Review Johan G. Winther – The Rupturing Sowle

  • Label: Pelagic
  • Veröffentlicht: 2021
  • Spielart: Entmetallisiert, Neoklassik

2012 begab sich der Multiinstrumentalist JOHAN G. WINTHER, kurz nachdem er Vater geworden war, zur spirituellen Selbstfindung in Selbstisolation in die schwedischen Wälder und nahm in einer Waldhütte unter einfachsten Bedingungen akustische Musik auf – um diese dann ein gutes Jahrzehnt später während einer weltweiten Pandemie, in der ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung dieses Planeten mehr oder weniger isoliert vor sich hin lebt, als Album zu veröffentlichen (wobei angemerkt sei, dass ein Teil der Titel auf „The Rupturing Sowle“ bereits 2013 auf Tape erschienen ist). Welche Ironie!

Mit dem Schaffen der Post-Metal-Band Barrens, die 2020 mit ihrem Debüt „Penumbra“ mehr als nur einen kleinen Achtungserfolg erzielt hat und in der JOHAN G. WINTHER ebenfalls tätig ist, hat sein Solowerk allerdings wenig gemeinsam: Verzerrte Gitarren sucht man auf „The Rupturing Sowle“ vergeblich. Neben Piano, Percussion und akustischen Zupf- und Streichinstrumenten dominieren unterschiedlichste und manchmal gar nicht so eindeutig identifizierbare Akustikklänge die Musik – unterstützt von elektronischen Elementen wie Synthesizern, Noisescapes oder auch Naturgeräuschen wie dem Knistern eines Feuers. Mit Rock oder gar Metal hat das Gehörte also nichts zu tun. Die naheliegende Einordnung in die Folk-Schublade ist aber auch nicht wirklich zulässig.

Das Ergebnis ist eher klassische Musik im weitesten Sinne, ein passender Soundtrack fürs eigene Kopfkino und in vielen Fällen sogar für filmische Anwendungen außerhalb des eigenen Vorstellungsvermögens mehr als geeignet. Den Kompositionen eines Yann Tiersen nicht ganz unähnlich, erinnert „The Rupturing Sowle“ aber auch an den einen oder anderen Mogwai-Soundtrack („Les Revenants“) oder in manchen Augenblicken sogar an The Notwist – und würde sich auch als musikalische Untermalung in einem Darren-Aronofsky-Film ganz gut machen. Das Kronos Quartett lässt grüßen.

Die 13 Kompositionen (auf übrigens rund 42 Minuten Spielzeit) sind ausschließlich instrumental gehalten, trotzdem verfolgt JOHAN G. WINTHER auf „The Rupturing Sowle“ ein inhaltliches Konzept: Entsprechend der Intention des Künstlers beim Schaffen des Albums geht es um Selbstfindung, eine spirituelle Reise durch die Psyche des Menschen, metaphorisiert als eine Art Odyssee auf hoher See.

Obwohl tontechnisch sicherlich alles andere als perfekt, macht das etwas ungeschliffene Klangbild von „The Rupturing Sowle“ einen großen Teil des natürlichen Charmes aus, den JOHAN G. WINTHERs erste Soloplatte auszeichnet. So knarzt auch mal der Holzstuhl oder eine Bodendiele auf den Aufnahmen und unterstreicht so den Momentaufnahmencharakter auf authentische Art und Weise. Wer ein offenes Ohr für handgemachte, atmosphärische Musik mit viel Seele hat, sollte dem Album dringend eine Chance geben.

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Wertung: 8 / 10

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3 Kommentare zu “Johan G. Winther – The Rupturing Sowle

  1. Auf jeden Fall stimme ich dir da zu! Ich finde das ist auch das schöne daran, dass man egal mit wem man spricht meistens über Musik sprechen kann. Selbst wenn es wie hier nur ein Kommentarbereich ist. Ich finde es immer wieder spannend zu sehen wie andere das Album bewerten und gelegentlich was selbst zu schreiben. (Und ich finds echt spitze, dass ihr meistens sogar noch persönlich antwortet ^^).

