Konzertbericht: Impericon Never Say Die Tour 2012

2012-10-26 Kulturfabrik Esch-Sur-Alzette, Luxemburg

Die Kulturfarbrik in Esch-Sur-Alzette in Luxemburg ist für deutsche Staatsbürger nun wirklich nicht die gewöhnlichste aller Konzertlocations, für mich als momentan in Dijon im französischen Burgund lebenden deutschen Exilstudenten jedoch eine ernstzunehmende Option, vor allem wenn die seit Jahren stets hochkarätig besetzte IMPERICON NEVER SAY DIE TOUR dort Halt macht. Dieses Jahr stehen rekordverdächtige acht (!) Bands im Line-Up, darunter Kracher wie die amerikanischen Hardcore-/Metalcore-Veteranen STICK TO YOUR GUNS und die neu formierten OBEY THE BRAVE um Ex-Despised-Icon-Fronter Alex Erian. Für die jüngeren Zuschauer stehen als Headliner die Post-Hardcore-Formationen WE CAME AS ROMANS und BLESS THE FALL bereit, die mit allerlei Schmalz und Tränendrüsen-Hardcore aufwarten.

Zum Auftakt gibt es jedoch etwas Ungewohntes: Einen DJ, der am Mischpult steht, sich selbst AT DAWN WE RAGE nennt, und der Dubstep spielt. Mehr macht er eigentlich aber auch nicht. Außer sich am Ende zu verabschieden.

Den wirklichen Auftakt machen dann die Amis von THE BROWNING, die im Einheitslook, bestehend aus schwarzen, ärmellosen Kapuzenpullis, die Bühne betreten und erstmal ein Dubstep-Intro vom Stapel lassen. Soweit also nichts Neues. Getragen von einem absolut fetten Sound lässt die Band darauf allerdings ein Feuerwerk aus schrägen, elektronischen Sounds, extrem coolen Keyboardflächen und massiven Gitarrenwänden folgen, der die Zuschauer im mit etwa 200 Leuten bereits sehr gut gefüllten Venue sofort mitzureißen weiß. Die Band versteht es bei diesem Auftritt perfekt, aus ihren tanzbaren Two-Step-Parts und den knallenden Breakdown-Passagen ein stimmiges Ganzes zu formen – das macht verdammt viel Laune. Die sympathischen Ansagen von Fronter Johnny McBee tragen ihr Übriges dazu bei, dass man diesen Gig durchaus als einen, für einen Opener, gutklassigen betrachten darf. THE BROWNING haben heute alles richtig gemacht.

Doch da an einem Abend mit acht Bands schon rein statistisch gesehen mindestens eine mies sein muss, geht es mit einem krassen Niveau-Abfall weiter: In Form von AT THE SKYLINES, die an diesem Abend zeigen, wie es klingt, wenn man vieles versucht, aber nichts davon richtig kann. Es ist schon schlimm genug, wenn in Liedern wie „It’s Cherried“ Backstreet-Boys-artige Jammerparts auf Null-Acht-Fünfzehn-Breakdowns treffen. Wenn der Sänger besagter Band die Gesangsparts dann aber auch noch derart schlecht performt, dass man am liebsten auf die Toilette oder ins Freie verschwinden möchte, ist der Spaß vorbei. Aus welchem Blickwinkel man es auch betrachtet, bei AT THE SKYLINES passt nichts zusammen: Die Growls mittelmäßig, der Gesang schlecht, die Songs zu unstrukturiert und auf gut Glück zusammengeworfen und das ganze Bandkonzept ohnehin fürn Arsch oder schon zehn Mal besser gesehen. Macht: Eine Band, die man gerne verpassen darf.

