Konzertbericht: Riverside

2006-04-26 Verviers, Spirit Of 66

Seit der Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Second Life Syndrome“ unter den Segeln von InsideOut Music sind RIVERSIDE vom hochgelobten Szene-Act zu einer ernsthaften Prog- und New-Artrock-Größe aufgestiegen. Im April und Mai dieses Jahres absolvieren die vier sympathischen Polen also völlig zurecht ihre erste Headliner-Tour. In Polen gab es gleich eine handvoll Konzerte, Deutschland ist mit nur zwei Gigs in Oberhausen und Reichenbach eher schwächlich vertreten. Da diese Konzerte auch noch in der Woche lagen und nicht in unmittelbarer Nähe meines Wohnorts stattfanden, blieb mir also nichts anderes übrig, als endlich mal in den Prog-Schuppen schlechthin zu fahren: Das „Spirit Of 66“ im belgischen Verviers. Hier spielt alles, was im Prog auch nur annährend von Interesse ist. Da auch mein Metal1.Kollege Daniel Hinrichsmeyer vom Riverside-Virus infiziert wurde, nahm er den weiten Weg aus dem schönen Niedersachsen bis zu mir per Bahn auf sich. Zusammen mit Prog-Kumpel Gunnar ging es dann anschließend im Metal1.Partybus (meinem Ford Fiesta) auf in Richtung Belgien. An diesem Samstag sollte es also endlich soweit sein.

Wir hatten uns viel vorgenommen: An diesem Abend sollten Daniel und ich, unterstützt von Gunnar, unser erstes FaceToFace-Interview, dazu noch in Englisch, führen. Eine gewisse Anspannung und Nervösität lag also in der Luft, als wir nach gut 1 ½ Stunden völlig problemlos Verviers erreicht hatten. Vor Ort verbrachten wir allerdings ersteinmal eine gute halbe Stunde damit, dass „Spirit Of 66“ ausfindig zu machen. Da Schild und Eingang des kleinen Ladens sehr versteckt waren, sind wir doch tatsächlich zweimal dran vorbeigelaufen, ohne es zu bemerken. Dann ging es aber straight in den Konzertsaal, der Laden war schon auf, obwohl noch kein Einlass war und die Band noch ihren Soundcheck machte. Dort meldete ich unsere Ankunft an und sagte Bescheid, dass wir ein Interview machen wollten bzw. das so abgesprochen war. Meine Kontaktperson sicherte mir zu, dass dies möglich ist. Allerdings wollte er nur einem von uns eine Akkreditierung gewähren, anders also, als mit der Plattenfirma abgesprochen. Zum Zeitpunkt des tatsächlichen Einlasses, der sich um eine gute halbe Stunde auf 20:30 verspätete, war es Daniel und mir dann aber doch problemlos möglich, als Presseleute in die Halle zu kommen. Der Mann an der Kasse hatte unsere beiden Namen erhalten. Nun ging es also weiter: Ran an den Merchandising-Stand und erst mal erkundigt, wie es denn um das Interview steht. Man bat uns dann, dass Interview eventuell nach der Show zu machen, was wir auch taten.

