Review Midnattsol – Nordlys

Um das norwegische „Nordlys“, das Nordlicht, ranken sich seit jeher viele Geschichten, Mythen, Sagen und Legenden. Letztendlich steht es aber einfach für Vielfalt – und setzt damit hohe Erwartungen an MIDNATTSOL, die ihr zweites Studioalbum danach betitelten. Gegründet wurde die Folk Metal-Band 2002 von der, frisch nach Deutschland eingereisten, norwegischen Sängerin Carmen Elise Espanaes und dem Gitarrist Christian Hector. Carmens Schwester Liv Kristine dürfte als Sängerin der Symphonic Metal-Band Leaves‘ Eyes bekannt sein. 2005 erschien das Debutwerk „Where Twilight Dwells“, das von der Fachpresse ganz unterschiedlich aufgenommen wurde. In jedem Fall hängt vom neuen Album „Nordlys“ einiges für Midnattsol ab.

Mit dem Opener „Open Your Eyes“ wird auch sogleich die erste handfeste Aufforderung an den Hörer gerichtet. Inhaltlich wird die Zerstörung von Natur und Umwelt durch den Menschen besungen, der damit auch sich selbst langsam aber sicher ein Todesurteil fällt. Nach dem ersten Durchlauf fällt nicht nur die gesteigerte Härte gegenüber des Vorgängeralbums auf, sondern auch der Schritt, den Sängerin Carmen nach vorne gemacht hat. Ein Paradebeispiel für die Entwicklung MIDNATTSOLs ist „Northern Light“, das sich mit einem halbakustischen Gitarrenlauf langsam nach oben schaukelt, bis Espanaes Gesang einsetzt. Deutlich gereift ist nämlich auch das Spiel von Daniel Droste und Christian Hector an den Dünnsaitern, die auch bei den deutschen Funeral Doomern Ahab spielen. Flüssig wie ein Strom kommen die Pattern der beiden Herren daher und bauen ordentlich Atmosphäre auf, die nur noch von der einsetzenden Frauenstimme im Zusammenspiel mit wuchtigen Double-Basses ergänzt wird und das Klangbild weiter nach oben schaukelt. Weiter und weiter, bis es letztendlich in einem fast bildhaft werdenden Regen der Sologitarre auf den Hörer niederprasselt und der Song nach einer Wiederholung des Refrains langsam ausklingt.

Mit dieser gewaltigen Stimmungskanone findet „Nordlys“, bei einer Gesamtspielzeit von mehr als einer Stunde, meiner Meinung nach, seinen Höhepunkt. Was aber nicht heißen soll, dass die anderen Tracks weniger wert sind – ganz und gar nicht. So „Konkylie“ (der mit seinen 8:12 Minuten übrigens längste Song) enthält auch erstmals auf der Scheibe eine kleine elektronische Spielerei, die sich Keyboarder Daniel Fischer gegönnt hat. „Wintertime“, „Race Of Time“ und „Rivers Of Virgin Soil“ stellen perfekte Beispiele für das in höchstem Maße melodiöse Gesamtkonzept der deutsch-norwegischen Band um Frontraum Carmen Elise Espanaes dar und halten den Eindruck beständig auf gleicher Stufe. „New Horizon“ besticht zwar nicht durch die dezente Verwendung von Voice Overs, dafür aber durch seine durchweg akustisch gehaltene Art und mehrstimmigen Gesang. Zwei Lieder sind es letztendlich auch, die es in der Heimatsprache von Espanaes auf die Platte geschafft haben: die gleichzeitig träumerischen und doch voranpreschenden „Skogens Lengsel“ und „En Natt I Nord“ – die in ihrer Qualität ebenfalls nicht aus der Reihe tanzen und durch ihre hintergründige, spielerische Ruhe betören können.

Wer vom Vorgänger „Where Twilight Dwells“ zu „Nordlys“ keinen Unterschied merkt, sollte sich dringendst einen langen Wattestab, dünnen Finger oder sonstigen zweckdienlichen Gegenstand besorgen und die Gehörgänge mal wieder generalüberholen. Wie gesagt wurden MIDNATTSOL nicht nur härter, sondern in ihrer Härte auch gleichzeitig melodischer. Man merkt: hier wollen Akzente gesetzt werden. Einige Geister werden sich womöglich an der Einordnung in den Folk Metal scheiden, was sie aber, meiner Meinung nach, definitiv sind. Obgleich man, aufgrund mangelnder Ressourcen und Zeit, keine typischen Folkinstrumente außer der Maultrommel verwenden konnte, muten schon die verschiedenen Melodieläufe folkig an und werden es spätestens mit den Songtexten. Dennoch sollten sich MIDNATTSOL dahinter klemmen und auf ihrer nächsten Platte damit dienen können – zum einen wegen des derzeitigen Mangels. Und zum anderen einfach auch, weil man damit persönliches Neuland betreten könnte und bei einer solchen Melodiemacht und Gesangsgewalt eigentlich nicht sonderlich viel falsch machen kann. Denn „Nordlys“ gibt MIDNATTSOL nicht nur ihre Existenzberechtigung, sondern empfiehlt auch eindeutig für Zukünftiges.

Wertung: 7.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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