Gut, dass auf dieses musikalische Lowlight mit den kanadischen OBEY THE BRAVE mein persönlicher Favorit des Abends folgt: Mit ihrem Debüt-Album „Young Blood“ im Rücken, das vor gut zwei Monaten in Europa erschienen ist, hat sich die Band zum ersten Mal in dieser Form in hiesige Gefilde gewagt und legt mit einem pompösen Intro los, auf das der Album-Opener „Lifestyle“ folgt. Einmal in Fahrt, feuern OBEY THE BRAVE mit „It Starts Today“ die erste Salve verdammt packenden, melodischen Hard-/Metalcores auf die Zuschauer ab, die aber zunächst trotz bombastischen Klangs noch nicht so richtig in Fahrt kommen. Erst nachdem Erian circa drei- bis viermal einen „Circle Fucking Pit“ fordert, begeben sich einige Dutzend Hardcore-Fans zum schnellen „Early Graves“ in Bewegung. Richtig Stimmung kommt auf, als der aus Montréal stammende Erian eine Begrüßung an „tous les francophones de la place“ rausschickt und den einzigen französischsprachigen Song der Band, „Garde La Tête Froide“ (Behalt‘ einen kühlen Kopf) ankündigt, der mit seinen Metalcore-lastigen Halftime-Beats zu Beginn aus dem Moshpit ein wahres Schlachtfeld macht und in den Two-Step-tauglichen Parts für derart viele tanzende Hardcore-Fans sorgt, dass daraus eine riesige, pogende Masse wird – ein großer Spaß.

OBEY THE BRAVE können ab diesem Zeitpunkt ohnehin schon nichts mehr falsch machen – haben sie sich doch die beiden fettesten Songs ihrer Playlist für das Ende aufgehoben: Das temporeiche „Time For A Change“ und die Hitsingle „Live And Learn“, die von den Fans frenetisch gefeiert wird.

Ein wenig schade ist es, dass das Publikum aufgrund des (noch) geringen Bekanntheitsgrades der Band nicht in die an sich äußerst mitsingtauglichen Refrains der Band einstimmt. Trotz allem gibt sich Erian äußerst erfreut auf Grund des guten Anklangs. Nicht zuletzt deswegen kommen OBEY THE BRAVE, von ihrer großartigen Performance abgesehen, auch unheimlich sympathisch rüber.

Setlist OBEY THE BRAVE:
01. Lifestyle
02. It Starts Today
03. Early Graves
04. Garde La Tête Froide
05. Vice
06. Get Real
07. Time For A Change
08. Live And Learn

Die zweite Hälfte des Abends eröffnen die Amerikaner FOR THE FALLEN DREAMS. Die Band um Frontmann Dylan Richter, der mit seinen Tätowierungen von der Kinn- bis zur Fingerspitze ein bisschen wie der Zwillingsbruder von Obey-The-Brave-Bassist Miguel Lepage aussieht, ist zwischen Obey The Brave und Stick To Your Guns perfekt aufgehoben, da sie mit ihrem melancholisch angehauchten, zumeist im Midtempo angesiedelten Hardcore an Bands wie Carpathian oder Hundredth, in den schnelleren Passagen auch an Confession erinnern und das Ganze mit feinen Melodien ergänzen. So feiert auch das Publikum die Band angemessen ab.

Dann ist es Zeit für den heimlichen Headliner des Abends: STICK TO YOUR GUNS. Die Aufbauphase gestaltet sich für die Südstaatler auf Grund einiger technischer Probleme etwas schwierig, doch einmal in Fahrt gekommen, kann das Fünfmann-Hardcore-Kommando nichts mehr stoppen. Der charismatische Sänger der Band, Jesse Barnett, wuselt wie ein Derwisch über die Bühne und fordert Moshpits ohne Ende – weiß aber gleichzeitig die Show der Band um einiges an Atmosphäre zu bereichern, indem er vor jedem Song ausführliche Ansagen über dessen Entstehungsgeschichte und Hintergründe macht. Gleichzeitig entsteht eine unheimliche Dynamik dadurch, dass mit Evergreen-Terrace-Gitarrist und Ex-Casey-Jones-Frontmann Josh James und Bassist Andrew Rose quasi drei vollwertige Sänger auf der Bühne stehen. Bei Hymnen wie „We Still Believe“ und „Bringing You Down“ kommt große Stimmung auf. Der absolute Höhepunkt der Show folgt jedoch noch in Form von „Built Upon The Sand“; einer Geschichte über den Cousin von Sänger Burnett, der nach einem „act of unspeakable violence“ (Burnett) lebenslang im Gefängnis sitzt. Die Art und Weise, wie die melancholischen Gitarrenmelodien und Burnetts geschriene Worte „I Understand You“ durch die Boxen fliegen, jagt einem eine Gänsehaut über den Rücken. Dass einige Fans das Violent Dancing vom Zeitvertreib zur Hauptbeschäftigung machen und in der Mitte des Gigs eine Schlägerei starten, stört da nur wenig – denn es dient Burnett als Steilvorlage, um sehr gepfefferte Kritik an einigen Kollegen zu üben „This is what the scene has become like: It’s more of a dick measuring contest than anything else […].“