Um 21:30 ging es dann also endlich los. Die recht kleine Location war zu meiner Überraschung tatsächlich fast ausverkauft. Gut 300 Leute mögen sich die Band an diesem Abend gegeben haben. Die vier Jungs kamen einfach auf die Bühne und starteten mit einem leisen Intro, dass sich über etliche Minuten hinzog und immer mehr an Dynamik und Härte gewann, die Band spielte sich förmlich in Extase und dürfte danach gut aufgewärmt gewesen sein. Als besonderes Schmankerl baute man im Mittelteil dann noch einen Ausschnitt aus dem Pink Floyd-Song „Shine On You Crazy Diamond“ ein. Praktisch fließend war der Übergang in den ersten „richtigen“ Song. Dass dies ausgerechnet „Conceiving You“ sein würde, war schon eine kleine Überraschung. Zu Beginn eines Konzertes eine so ruhige Nummer zu bringen, ist schon sehr mutig. Aber da Sound, Performance und Lichtshow optimal waren, schaffte die Band es spielerisch, die Magie des Songs auch live rüberzubringen. Das ist und bleibt meine Lieblingsballade des Jahres 2005. Erstaunlicherweise war das Publikum schon nach diesem Song sofort Feuer und Flamme und jubelte lauthals. Die Stimmung war geradezu hervorragend und sollte im späteren Verlauf des Konzertes beinahe überkochen. So etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Wo ich grad vom Publikum spreche: Wohl nur sehr selten hat man auf einem Prog-Konzert so viele weibliche Besucherinnen und viele verschiedene Altersklassen gesehen. Von jungen, vierzehnjährigen Mädchen bis zum Altrocker war alles dabei. Als nächstes gab es den Titelsong des Debütalbums „Out Of Myself“, gefolgt von dem mitreißenden und unglaublich rockigen „Reality Dream I“. Allgemein war ganz klar zu erkennen, dass RIVERSIDE ihr Material live mit einer zusätzlichen Portion Härte und Dynamik präsentieren. Das ging schon sehr gut ab! Als nächstes kündigte Mariusz Duda das Über-Epic „Second Life Syndrome“ an. Dieser Song übertraf so ziemlich alles, was an diesem Abend sonst noch so gespielt wurde. Fantastisch, wie detailgetreu und mitreißend die Nummer live umgesetzt wurde, man konnte den nächsten Part vor lauter Spielfreude der Band praktisch kaum erwarten. Die Jungs waren definitiv sehr gut drauf – es fiel aber auch auf, dass sie selbst sehr in ihrer Musik versinken: Praktisch alle, insbesondere aber Bassist und Sänger Mariusz und Keyboarder Michal spielten einen Großteil des Gigs beinahe blind, schlossen laufend ihre Augen und genossen schlicht die Atmosphäre, die sie selbst kreierten. Mit „Artificial Smile“ hatte Mariusz dann auch endlich ausführlich Gelegenheit, seine Growls auch live zu präsentieren. Und hier muss ich ehrlich sagen, dass ich nicht gedacht hätte, dass er es so spielerisch schafft, vom einen auf den anderen Moment zwischen wunderschönem Gesang und düsteren Growlattacken zu wechseln. Dies gelang ihm praktisch mühelos, als wäre es etwas ganz Normales. Übrigens unglaublich, wie viel Energie in diesem Momenten rüberkommt. Das ist Aggression pur.

Genau wie diese Aggression gehören natürlich auch die traumhaften, epischen, lyrischen Gitarrenlicks von Piotr Grudzinski dazu. Auch diese waren live fantastisch klar und unheimlich stimmungsgeladen. „I Believe“ bescherte mir dann den wohl emotionalsten Moment des Abends, ich denke, dass gilt ebenso auch für Daniel. Als ich bei dem Intro erkannte, dass nun „I Believe“ folgen musste, übermannte mich eine Ganzkörper-Gänsehaut. Ich kann gar nicht so genau sagen warum, aber auch eine kleine Träne musste ich verdrücken, als Marius dann „in this moment, I believe….“ sang. Unheimlich intensiv und wunderschön. Mit „Acronym Love“ (einem Song von der „Voices In My Head“-EP) ging es ähnlich traumhaft weiter. Während „Reality Dream II“ und „Dance With The Shadow“ war dann aber wieder abrocken angesagt. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass wir drei die einzigen waren, die die rockigen Parts auch mit Headbanging bedachten. So nahe können Spaß und Emotionen pur beieinander liegen. Es war wie ein Rausch! Und es ging auch viel zu schnell zu Ende. Es folgte nur noch „The Curtain Falls“, dann verschwand die Band schon nach und nach von der Bühne, bis auch Keyboarder Michal unter atmosphärischen, sanften Klängen als Letzter von der Bühne ging. Ich schaute kurz auf die Uhr. Es war Punkt 23 Uhr. Unglaublich, dass schon 1 ½ Stunden vergangen waren.

