomas von Kummant, welcher u.a. in einem sehr langwierigen Prozess „Die Unsterblichen“ von Wolfgang Hohlbein als Comic gezeichnet hat, illustriert und jede einzelne Seite wird dabei ein Teil eines großen Gesamtbilds sein. Dieses Bild liegt der Special Edition als „Booklet-Poster“ bei.

Im Hinblick auf das inzwischen zum Fankult gewordene 10-jährige Jubiläumskonzert im November 2008 verläuft weiterhin alles wie erhofft und man darf mit einer bombastischen Show mit dem Besten aus den letzten 10 Jahren Schandmaul rechnen. Allerdings wird es nicht der Fall sein, dass sich laufend Gastmusiker das Mikro in die Hand geben. Sollte sich jedoch die Gelegenheit ergeben, wäre man bei passenden Stücken nicht abgeneigt, über zusätzliche Unterstützung nachzudenken. Einen „zweiten Circus Krone“ wird es aber definitiv nicht geben, denn schließlich feiert man den eigenen Geburtstag.

Kann man die Chartplatzierung noch einmal toppen? Optimisten wie Thomas gehen von der 1 aus, klar. Realistisch betrachtet dürfte es extrem schwierig werden, das Album einstellig in den Top 10 zu platzieren, da die musikalischen Eintagsfliegen im Frühjahr bekanntlich Hochkonjunktur erleben und man nie weiß, welche Sternchen bis dahin am immer schnelllebigeren Pophimmel aufgehen.
Gleichzeitig wird man meiner Meinung nach mit der Anderswelt die alten Fans, die sich nach dem Narrenkönig und dem offenkundigen Stilwandel von der Band abgewandt haben, nicht zurückgewinnen können. Zwar versucht man einen Schritt zurück in die märchenhafte Zeit zu machen, doch die Kompositionen und Arrangements bleiben grundsätzlich im Rahmen der letzten beiden Schandmaulalben. Ein bedeutender Unterschied besteht lediglich darin, dass das komplette Album ohne ein einziges (!) Solo auskommt – eine zufällige Begebenheit, die umgekehrt jedoch den engen Zusammenhalt widerspiegelt.

Deutschlandweit darf man sich wie immer auf eine große Bühnenshow freuen, die den Österreichern aufgrund mangelnder Bühnengröße leider vorenthalten bleibt. Gespannt darf man außerdem sein, wie Thomas mit der weiter gestiegenen Textmenge zurecht kommt. Er selbst zeigte sich jedenfalls zuversichtlich, da jedes Stück vor der Livepremiere natürlich 100-fach im Studio geprobt wurde und die Aussetzer meistens durch technische Probleme oder andere Ablenkungen zustande kommen.

Nachdem man die Fans nun lange ohne VÖ darben ließ (die längste Zeit seit über 5 Jahren), geht es 2008 und 2009 richtig rund, denn neben der Anderswelt wird zum 10-jährigen Geburtstag auch eine DVD/CD erscheinen, damit auch alle diejenigen, die die Reise nach München nicht antreten können, zusammen mit ihren Helden diesen großen Tag im Nachhinein feiern können. Wobei es an sich keine Ausrede mehr gibt, um nicht nach München zu pilgern, denn inzwischen wurden aus allen Ecken Deutschlands und den umliegenden Ländern Busrouten organisiert und ins Leben gerufen, so dass wirklich jeder die Möglichkeit hat, in die bayerische Hauptstadt zu kommen. Für reichlich Übernachtungsmöglichkeiten ist ebenfalls gesorgt (weitere Infos: www.schandmaul.de).

Schnell liest man heutzutage im Vorfeld einer Albenveröffentlichung etwas vom „besten Album bisher“ und „einem großen Schritt nach vorne“. Den sehe ich persönlich nicht. Dafür sind die Klangmuster aus „Mit Leib und Seele“ sowie „Wie Pech und Schwefel“ zu bekannt und eingeprägt. Zwar lassen sich einige Stücke nicht mit vorhandenem Material vergleichen, doch bewegen sie sich im Rahmen der Grenzen, die sich im Laufe der letzten Jahre bei den Münchnern bewusst oder unbewusst ergeben haben. Der Erfolg gibt ihnen hierbei zweifellos Recht. Aber eine „Rundumerneuerung“ darf man sich als geneigter Schandmaulfan durch die Anderswelt nicht erhoffen, selbst wenn der Titel bei dem einen oder anderen vielleicht diesen Gedanken weckt. Es sind eher der Feinschliff bei den instrumentalen Parts und die Texte, die für Aufsehen sorgen werden. Ob man dadurch neue Fans gewinnt, ist fraglich. Die Verkaufszahlen werden es irgendwann zeigen.

An dieser Stelle noch einmal vielen lieben Dank an Thomas Lindner für seine Zeit, die vielen Informationen und die große Unterstützung!

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