Review Symphony X – Twilight In Olympus

Nach lediglich einem knappen Jahr Wartezeit werden die außergewöhnlich geduldigen und treuen Fans des an der Ostküste der USA beheimateten Speed Metal-Quintetts bereits wieder mit einem frischgepressten Longplayer für ihre Loyalität entlohnt. Und wie ich bereits im Review des Vorgängerwerks „The Divine Wings of Tragedy“ schrieb, gibt es auch dieses Mal keine unerwarteten und riskanten Experimente zu verzeichnen, sondern man beharrt weiterhin auf dem Konzept der stetigen Evolution, indem man den eigenen Stil gerade genug verändert, um für den anspruchsvollen Fan auch ein weiteres Album lang interessant zu bleiben, und indem man sich gleichzeitig treu genug bleibt, dass die Stammhörerschaft sich nicht gekränkt und betrogen fühlt. Ein Verfahren, das Symphony X seit jeher beherrscht wie keine zweite, mir bekannte Band in diesem Genre (nicht einmal Blind Guardian sind so konstant). Das Geniale an dieser Evolution ist anno domini 1998 jedoch, das die Band ihren Stil nicht nur in eine, sondern gleich in zwei Richtungen lenkt. Doch dazu später mehr.

Das Hauptaugenmerk liegt weiterhin darauf, schnelle, kraftvolle Songs zu schreiben, die sich perfekt zwischen True Metal-artigem Enthusiasmus und Power sowie progressiver Verspieltheit und Höreranspruch einpendeln, so dass sich Fans beider Lager zurechtfinden. Während auf dem vorherigen Album jeder Song etwas für jede Klientel bot, wird dieses Mal etwas stärker polarisiert. Im Klartext heisst das, dass die schnellen, eingängigen Songs noch kompromißloser und eingängiger und die Prog-Highlights noch etwas verschachtelter ausfallen. Auch am Bombast-Regler wurde merklich gespielt, in praktisch jedem Track wurden pompöse Arrangements und Queen-iger Chorgesang ins Gesamtwerk eingeflochten. (Um die gesteigerte musikalische Fülle gewährleisten zu können, sind bis auf Tom Walling alle Bandmitglieder mehr oder minder gleich stark ins Song- und Lyricwriting involviert.)
Des weiteren findet man auf diesem Album, im Gegensatz zum Vorgänger, keine 5 recht geradlinigen Songs vor, vielmehr wird dieses Mal unglaublich viel Wert auf Abwechslung gelegt, was sich dem Hörer bereits bei einem Blick auf die Songlängen deutlich offenbart, deckt das Spektrum doch praktisch alles Erdenkliche zwischen eineinhalbminütigem Intermezzo und dreizehnminütigem Epos ab. Die klangliche Bandbreite steht der zeitlichen in nichts nach, während der knapp 53 Minuten, die diese LP umfasst, durchlebt man mit Riff-orientierten Uptempo-Nummern, neo-klassischen Zwischenspielen, schwelgerisch-komplexen Prog-Schwergewichten und relaxten (Halb-) Balladen praktisch jeden Auswuchs des modernen Heavy Metals.

Die Unterschiede zum letzten Album beschränken sich jedoch keineswegs auf diese Äußerlichkeiten, sondern finden sich auch auf einer tieferen Ebene, hauptsächlich festzustellen an der Arbeit im Melodiebereich. Das Riffing von Gitarrist und Bandkopf Michael Romeo fällt etwas tiefer, voluminöser, weniger verzerrt und kreischend sowie gleichzeitig schneller und virtuoser aus, während das Spiel von Keyboarder Mike Pinnella etwas weniger auf pseudoklassischem Klavier- und Orgelgeklimper beruht, sondern sich dieses Mal eindeutiger zu seiner synthetischen Natur bekennt. Seine Lead Guitar-Style-Soli bleiben natürlich eine feste Größe und sind mittlerweile ein wichtiges Merkmal der Band. Thomas Miller, immer noch mein persönlicher Favorit am Bass, geht leider in einigen Liedern etwas im alles erstickenden Bombast unter, wobei er an einigen Stellen wie gewohnt geniale, kurze Frickel-Eskapaden einstreut. Leider verließ er die Band nach Ende der Aufnahmen mit Ziel unbekannt. Von einem Aussteiger zu einem Neuzugang… Tom Walling an den Drums ersetzt den aufgrund privater Probleme ausgeschiedenen Jason Rullo, und tut dies meiner Meinung nach sehr ordentlich, spielt er auch deutlich spektakulärer und auffälliger als sein Vorgänger. Shouter Sir Russell Allen ist natürlich eine Konstante, mit seinem engagierten Gesang und seiner genialen Stimme hat er sich einen Platz unter den besten Metal-Vocalists redlich verdient.