  2. Für mich persönlich wäre das Album eine 10/10.
    Ich will damit gar nicht diese Review kritisieren, ich finde sie mehr als angemessen (und allgemein dem hohen Standard dieser Website alle Ehre machend ^^), aber ich muss ehrlich zugeben, dass ich dieses Album doch ein wenig anders sehe.
    Nicht nur vor dem Hintergrund dieser verdammten Pandemie, die menschliche Vereinsamung und Isolation rekordverdächtig ausbreitet und intensiviert. Ich finde dieses Album ist stark, sehr stark sogar und das ohne wirklich „perfekt“ im Sinne eines vollständigen Gegenstandes zu sein. Ist vielleicht auch vom Begriff der Perfektion abhängig, aber ich würde doch schwer davon ausgehen, dass die allgemein angenommene Perfektion eine perforationslose Oberfläche ist, die sämtliche Wünsche des Rezipienten aufnimmt und damit erfüllt. Wenn der Wunsch inexistent ist gibt es auch keinen Grund zur Verbesserung.
    Davon ausgehend: Mich ärgert vieles an der Platte und ich finde nicht alles gelungen (das Gedudel von The chastening star zum Beispiel nervt gewaltig), aber ich kann mich dem Album nicht entziehen. Es ist etwas sehr menschliches daran einsam und allein zu sein und auch wenn die Einsamkeit im Metal (und den daraus sprießenden Folk und Klassik Alben) eine hohe Dimension hat, häufig thematisiert wird etc. so kommt das für mich nur selten als wirkliche Darstellung der Einsamkeit rüber. Viele Songs sind entweder zutiefst persönlich (Nothing else matters) was es mir als neuronaldivergentem Menschen nahezu unmöglich macht das in eine halbwegs nachvollziehbare Aussage zu übertragen oder so allgemein (Vermillion), dass es zerebral ansprechend, aber nicht emotional ist.
    Das gesagt muss ich dem Album attestieren, dass es mich hineinzieht. Ich kann die Musik fühlen. Weder ist es persönlich, noch ist es unpersönlich, diese beiden Extreme sind enthalten, ja, aber sie existieren nebeneinander wie Zugänge die man wählen kann. Bemerkenswert daran ist für mich dabei der nahezu vollkommene Ausschluss der Produktionstechnik. Das Album ist schlecht produziert Punkt. Aber die Musik will mir scheinen wirkt so noch stärker. Das bringt natürlich eigene Probleme mit sich: The drifting boat drunk on blood endet abrupt mit dem Schrei eines Vogels (?), anstatt die Melodie, nein das Stück zu Ende zu führen. Aber es haftet dem ganzen dadurch auch etwas sehr Lebendiges an.
    Im 20. Jahrhundert wurde man nicht müde die Kulturindustrie zu schelten, da sie die Ursprünge der Kunst überhaupt: Die Emotion zunichte gemacht hätte. An die Stelle dieser seien kollektive Zustände getreten, die durch Werbung etc. abgefragt würden wie die Daten der Bundesbürger post Staatstrojaner. Ich denke darin liegt ein Missverständnis und auch ein bisschen Standesdünkel. Würden Menschen Emotionen nicht teilen, so könnten sie nicht Verständnis füreinander entwickeln. Würden sie keine Emotionen besitzen (oder, den Normalfall gegeben) würden sie Emotionen nur in sehr begrenzter Weise besitzen, so würde es keine Menschen geben, da die Gesellschaft und damit die Menschheit bis zu einem gewissen Grad darauf aufbauen. Gleiches würde mit einer vollkommenen Abhängigkeit der Emotion passieren. Es kann also nicht wundern, dass ein Durchschnitt, noch mehr eine Mehrzahl gegebener Fälle x in einer beliebigen Situation y existiert. Sprich: Natürlich gibt es kein bürgerliches Individuum, aber eben auch keinen kollektivierten Konsumenten.
    Es gibt beides zugleich und damit keins von beiden.
