Interview mit Michael Grandjean von Bochumer Symphoniker

Wo stünde die Musik eigentlich ohne die Meister, jene (Vor-) Zeitgenossen, die durch ihr Werk und Wirken Generationen von Musikern beeinflusst haben? Nein, hier ist nicht von den üblichen Verdächtigen wie den BEATLES, ROLLING STONES oder IRON MAIDEN die Rede, sondern von wirklichen Geistern wie JOHANN SEBASTIAN BACH, GEORG FRIEDRICH HÄNDEL, GUISEPPE VERDI und wie sie alle heißen. Um diesen Personenkreis und die dahinter stehende Musik etwas transparenter zu machen, fühlten wir einem Kenner der Szene auf den Zahn: Michael Grandjean, seines Zeichens Violinist bei den „Bochumer Symphonikern“, stand Rede und Antwort.

Hy Herr Grandjean, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses aus unserer Sicht etwas ungewöhnliche Interview nehmen.

Das mache ich gerne, auch wenn es leider lange gedauert hat.

Sie spielen Violine bei den Bochumer Symphonikern. Erzählen Sie doch bitte etwas über das Orchester.

Das Orchester besteht aus ca. 85 Musikern. Seit 1919 fehlt uns leider eine eigene Spielstätte, wir pendeln ständig von unserem Probenort an der Prinz-Regent-Str. zu den Konzertorten. Das Schauspielhaus ist eigentlich für das Sprechtheater gebaut, deshalb ist die Akustik dort nicht besonders für klassische Musik; ähnliches gilt für das Audimax der Ruhr-Universität. In den richtigen Konzertsälen (Philharmonien in Köln, Essen und Dortmund) bspw. erlebt man erst richtig, wie gut unser Orchester klingen kann. In den letzten Jahren sind viele neue Musiker(innen) zu uns gekommen; das Niveau ist z. Zt. sehr hoch. Freuen wir uns auf die „Bochumer Symphonie“, damit das auch für die Bochumer so erlebbar wird.
Und nicht zuletzt, damit wir dann in diesem Haus, dem Haus der Musik, endlich auch spontan und viel intensiver als bisher, uns öffnen können für Schulklassen etc.

Spielen Sie neben der Geige auch (ein) weitere(s) Instrument(e)?

Früher habe ich viel Blockflöte gespielt, etwas Klavier, aber vor allem Bratsche.Diese Instrumente spiele ich allerdings nicht im Orchester.

Ist es Ihr alleiniger Beruf, bei den Bochumer Symphonikern zu spielen?

Musiker in einem Profiorchester zu sein, ist ein Hauptberuf. Viele Musiker spielen nebenbei Kammermusik oder unterrichten, manche an Musikschulen, manche privat. Aber das Orchesterspielen bleibt immer die Hauptaufgabe.

Wie lange spielen Sie schon dort?

Seit 1981

Wie lange üben Sie eigentlich jeden Tag privat und wie viel Zeit wenden Sie für Orchesterproben auf?

Das private Üben hängt vom Tagesablauf ab. Wenn neue Stücke zu erlernen sind, kann das mehrere Stunden dauern, zusätzlich zum normalen Üben, vergleichbar mit einem Sportler, der ja auch immer fit sein muss. Wenn die Proben- und Konzerttätigkeit im Orchester sehr intensiv ist, verschiebt sich all das mehr auf die orchesterfreie Zeit.Unsere reine Arbeitszeit im Orchester ist schwer zu beziffern; man kann von durchschnittlich 20 bis 22 Stunden pro Woche ausgehen. Hierbei ist zu bedenken, dass dazu noch die Anreise- und Reservezeit zu den Proben und Aufführungen kommt, (im Schnitt zweimal pro Tag), sowie Reisen zu Gastspielorten etc.

Sind Sie schon mal völlig verzweifelt an einem Stück?

Vom Spielen her nicht, allerdings schon, was den „musikalischen Gehalt“ des Werkes anging.

Gibt es generell Komponisten, die Sie sehr bevorzugen oder hängt das immer vom jeweiligen Werk ab?

Sehr gern spiele ich Mozart, und Brahms. Ansonsten gibt es in jeder Epoche gute und schlechte Musik; gute Musik liebe ich in allen Epochen.

Es gibt diverse Berührungspunkte zwischen der klassischen Musik und Metal (viele Musiker verehren beispielsweise die Wucht eines Richard Wagner oder die meisterhafte Filigranität von Mozart). Haben Sie mit Metal schon Erfahrungen gesammelt?

Eher weniger

Freuen Sie sich, wenn Sie hören, dass Rock- oder Metal-Bands Orchester bzw. klassische Instrumente einsetzen oder ist es für Sie eine Art „Frevelei“?

Hier gilt für mich, was ich oben schon sagte: Wenn die Musik gut ist, also spannend, vielfältig, wenn sie mich berührt, dann hat das seine volle Berechtigung. Wenn es nur zur Show eingesetzt wird, ist es überflüssig. Aber Frevelei würde ich das nicht nennen. Vielleicht gefällt es ja anderen.

Ich war im Februar im „Ruhrcongress“ und habe die Warschauer Philharmoniker mit dem „Herr der Ringe“-Soundtrack gesehen. Wie ist aus Ihrer Einschätzung das Niveau solcher Soundtracks anzusiedeln? Dass der Klassik sonst eher abgeneigte Publikum verneigt sich ja gerne vor Komponisten wie Howard Shore oder Hans Zimmer, aber sind die wirklich so gut?

