Review Mor Ve Ötesi – Dünya Yalan Söylüyor

Rock aus der Türkei? Lassen wir die Vorurteile sprechen und gehen ganz keck davon aus, dass das Unfug ist. Schließlich kommen einem im Zusammenhang mit türkischer Musik direkt Geheule in den Sinn, was im Grunde auch nicht wirklich verkehrt ist. Seit geraumer Zeit pflegen es die Türken, sich den Kummer und den Seelenschmerz heulend und winselnd vom Leib zu schmettern, unterlegt mit penetranten Streicher-Einlagen und unverschämtem Geflöte. Aber eben nur Vorurteile.

Mor Ve Ötesi (Auf dt. soviel wie: „Blaue Flecken und noch mehr“) aus dem Touristen-Tempel Istanbul setzen auf Stromgitarren. Wahrscheinlich sind sie der erste, wirklich ernstnehmbare Rock-Import aus der Türkei. Mit ihrem aktuellen Werk „Dünya Yalan Söylüyor“ („Die Welt erzählt Lügen“) prangern sie deutlich politische Missstände und Korruption an, unterlegen ihre kritischen Texte mit ihrem massivem Rockfundament und stellenweise sogar Punkrock. Ein für die Türkei schier völlig unangetastetes Terrain. Zwar werden sie durch ihre türkischen Lyrics unzugänglich für den Rest der Welt, aber versteht denn wirklich jeder Englisch?

Mor Ve Ötesi schaffen den Grenzgang zwischen lieblichen Melodien und Gitarrenhärte zu vollführen, ohne die Ballance zu verlieren. „Cambaz“ („Akrobat“) fährt als einer der wenigen Songs erstmals die schweren Gitarren nach vorne und zieht sich so bis zum Refrain hinweg. Wut und Trauer schafft Sänger Harun Tekin auch ganz ohne Geheule oder gar Gebrüll zu vermitteln, seine Stimmlage ändert sich nur um ein Minimum, ohne aber die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Zerissene Stimmung bei „Bir Derdim Var“ („Ich habe ein Problem“), wobei sich Parallelen zu Bands wie Green Day aufweisen lassen. „Sevda Cicegi“ („Liebesblume“) wirkt frech und rebellisch, aber zu durchschaubar. Der wehleidigste Moment steigt bei „Ask Icinde“ („In Liebe“). Hier zeigt die Band alle ihre Stärken und das Zusammenspiel wirkt perfekt. Bei den Landsleuten dürfte kein Auge trocken bleiben und es kratzt keine Sekunde am Begriff Kitsch.

Großes Interesse werden Mor Ve Ötesi mit Sicherheit nicht erwecken. Ihren größten Auftritt hatte die Band im Vorprogramm von Placebo und das liegt mittlerweile zwei Jahre zurück. Türkischer Rock wird bei den eingefleischten Rockern bzw Metallern wahrscheinlich für nicht mehr als ein müdes Lächeln sorgen. Aber auch das ist eine Reaktion und welche Band hat schon nicht mal für nen müden Penny gespielt? Authenzität und Originalität muss man den Istanbulern aber allemal quittieren.

Wertung: 7 / 10

Geschrieben am 5. April 2013 von Metal1.info

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