    Und das ist es was dieses Album meines Erachtens nach so hervorragend macht: Es vereinigt den persönlichen, emotionalen Aspekt der Einsamkeit auf sich, aber zugleich lässt es sehr viel Spielraum für die rationale Interpretation der Musik. Es geht explizit nicht um die Technik, diese als Merkmal einer objektivierten Qualität wird vollkommen negiert, was das Album so spannend macht für mich.
    Wenn man zum Beispiel die Isländersagas liest und sagen wir im speziellen die von Egill Skàllar-Grimmsson, dann entsteht ein ähnlicher Eindruck. Egill hat sicher einmal in irgendeiner Form gelebt, er hat in irgendeiner Form gefühlt, aber viel wichtiger als das: Diese Dinge wurden erhalten. Irgendein Skalde hat sie gesungen und aufgeschrieben, hat Egill unsterblich werden lassen, der wohl auch selbst sang, aber nie über sich selbst dichtete, hat ihm ein Erbe bereitet weit hinaus über seine menschliche Existenz, da in Egill so viel von dem aufscheint, was Zeitalter um Zeitalter ge- und beschrieben wurde: Die Suche nach Heimat, die Suche nach Zufriedenheit und Sicherheit, sowie der Wunsch mehr zu sehen (und vielleicht mehr zu sein, wer weiß?) als der Mann eines ausgestoßenen, der Herr eines Landes wurde. Rastlosigkeit. Ein Ausschweifen nach allen Richtungen menschlichen Fühlens. Wenn wir nun also Egills Saga lesen, so empfinden wir wieder wie damals in vielen Fällen. Nichts hat sich geändert: Noch immer stehen Menschen zwischen Extremen: Heimat und Rastlosigkeit, Kollektivität und Identität und so weiter und so fort. Das ist es was die Saga für uns erhält. Und genauso denke ich vereint die Saga Egills das individuelle was Egill tat mit dem allgemeinen Rahmen in welchem er es tat und so schließt sich der Kreis für uns im Lesen dieser Saga. Wir können sowohl Egill bewerten, wie auch mit ihm mitfühlen und das macht meiner bescheidenen Meinung nach gute Kunst aus. Egal ob Musik oder Literatur, ob bildende Kunst oder Film (Ich kenne indeß keine kunstvollen Videospiele, außer vielleicht Gothic II dessen Mikrokosmos so fein, so fragil ist), Kunst das ist etwas eigenes zu bewahren, dass im Einklang mit anderen steht.
    Die Griechen glaubten, dass die einzige Möglichkeit des Menschen wirklich fortzuleben im Schaffen des dauernden Werkes liegt, das ebenso wie die Götter vergeistigt und damit allgegenwärtig sein kann, dieser Annahme stimme ich ausdrücklich zu. Das Werk des Einzelnen wird zur Kunst in der Berührung anderer. Genau das sehe ich nun auch in diesem Album. Es ist einfach, aber dennoch vielschichtig, es ist schlecht produziert aber keinesfalls eine Folter zu hören und schließlich: Ihm gelingt der Balanceakt zwischen individueller und menschlicher Einsamkeit meisterhaft in Musik übersetzt. Es ist also vielleicht nicht für die meisten, doch ich denke es wird immer seine Hörer haben.

    1. Hallo und vielen lieben Dank für Dein Lob unsere Arbeit allgemein betreffend, aber natürlich auch für Deine umfangreichen Ausführungen zu dieser außergewöhnlichen Platte – die ich im Großen und Ganzen absolut nachvollziehen und in vielen Fällen sogar teilen kann. Genau das macht dieses Album auch so spannend: Im Gegensatz zu vielen, beinahe klinisch steril produzierten Longplayern, kann man „The Rupturing Sowle“ nicht völlig neutral oder emotionslos bewerten (da die technische Imperfektion das Album ja erst so authentisch und emotional glaubwürdig macht) – was aber natürlich auch dazu führt, dass jeder Mensch die Musik in der Basis vielleicht gleich, im Detail allerdings unterschiedlich wahrnimmt und interpretiert. Aber genau das macht Musik, das empfinden selbiger und Gespräche über Musik im allgemeinen so spannend ;-)

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