Die Musik von Herr der Ringe kenne ich nicht im Detail; ich erinnere mich nur, dass ich den Eindruck hatte, sie passt sehr gut zur Untermalung des Filmgeschehens. Das ist nicht einfach, so etwas zu konzipieren und auszuarbeiten.
Wir haben vor einiger Zeit die Musik zu einem Computerspiel (Gothic3) eingespielt. Es waren wunderbare Melodien dabei, viel Dramatik, sehr gute Unterstützung der einzelnen Sequenzen. Diese Musik hat ihre Berechtigung und, wenn sie gut gemacht ist, durchaus eine künstlerische Legitimation.

Gibt es aus Ihrer Sicht heute noch Komponisten, die den „Spirit“ der alten Meister noch haben oder wird es Genies wie Mozart nie mehr geben?

Eine sehr schwierige Frage; eigentlich kann man sie erst in ein paar Jahrzehnten beantworten, wenn man sieht, welche Werke immer noch gefragt sind.

Spielen Sie ausschließlich klassische Stücke oder haben Sie schon einmal in einem Orchester mit einer Band zusammen gespielt? (wenn nein: würde Sie ein solches Projekt reizen?)

Vor ein paar Jahren haben wir mit einer Band Titel von STING gespielt; war sehr erfolgreich.

Wie hoch ist die Fluktuation der Musiker bei den Bochumer Symphonikern? Werden häufig Musiker ausgetauscht?

Ein „Austauschen“ von Musikern gibt es nicht. Wenn Stellen frei werden, werden sie in der Fachpresse ausgeschrieben. Von den ca. 50 bis 150 Bewerbungen (und mehr) werden durch das Orchester etwa 30 zum „Probespiel“ eingeladen. Häufig wird vorher noch ein „Vorprobespiel“ durchgeführt, in dem sich Bewerber für das eigentliche Probespiel qualifizieren können. Am Tag des „Probespiels“ entscheidet das gesamte Orchester nach mehreren Durchgängen, ob ein Kandidat(in) für die Stelle geeignet zu sein scheint. Danach gibt es einen einjährigen Zeitvertrag. In dieser Zeit werden alle anderen Parameter, die für eine Tätigkeit im Orchester wichtig sind, geprüft. Erst dann entscheidet das Orchester, ob der Kandidat(in) dauerhaft ins Orchester übernommen wird.

Juckt es Ihnen eigentlich manchmal in den Fingern und sie würden gerne selber Musik schreiben? Ohne despektierlich klingen zu wollen, ist es ja streng genommen so, dass Orchester „nur“ „covern“.

Nein, das reizt mich nicht besonders. Was ich persönlich allerdings häufig mache, sind Arrangements für Salonorchester.

Hören Sie privat auch andere Musik als Klassik?

Privat höre ich relativ wenig Musik, ganz selten Klassik. Dies hängt damit zusammen, dass man oft einfach Ruhe braucht, wenn man mehrere Stunden am Tag intensiv mit Lautstärke zu tun hat. Die Schallbelastungen in unserem Beruf sind enorm.

Schauen Sie sich selber Konzerte anderer Orchester (oder Bands) an?

Manchmal, schon aus Gründen des Vergleichens, um nicht „betriebsblind“ zu werden, oder natürlich, wenn interessante Werke auf dem Programm stehen.

Wollten Sie schon immer Musiker werden oder hat sich das erst mit der Zeit ergeben?

Mit 16 Jahren ist die Entscheidung gefallen; und bisher habe ich es noch nicht bereut!

Haben Sie nach vielen Jahren immer noch Lampenfieber, sind Konzerte noch immer etwas Besonderes für Sie?

Konzerte sind immer etwas Besonderes. Es kommen Menschen in die Konzerte, die zum Teil sehr viel Geld ausgeben, einen hohen Erwartungsanspruch haben und offen sind für eine lebendige Auseinandersetzung mit der Musik. Da muss (und will) man natürlich fit sein und alles soll klappen, Lampenfieber habe ich nicht, eine positive Anspannung schon, und das ist wichtig, damit sich der Funken der Begeisterung auf das Publikum überträgt.

Abschließend würde ich gerne noch das Metal1-Wortspiel mit Ihnen machen. Sagen Sie, was Ihnen spontan zu den folgenden Begriffen einfällt!

Moritz Fiege (Biermarke): allgegenwärtig in Bochum, viel soziales Engagement
US-Präsidentschaftsvorausscheidungen: zu viel Show, zuwenig Inhalte
Niccolo Paganini: genialer Geiger, irrwitzige Techniken
VfL Bochum: endlich mal keine Abstiegssorgen, oft richtig guter Fußball, gehe gern ins Stadion
Assiteller: kenne ich nicht (es handelt sich dabei um eine Ruhrgebietsspezialität: Pommes mit Ketchup und Mayonaise sowie Curryworschter – Anm. d. Red.)

Vielen Dank für das Interview, wer weiß, vielleicht kann es ja den einen oder anderen Horizont erweitern. Die letzten Worte gehören obligatorisch Ihnen.

Wenn ich es geschafft haben sollte, Ihre Aufmerksamkeit für unsere Konzerte zu wecken, Sie neugierig geworden sind, würde es mich freuen. Wenn Sie es nicht schon wissen, werden Sie überrascht sein, wie vielfältig die sogenannte „klassische Musik“ ist.Herzlichen Dank für Ihre Fragen

Publiziert am von Jan Müller

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