Kammercore als Musikrichtung sorgt selbst in Fachkreisen noch für reichlich Achselzucken, erscheint der Gedanke an eine Mischung aus klassischen Streichern, elektronisch verzerrten Blasinstrumenten und harten Gitarrenriffs mit entsprechendem Gesang zumindest etwas befremdlich. Die Anzahl an Gruppen, die sich diesem Stil verschrieben haben, ist momentan noch sehr überschaubar: Neben den Vorreitern namens Coppelius versuchen sich REMEMBER TWILIGHT seit einigen Jahren an der gesunden Mischung dieser gänzlich unterschiedlichen Komponenten. Mit „Musik über Niedergang & Verderben“ steht nach mehrjähriger Pause ihr neuestes Werk in den Regalen.
Bereits beim ersten Hördurchgang stechen die komplexen Arrangements mit vielen Stil- und Tempowechseln hervor. Neben den offensichtlichen Parallelen zu Coppelius, die sie bereits mehrfach als Toursupport begleitet haben, erinnern die Stücke über allerlei Missstände auf diesem Planeten auch etwas an Opeth und Konsorten. So braucht es eine Weile, bis man sich – trotz einiger bekannter Melodiebrocken – an diesen außergewöhnlichen Stil gewöhnt hat. Danach offenbart er allerdings auch seine wahre Stärke: Remember Twilight verzichten auf musikalische Massenware, sondern liefern durchdachte Songs mit klaren Aussagen und positiven Überraschungen. Besonders die erste Albenhälfte mit „Zu real“ und dem eingängigen „Künstler der Dekadenz“ sticht dabei positiv hervor. Leider rücken durch die Instrumentenvielfalt die Texte etwas zu sehr in den Hintergrund, was im Fall von „Ich suche Gott“ besonders schade ist. Manche werden sich vielleicht auch an der Überpräsenz der Songtitel in den Refrains stören.
Für Historiker empfehlenswert sind „In the long run – Am Ende“ und „Mackie Messer“. Ersteres ist mit das ruhigste Stück des gesamten Albums und fußt auf dem Leitsatz des bekannten Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Kaynes. Allerdings interpretieren Remember Twilight diese These auf ihre eigene Art und Weise. „Mackie Messer“ hingegen entstammt im Original Bertolt Brechts Dreigroschenoper und wurde von Kurt Weill an der 1920er Jahre komponiert. Auch diesem schweren Brocken mit langer Geschichte und hoher Bekanntheit nehmen sich die Kammercore-Musiker an, allerdings überzeugt mich das Ergebnis nicht langfristig, sondern bietet lediglich einen kurzen Aha-Effekt. Vom 2007er Vorgänger „Der tolle Mensch“ wurden mit „K.O.“ und „Ein Rendezvous“ direkt zwei Stücke übernommen, die meiner Meinung nach qualitativ etwas hinter den neueren Werken hinterher hinken und keinen Aufhänger bieten, der sie länger im Ohr verweilen lässt.
Ganz nach hinten los geht schließlich der „Künster der Dekadenz“-Remix der Metallspürhunde. Leider fällt er durch die insgesamt sehr moderate Gesamtdauer des Albums von knapp unter 40 Minuten auch etwas mehr ins Gewicht. Gewünscht hätte ich mir an dieser Stelle ein passendes Gegenstück zum instrumentalen Intro – eine Überleitungsform, die heutzutage leider kaum mehr verwendet wird. Mit „Am Strand“ verschenkt man die Chance dazu leider verfrüht. Schade! Trotzdem unter dem Strich eine gute CD mit leider teilweise verschenktem Potential.
Wertung: 7 / 10