Schandmaul – „Traumtänzer“-Prelistening

Das Jahr des Leidens hat für Schandmaulfans bald ein Ende. Genauer gesagt am 28. Januar 2011, denn dann wird mit „Traumtänzer“ das neueste Studioalbum der Münchner in den Regalen stehen. Ziemlich genau acht Wochen vor dem offiziellen Release hatte ich die Gelegenheit, Sänger Thomas Lindner im bandeigenen Proberaum zu einem exklusiven Prelistening des bereits fertigen Werks zu treffen.

Was hat sich in den letzten 10-12 Monaten getan und wie klingt „Traumtänzer“, besonders im Vergleich zu Anderswelt oder früheren Alben? So oder so ähnlich dürfte die zentrale Frage lauten und mein persönliches Fazit fällt wie folgt aus: 11,5 der 14 Lieder waren beim ersten vollständigen Hördurchgang absolute Volltreffer, die direkt ins Ohr gingen und/oder anderweitig einen bleibenden Eindruck hinterließen. Lediglich für „Der Anker“ (der erste Songtext von Bassist Matthias aka Hiasl) und das etwas schwächere letzte Albendrittel würde ich kleinere Abzüge vornehmen. Ansonsten klingen Schandmaul einfacher, direkter und rockiger als je zuvor. Das Ziel, ein livetaugliches Studioalbum zu schaffen, welches den Spaß der Jubiläumsshow 2008 aus dem Zenith einfängt, wurde beinahe spielerisch erreicht – mit bis dato ungekannter Frische und Unverbrauchtheit, besonders in den ersten acht bis zehn Songs, die zum Besten zählen, was ich je von den Münchnern gehört habe.

Ironischerweise ist der eher bodenständige „Traumtänzer“ größtenteils weniger verträumt als „Anderswelt“ und eher die lang ersehnte Weiterentwicklung des Narrenskönigs. Die neuen Einflüsse kommen dabei aus allen verschiedenen Himmelsrichtungen der letzten Jahre bzw. Alben. Kurzum eine bunte Mischung aus Altbewährtem und Neugefundenem.

Die literarischen Vorlagen reichen dieses Mal von der Herr der Ringe („Schwur“ – das längste Stück des Albums) über ein bis dato unveröffentlichtes Buch von Wolfgang Hohlbein mit dem Titel „Der Turm“ ( „Geas Traum“ , gleichzeitig das erste Musikvideo der Mäuler) bis hin zu Gedichten aus Thomas umfangreicher Sammlung ( „Des Dichters Segen“ , der gleiche Band war z.B. auch die Grundlage für „Der letzte Tanz“).
Selbst die Twilight-Saga hat sich mit „Bis zum Morgengrauen“ ihren Weg bis in den folkigen Süden Deutschlands gebahnt, genauer gesagt in die Hände von Anna Kränzlein, aus deren Feder der Songtext stammt. Allerdings müssen sich auch die ärgsten Gegner des Pattinson-Hypes keine Sorgen machen: Der Song fügt sich nahtlos in die „Traumtänzer“ Top 10 ein. Mittelalterrock-Fans, die etwas über den Tellerrand hinaus gucken, werden in „Der Alchemist“ gewisse Ähnlichkeiten zu „Das Urteil“ von Zwielicht erkennen – oder eben nicht, denn wie immer bieten die Schandmaulsongs für jeden genügend individuelle Interpretationsmöglichkeiten. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere die drei autobiografischen Balladen der drei Haupttexter (Thomas: „Die Rosen“ , Anna: „Mein Lied“ , Birgit: „Halt mich“ ).
Der Ohrwurmfaktor von „Auf hoher See“ ist allerdings über jeden Zweifel und unterschiedliche Deutungen erhaben, ebenso wie der Schalk im Nacken bei „Hexeneinmaleins“ , welches bereits jetzt vorab auf Rockantenne in der konventionellen Rotation zu hören und als Download verfügbar ist.

Auffälligkeiten ergeben sich besonders beim Vergleich der Balladen und Rocksongs: Während bei ersteren der Fokus klarer auf den Texten und Thomas’ Stimme liegt, weichen die Lyrics bei den schnellen Hüpf- und Springliedern etwas in den Hintergrund. Mit dem Titeltrack „Traumtänzer“ wird man wie schon bei Anderswelt mit „Frei“ direkt mit voller Wucht in die neue Platte geworfen, während besonders das wunderbare „Halt mich“ und „Mein Lied“ die Scheibe langsam und bedächtig ausklingen lassen. Oder wie Thomas zu sagen pflegt: „Es muss etwas zum Tanzen und Schmusen geben.“
Dabei zieht sich das Thema Liebe wie ein roter Faden durch die neue Platte: Zum ersten Mal gibt es bei Schandmaul auch wortwörtlich die Textstelle „Ich liebe dich“ – sogar mehrfach im bereits erwähnten „Die Rosen“ . Allerdings hält sich der Kitschfaktor in sehr erträglichen Grenzen, vor allem da die verwendeten Sprachbilder nicht nur in dieser Ballade bereits sehr vertraut sind.

In einem Jahr kann viel passieren, doch die persönlichen Veränderungen bei allen Bandmitgliedern (Hochzeit, Kinder, Umzug) haben der Band unter dem Strich gut getan. Ich will jetzt nicht davon sprechen, dass sich „Traumtänzer“ erwachsener oder reifer anhört, sondern eher darüber, dass dieses Album in meinen Augen auch den simplen Titel „Schandmaul“ tragen könnte, denn unter dem Strich ist „Traumtänzer“ genau das, was ich von Thomas, Anna, Birgit, Matthias, Ducky und Stefan hören möchte. Manchmal liegt die Kunst in der Einfachheit eines instrumental hervorragend gestalteten Mittelalterrocks – und davon werden sich bald alle überzeugen können.

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