Interview mit Oswald Henke von Goethes Erben

Bereits seit über zwanzig Jahren prägt Oswald Henke die Schwarze Szene entscheidend mit. Einen Namen machte sich der Musiker, Autor und Kolumnist in erster Linie als Frontmann und kreativer Kopf der legendären Bayreuther Musiktheater-Formation GOETHES ERBEN. Metal1.info fühlt dem deutschen Gothic-Urgestein anlässlich des Comebacks jenes Projekts auf den Zahn.

Goethes-Erben_logo

Hallo Oswald! Wie geht es dir denn momentan?
Wenn ich die Welt um mich herum betrachte, geht es mir sehr gut. Zumindest besser als 90% der Weltbevölkerung.

Du hast in den letzten MOH1_Farbe_Webonaten die ersten Liveshows mit deinem neuen Goethes-Erben-Ensemble absolviert. Bist du zufrieden? Wie waren die Publikumsreaktionen bisher?
Ich bin zufrieden, aber es gibt noch deutlich Luft nach oben. Jedoch bin ich zuversichtlich, dass alles bis zu den beiden „Menschenstille“-Aufführungen im Oktober stehen wird. Dem Publikum schienen die ersten drei Auftritte gefallen zu haben. Zumindest schließe ich das aus den Reaktionen, die uns nach den Konzerten erreicht haben.

Mindy Kumbalek, deine langjährige Kreativpartnerin, ist in der neuen Besetzung allerdings nicht mehr mit von der Partie. Fühlt es sich für dich natürlich und richtig an, nun ohne sie zu arbeiten?
Ja, denn es war ihre Entscheidung nicht weiter mitzuwirken. Wir sind ja schon vor Jahren getrennte Wege gegangen. In ihrem Leben spielt Musik keine Rolle mehr. Sie hat ihre Interessen, auch ihre kreativen Interessen, verlagert.

Mindy war damals die Hauptverantwortliche für den musikalischen Teil von Goethes Erben. Ist irgendein bestimmter Musiker des aktuellen Ensembles diesbezüglich in ihre Fußstapfen getreten, oder entsteht eure Musik nun eher als Gemeinschaftsprodukt?
Tobias Schäfer, Sonja Kraushofer und Martin Höfert haben gemeinsam diesen Platz eingenommen. Mit diesem Dreigestirn arbeite ich die Grundstrukturen der Stücke soweit aus, dass die Band dann in die vorher von uns festgelegten Arrangements einsteigen kann. Meine musikalisch rechte Hand in der Band ist Tobias Schäfer. Er trägt auch die Hauptlast der Vorbereitung, da ihm die Keyboardburg untersteht. Für das künstlerische Gesamtkonzept bin ich wie früher allein verantwortlich. Da hatte ich auch zu Mindys Zeiten freie Hand.

Wie kam das neue Ensemble denn zustande? Nach welchen Kriterien hast du dir deine neuen Musiker ausgesucht?
Mit Tobias habe ich die letzten Jahre bereits bei Henke gemeinsam Musik gemacht. Frank und Coco haben in der Vergangenheit bei Goethes Erben mitgespielt und die anderen wirkten schon beim „Rückkehr-ins-Niemandsland“-Jubiläumskonzert mit. Ich suche Musiker danach aus, ob ich Lust habe, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie das letztlich auch wollen. Außerdem müssen sie bereit sein, Zeit und Energie zu investieren.

Unter dem Titel „Rückkehr ins Niemandsland“ hast du bereits 2014 nach gut sieben Jahren Pause wieder zwei Konzerte mit den Erben gegeben. Diese sollten, wie du damals ausdrücklich betont hast, zunächst eine einmalige Angelegenheit bleiben. Was hat dich nun dazu bewogen, Goethes Erben auch längerfristig wieder zu reaktivieren?
Ich habe durch die Arbeit am Buch „Narbenverse“ gemerkt, dass ich wieder ein Musiktheaterstück umsetzen wollte und die Arbeit mit dem Niemandsland-Ensemble hat mich dann darin bestärkt, die Geschichte von Goethes Erben um ein weiteres Kapitel zu erweitern.

Die beiden 2014 bzw. 2sara_noxx_goethes_erben_-_falling_2015 veröffentlichten Split-EPs „Weg zurück“ und „Falling/Sie wusste mehr“ mit Sara Noxx beinhalten das erste neue Studiomaterial der Erben seit eurem letzten Longplayer „Dazwischen“ aus dem Jahr 2005. Warum gerade diese enge Kooperation mit Sara? Wie kam es dazu?
Es ist nur ein Stück von Goethes Erben, welches neu ist und veröffentlicht wurde. „Weg zurück“ ist eine Sara-Noxx-Veröffentlichung featuring Goethes Erben. Die Grundkomposition gab es bereits und Frau Noxx fragte mich vor Monaten, ob ich Lust auf ein Duett hätte. Aus meinem „Ja“ resultierte dann das erstes kreative Ergebnis nach der Reaktivierung von Goethes Erben. Tobias Schäfer und ich haben die Grundkomposition auch sehr verändert. Wir hatten schon Angst, ihr würde es nicht gefallen. Aber sie war so begeistert, dass sie uns noch ein zweites Stück zur Bearbeitung anbot. Und da ihr das auch gefallen hat, ergab es sich, dass wir eine Split-Single veröffentlicht haben. Hier ist auch ihre Stimme auf der Duett-Version von „Sie wusste mehr“ zu hören. Die Zusammenarbeit mit Sara Noxx hat gut funktioniert und beiden Seiten Spaß gemacht.

