Review Symphony X – Live on the Edge of Forever

Als amerikanische Progressive Metal-Band hat man´s nicht leicht, schon gar nicht in der eigenen Heimat. Nachdem das selbstbitelte Debüt der Band nur mit zweijähriger Verspätung dort auf den Markt kam und sich die fünf Herren aus New Jersey auch mit den übrigen Alben nicht gerade vor dem Erfolg retten mussten, ergab sich die erste Headliner-Tour und damit die erste Gelegenheit, ein Livealbum auf die Beine zu stellen, erst im Jahre 2000, nach dem Release des erfolgreichen Konzeptalbums „V – The New Mythology Suite“. Und wo? Natürlich im alten Europa.
So wurde auf jener Tournee zwischen Oktober 2000 und Juni 2001 ein Doppel-Livealbum von der Länge eines guten Konzerts aufgenommen, mit dem man sich endlich mal ein Bild von den Live-Qualitäten von Symphony X machen kann: live in concert kommt die Metal-Seite der Band definitiv stärker zum Vorschein, man merkt jedem Mitglied den Spaß, den es auf der Bühne hat, richtig an. Sänger Russell Allen mutiert live zum Tier, zwar ist er bereits im Studio ein guter Sänger, doch vor Publikum sprüht er vor Tatendrang und lässt sich auch zu der ein oder anderen Variation hinreißen. Michael Romeo produziert ein einzigartiges Riffgewitter und Jason Rullo präsentiert sich an den Drums in derselben beeindruckenden Form wie schon auf dem damals aktuellen Studioalbum, doch den größten Unterschied merkt man beim Bassisten Mike Lepond. Im Studio stets etwas unspektakulär, ging er auf der Tour richtig aus sich heraus, bei einigen Stücken (besonders den härteren) gefällt er mir sogar besser als sein Vorgänger Thomas Miller! Keyboarder Mike Pinnella geht inmitten dieser metallischen Gewalt natürlich etwas unter, von seinen spektakulären Soli abgesehen.
Insgesamt sind also alle Voraussetzungen für ein gutes und mitreißendes Live-Dokument erfüllt, zumal der Sound erstklassig ist. Zwar wurde dem Publikum etwas wenig Beachtung geschenkt (lediglich in den ruhigeren Passagen kann man sich von der guten Stimmung überzeugen), aber dafür ist die Power der Band überdeutlich spürbar.

Das größte (und einzige) Manko der Doppelpackung ist leider die etwas einseitig ausgefallene Tracklist, andererseits ist es nur logisch, dass nach dem Release eines derart starken Konzeptalbums die älteren Songs etwas auf der Strecke bleiben. Zwar ist es bedauerlich, dass Klassiker wie „The Edge of Forever“, das ultrageniale „The Accolade“ oder auch ein paar der progressiven Geheimtipps vom ersten Album fehlen, jedoch sind die Tracks, die enthalten sind, auch alles andere als zu verachten. Der Vorteil eines gut gefüllten Backkatalogs.
Die erste CD beinhaltet eine gute Hälfte von „V“. Es beginnt mit der instrumentalen Ouvertüre, gefolgt vom Rifforkan „Evolution (The Grand Design)“, der sich als absoluter Live-Hit entpuppt. Weiter geht es mit dem düsteren, treibenden Groove-Monster „Fallen“, nach einem kurzen Gitarren-Intermezzo erzeugt die urtypische Symphony X-Fantasyhymne „Communion and the Oracle“ fast so etwas wie Feuerzeugatmosphäre. Die hammerharte Abrißbirne „The Bird-Serpent War“ überzeugt durch besonders spektakuläres Spiel an Bass und Drums.
Das klassische Zwischenspiel „On the Breath of Poseidon“ bietet etwas Zeit zum Luftholen und beinhaltet ein gutes, aber mir persönlich zu lang geratenes Leadsolo von Michael Romeo, auf das ich hätte verzichten können (ich mag die Live-Soloeinlagen von Prog-Bands generell nicht besonders). Das zu Beginn noch lockere, später verschachtelte und düstere „Egypt“ kommt beim Publikum viel besser an, als man es von einem derart anspruchsvollen Stück erwartet, ebenso das experimentelle „The Death of Balance“ (mit gutem Drumsolo), das in die kurz angespielte Ballade „Candlelight Fantasia“ übergeht. Den Abschluss der CD verkörpert das grandios harte und offenbar sehr beliebte Riff-Brett „The Eyes of Medusa“.

Auf CD 2, die 60 Minuten Spielzeit auf 6 Tracks verteilt bietet, werden dann endgültig die Klassiker ausgepackt. Das zweite Set beginnt virtuos und frenetisch gefeiert mit dem Malmsteen-mäßigen 98er-Gassenhauer „Smoke and Mirrors“, einem der populärsten Symphony X-Songs, der auch meiner Meinung nach erst live zur wirklichen Hochform aufläuft. Darauf folgt dann, ganz wie auf dem Album „Twilight in Olympus“, der hier leider leicht gekürzte Bombastprog-Longtrack „Church of the Machine“, der sich wunderbar mit dem härteren Sound von Symphony X anno 2000 verträgt. Keyboarder Mike Pinnella kommt hier mal so richtig zum Zuge, außerdem ist dies einer der Tracks, wo mir die metallischen Basslines vom Mike Lepond besser gefallen als die von Thomas Miller. Mit der „Alice im Wunderland“-beeinflussten XXL-Hymne „Through the Looking Glass“ inklusive kleiner Pausen und Mitschrei-Spielchen geht es weiter, und dieser Track allein rechtfertigt den Kauf des Albums!
Das vermeintliche Finale stellt dann der Livekracher schlechthin dar, der Speed-Track „Of Sins and Shadows“, hier holen sowohl Band als auch Publikum nochmal alles aus sich raus. Nach einem lakonischen „You guys want more music?“ von Russell Allen kommen die übrigen vier Bandmitglieder wieder auf die Bühne, spätestens hier wird trotz einseitiger Produktion deutlich, wie gut die Stimmung in der Halle ist. Das kurze, aber überaus mitreißende und abwechslungsreiche „Sea of Lies“ stimmt dann erst so richtig auf das wirkliche Grand Finale ein… bei den Stakkato-Riffs, die das zwanzigminütige Mega-Opus „The Divine Wings of Tragedy“ einleiten, kocht die Halle, und am Ende dieser Metaloper im Breitwand-Format gehen alle glücklich und zufrieden nach Hause. Welch ein Abschluss!

Fazit: Zuerst das Lob: das Album als Zusammenstellung von Songs ist ein absoluter Hammer, und die Art, wie diese vorgetragen werden, ebenfalls! Alle Songs, von den harten Speed-Hämmern über die progressiven Epen, sind mit einer derartigen technischen Perfektion, aber auch mit viel Spaß an der Arbeit vorgetragen, dass man sich sofort eine Karte für´s nächste Symphony X-Konzert kaufen möchte. Die gnadenlos fette Produktion tut ihr übriges.
Das Album als Quasi-Best of, als perfekter Einstieg für Neulinge ist allerdings nur bedingt geeignet, was an der einseitigen Tracklist liegt. Sowohl „Symphony X“ als auch „The Damnation Game“ sind zu stark, um auf einer Live-Compilation überhaupt nicht vertreten zu sein, von daher ist dieses Doppelalbum weniger denen, die die Band kennenlernen wollen, als denen, die sie bereits kennen und wissen wollen, wie sie live klingen, ans Herz zu legen. Ansonsten gibt es nichts zu mäkeln. Gute 9 Punkte!

Keine Wertung

Geschrieben am 5. April 2013 von Metal1.info

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