Doch schon bald waren die vier Herrschaften wieder da und begannen mit „The Same River“ die erste von insgesamt vier Zugaben. Auf dem Album hatte mich dieser Track nie so richtig überzeugt, zu zerklüftet, in zu viele Sequenzen geteilt, wirkte er. Live kam das jedoch ganz anders rüber. Hier hat der Song definitiv an Tiefe gewonnen! Nachdem mit „Reality Dream III“ auch der letzte der drei bisher veröffentlichten Instrumentals gespielt war (und von uns mit allerlei Luftkeyboards, Luftschlagzeug, Luftbass und Luftgitarre abgefeiert wurde), kam noch mal ein absoluter Oberhammer. Gott sei Dank hatten RIVERSIDE „Loose Heart“ nicht vergessen! Ich liebe diesen Track und es war einfach fantastisch, ihn live performt zu hören. Ich wünschte mir, dieses Lied würde nie enden. Mit „Second Live Syndrome“ und „I Believe“ auf jeden Fall mein Highlight des Abends. Danach verschwand die Band abermals, kam aber für eine weiteren Song noch mal wieder. Genauso wie das aktuelle Album sollte auch der Abend im „Spirit Of 66“ mit dem atmosphärischen, ruhigen „Before“ beendet werden. Ein schöner Schlusspunkt für ein überaus tolles Konzert mit ziemlich genau 110 Minuten reinem Ohrgasmus. Für mich steht fest: RIVERSIDE sind live noch besser als auf Platte! Vorallem Mariusz Duda überzeugte mich mit seinem Gesang – ich hätte nie gedacht, dass der auch live so gut rüberkommt. Dies wird definitiv nicht mein letztes RIVERSIDE-Konzert gewesen sein.

Nachdem das Hallenlicht wieder angegangen war, blickte man in lauter strahlende, glückliche Gesichter. Es folgte Musik vom Band: „Kayleigh“ von Marillion – wohl um auf den Auftritt von Ex-Marillion-Sänger Fish am Folgetag hinzuweisen. Daniel, Gunnar und ich ließen uns nicht lange bitten und legte eine inbrünstige Sangesperformance hin. Erstaunlicherweise waren wir nicht die einzigen, die damit begannen. Vielleicht noch der entgültige Beweis dafür, wie heiß das Publikum während des Konzertes wirklich war. Die Stimmung war wirklich am Siedepunkt.

Nachdem der Flüssigkeitsvorrat an der Theke aufgefrischt wurde, deckten Daniel und ich uns erst einmal mit einem „Second Life Syndrome“-Shirt ein. Die Bandmitglieder mischten sich während dieser Zeit unter das immer noch anwesende Publikum und standen für Smalltalk und Unterschriften zur Verfügung. Als der Andrang dann so langsam abnahm, ging ich auf Mariusz zu und wies ihn auf unser Interview hin, an das er sich tatsächlich erinnerte. Wenig später waren wir also Backstage und sprachen mit dem überaus normalen, charismatischen und sichtlich erschöpften Frontman über allerlei Dinge aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und konnten dabei einige interessante Details erfahren. Nur nebenbei sei erwähnt, dass man sich wohl keinen verständnisvolleren Interviewpartner als Mariusz für ein Interview-Debüt in Englisch wünschen kann. Dieses Gespräch rundete den Abend nun vollständig ab und machte ihn zu einem absolut unvergesslichen Erlebnis.

Bleibt nur zu hoffen, dass wir schon bald die Chance haben, RIVERSIDE wieder auf der Bühne zu erleben. Hier stimmte einfach alles: Spielfreude, Publikum, Sound und Intensität pur. Ich denke, hier stimmen mir Daniel und Gunnar ebenso uneingeschränkt zu. Das „Spirit Of 66“ hat sich indes als optimaler Laden für Progkonzerte bei mir eingebrannt und wird wohl schon bald wieder besucht werden.

Setlist:
– Intro (inkl. Ausschnitt von Pink Floyds „Shine On You Crazy Diamond“)
– Conceiving You
– Out Of Myself
– Reality Dream I
– Second Life Syndrome
– Artificial Smile
– I Believe
– Acronym Love
– Reality Dream II
– Dance With The Shadow
– The Curtain Falls
———
– The Same River
– Reality Dream III
– Loose Heart
———
– Before

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