 Ihr seid mit eurer EP „Falling/Sie wusste mehr“ auf einem erstaunlich hohen zweiten Platz in den deutschen Alternative-Charts gelandet, und das direkt hinter Lindemanns „Praise Abort“. Bedeuten dir solche Plazierungen etwas?
Wir sind sogar Anfang der zweiten VÖ-Woche auf Platz 1 gestiegen. Vor Lindemanns Veröffentlichung. Solche Platzierungen schmeicheln, aber haben absolut keine Aussage über den wirtschaftlichen Erfolg eines Stückes oder einer Veröffentlichung.

Führt ihr die Stücke der beiden EPs auch live auf? Und wenn ja: Wird Sara dann als Gastmusikerin auftreten? Schließlich ist sie kein reguläres Erben-Mitglied.
Nein, gemeinsame Liveauftritte sind nicht geplant und wir spielen die neue Single „Sie wusste mehr“ live auch nur in der Goethes-Erben-Version.

Kommen wir doch auf euer Anfang Oktober anstehendes Theater-Projekt „Menschenstille“ zu sprechen. Worum geht es dabei inhaltlich?
Um das Recht zu leben und das Recht auch selbstbestimmt sterben zu dürfen. Aber gerade bei Letzterem sollte man sich auch die Konsequenzen für die Überlebenden bewusst machen. Manche Menschen wollen gerne weiterleben und werden aus dem Leben gerissen. Andere Menschen möchten ihr Leben nicht mehr weiterleben… In „Menschenstille“ versuchen acht Seelen von Menschen, die nicht sterben wollten, aber sterben mussten, einen Menschen davon zu überzeugen, das eigene Leben, das er beenden möchte, weiterzuleben…

Das Thema Suizid hast du ja in der Vergangenheit bereits mehrfach behandelt. Vor etlichen Jahren hat eine junge Frau den Abschiedsbrief ihres Bruders, in welchem auch die Erben erwähnt wurden, an dich weitergeleitet. Gehst du seitdem anders an diese Thematik heran? Schließlich zeigen solche Ereignisse sehr eindrucksvoll, wie viel Verantwortung ein Künstler für seine Fans letztendlich trägt.
Egal wie dunkel eine Handlung ist: Das Wichtigste ist, dass man einen Funken Hoffnung auftauchen lässt.

Was kann man denn auf rein musikalischer Ebene von „Menschenstille“ erwarten? Eine stilistische Fortsetzung der letzten Goethes-Erben-Platten „Nichts bleibt wie es war“ und „Dazwischen“? Oder hat sich mit dem Besetzungswechsel auch die Musik hörbar verändert?
Wir haben in Berlin, Antwerpen und Leipzig schon erste Stücke aus „Menschenstille“ gespielt. Wer dort war weiß, dass man wieder mit ALLEM rechnen darf… (lacht)

Wie das bei einem Theaterstück eben so ist, werden an „Menschenstille“ nicht nur die Goethes-Erben-Musiker, sondern auch beispielsweise
Tänzer mitwirken. Setzt ihr euch damit nicht einem immensen finanziellen Risiko aus und betreibt ihr damit nicht einen unverhältnismäßig großen Aufwand für nur zwei Aufführungen?
Aus dem Grund bin ich kein Buchhalter geworden. Alle Goethes-Erben-Konzerte in diesem Jahr finanzieren „Menschenstille“ mit. Ein neues Album aufzunehmen ist ein größeres Risiko. Das lasse ich auch vorerst bleiben. Die Split-Single hat hier auch ein klares Votum abgeben: Hände weg von weiteren Tonträgerveröffentlichungen. Sie sind derzeit ein finanzielles Grab.
Dennoch werde ich „Menschenstille“ wieder mitfilmen lassen. Davon wird es dann wohl eine Blue-ray-Veröffentlichung geben. Aber eben Bild und Ton und ohne Veröffentlichungs-Tamtam. Sie erscheint wieder nur für die Fans, die sie auch wirklich möchten. Der offizielle Handel bleibt auch diesmal außen vor. So spart man sich unnötige Werbung, die am Ende nur viel Geld kostet und wenig Auswirkung auf Verkäufe hat.

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Von Anfang an hast du deine Alben nicht für Streamingdienste und Downloadplattformen freigegeben. Obwohl immer mehr Erben-Alben ausverkauft sind, planst du nicht, neue Exemplare nachproduzieren zu lassen. Verleihst du damit deiner Frustration den neuen, für dich als Künstler nicht immer vorteilhaften Veränderungen in der Musikindustrie auf deine Weise Ausdruck?
Ich lasse mich eben nicht mehr frustrieren (lacht). Ich spiele nur nicht mehr mit. Zum Thema Streaming kann ich euch aber noch einen Artikel empfehlen. Die Henke-Stücke gibt es übrigens als kostenpflichtige MP3-Downloads. Doch es sind durch diese Art der Vermarktung keine 100 Euro Tantiemen zurück geflossen… Also wozu sollte man ein solches System füttern?

Das war es dann auch schon fast. Beenden würde ich das Interview gerne mit dem traditionellen Metal1.info-Brainstorming. Dabei nenne ich dir Begriffe, zu denen du bitte kurz und bündig deine ersten Gedanken äußerst.
Metal: Tradition
Bayreuth:
Festspielstadt, die den Anschluss verpassen wird.
Richard Wagner:
Großer Komponist. Polarisiert und das ist wichtig…
Optimismus:
Von Allem zu viel ist schädlich.
Lieblingsalbum:
Gibt es derzeit keines.
Unheilig:
Neuer Deutscher Schlager – NDS

Dann bedanke ich mich, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Die letzten Worte gehören dir. Gibt es etwas, das du deinen Fans gerne noch mitteilen möchtest?
Nehmt das an, was angeboten wird und wartet nicht auf Dinge, die vielleicht kommen könnten…

Publiziert am von Nico Schwappacher

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