Nach so einer Show kann man sich diese Worte durchaus erlauben: Was STICK TO YOUR GUNS an diesem Abend ablieferten, war Hardcore in Perfektion. Da konnten die beiden Headliner auf dem Papier schon vorher einpacken…

…mag man sich denken. Weit gefehlt, denn in dem Moment, in dem BLESS THE FALL die Bühne betreten, steigt der Geräuschpegel ins Unermessliche, was allerdings zu 100 % dem anwesenden (größtenteils weiblichen) minderjährigen Publikum anzukreiden ist, das sich angesichts des Sängers der Band, der aussieht, als wäre er dem Cover der Bravo entflohen und der außerdem schon beim Soundcheck mit seiner verstörend nach Alfred Jodokus Quack klingenden Stimme nervt, in hysterische Ekstase steigert.

Der Band kann man handwerklich nichts vorwerfen, da sie durchaus gekonnt interpretierte Metalcore-Harmonien in typischer Weise mit Breakdowns kombiniert. Dass das ganze Bandkonzept aber einfach nur überflüssig ist, beweisen auch die Reaktionen der Fans: Alle oben bereits Erwähnten interessieren sich kaum für die Musik, sondern versuchen höchstens mit aller Macht, Sänger Beau Bokan (warum klingt das eigentlich so sehr nach Pornodarsteller?) einmal während des Konzerts anzugrapschen, während der Rest der anwesenden Gäste sich entweder in den Nebenraum verzieht oder sich gegenseitig auf besonders infantile Art und Weise zu verhauen versucht. Wenn der gute Mann live wenigstens so gut singen könnte, wie es die mit unendlich Autotune und Hall versehene Studioversion vermuten lässt, wäre das ja vielleicht noch annehmbar. So sind aber nicht die kreischenden Weiber Hauptgrund für Kopfschmerzen.

Das können WE CAME AS ROMANS eigentlich nur besser machen. Denkt man sich. Eine einmalige Hörprobe ihres „Hits“ „To Move On Is To Grow“, der wie die Disco-Version eines Westlife-Songs klingt, lässt aber schon vorausahnen, dass die Vorgehensweise im Prinzip dieselbe ist. Man nehme: Zwei Sänger. Einen, um alibimäßig ein bisschen rumzugrunzen und einen, damit die Mädels was zum Anfassen haben. Dazu allerlei weichgespülte Keyboard-Suppe und ein paar Männeken im Hintergrund, weil eine „Post-Hardcore“-Band nunmal nicht nur aus zwei Menschen besteht. Zuletzt: Sinnlose Effekthascherei und Gitarristen, deren Melodien sowieso von viel zu viel Synthesizern überlagert werden. Heraus kommt: Der Headliner des Abends.

Man muss sich fragen, wie den Mitgliedern der Band diese Musik selbst gefallen kann. Nur weil die Herren nicht gut genug singen oder tanzen können, um beim Supertalent aufzutreten, müssen sie doch nicht so tun, als könnten sie Metalcore spielen. Also bitte: Versuchts doch noch einmal bei Dieter Bohlen oder macht halt Popmusik. Denn auch wenn das in den Ohren von Teenagern, denen schlechte Popmusik zu langweilig und normaler Hardcore eben zu Hardcore ist, vielleicht als kleinster gemeinsamer Nenner gut ankommt, ist es in letzter Konsequenz einfach nur Mist.

Letztendlich sind es vor allem die Vorbands, die den Eintrittspreis rechtfertigen: OBEY THE BRAVE, STICK TO YOUR GUNS, FOR THE FALLEN DREAMS und THE BROWNING sind an diesem Abend allesamt sehr gut bis absolut hervorragend. Den Rest kann man da auch getrost vergessen.

Anm. d. Red.: Das Bild von Alex Erian von OBEY THE BRAVE wurde während der Show in Stuttgart aufgenommen.

Publiziert am von Pascal Stieler

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