Rein, was die technischen Fertigkeiten der Band und damit das Potential, gute Songs auf die Beine zu stellen, anbelangt, hat sich das amerikanische Gespann definitiv noch um einige Nuancen verbessert, doch ob die Songs des neuen Albums denen des Vorgängers qualitativ das Wasser reichen können, darf aufgrund dessen schierer Gewalt und Power heftig angezweifelt werden. Das soll natürlich nicht heissen, dass die Platte wirklich schwächer wäre, und darum soll auch dieses Mal wieder jeder Song mit einigen Zeilen erwähnt werden.

Das Symphony X ausgesprochen prinzipientreu sind, dürfte mittlerweile rübergekommen sein (ich spreche es ja nur gelegentlich an ;-)), und das äußert sich auch einmal mehr im Opener des Albums, „Smoke and Mirrors“. Wie gewohnt geht es hier ohne langwierige Intros und Umschweife gleich mit fettem Riffing und spektakulären Keyboardläufen zur Sache, Ergebnis ist ein sehr treibender Song mit mitsingtauglichem Refrain, als solcher perfekt als CD-Opener geeignet und außerdem ein Dauergast in der Live-Setlist der Combo.
Weiter geht es mit „Church of the Machine“, der erkennbar in der Tradition von „The Accolade“ steht, kommt er schließlich als sehr wuchtiger und vielschichtiger Bombast-Hammer mit stark Queen-beeinflusstem Chorgesang im Refrain daher, ist aber vielleicht etwas technischer und progressiver geraten. Das Riffing ist deutlich härter als im direkten Vorbild, und Pinnellas Keyboards beschränken sich auf Orgelsounds und sphärische Effekte, so dass der Song nicht ganz den Balladencharakter von „The Accolade“ aufweist. Trotzdem ein extrem gutes Stück, dem man allerdings zur völligen Entfaltung einige Durchläufe gönnen sollte.

Mit „Sonata“ folgt ein kurzes, ruhiges Klassik-Zwischenspiel, welches auf einem Thema aus Beethovens Achter Sinfonie beruht, während der nachfolgende, äußerst geradlinige Uptempo-Reißer „In the Dragon´s Den“ mit einem schnellen Drumintro und hartem Riffing einen heftigen musikalischen Kontrast zu den letzten beiden Stücken darstellt. Nach einigen krassen Breaks gegen Ende verglüht Symphony X´s einfachster Song in leichten Keyboardklängen, die nahtlos in Track Nr. 5, das dreizehnminütige Herzstück des Albums, „Through the Looking Glass“, welches textlich auf „Alice im Wunderland“ fußt, übergehen. Eingeleitet von eben diesen Keyboards, Thomas Millers Bass (hier zum ersten Mal auf dem Album wirklich hervorstechend) und sich langsam steigerndem Riffing entfaltet sich hier der meiner Meinung nach beste Song der Band, der Struktur und Merkmale von „The Accolade“ übernimmt, auf 13 Minuten ausdehnt, zwischendurch sowohl härtere als auch sehr relaxte Passagen aufweist und so das Sinfonische mit dem Progressiven verbindet. Ein absolutes Meisterwerk!

Das ungeschriebene Gesetz der Hörerfreundlichkeit besagt, dass nach einem komplexen Song ein leicht verdaulicher folgen muss, und dieses Gesetz haben sich Symphony X nach der etwas unglücklich gewählten Songreihenfolge auf „The Divine Wings of Tragedy“ wirklich zu Herzen genommen, denn „The Relic“ bietet gute 5 Minuten Zeit, die Gehörgänge wieder etwas zu begradigen. Das in ein treibendes Power Drumming-Gerüst eingefasste Riffing erinnert ein wenig an den Opener des Albums, doch „The Relic“ lässt besonders Thomas Miller mehr Freiraum, ein wenig groovy Bassgefuchtel einzubringen, was ich immer sehr begrüße.
Das vorletzte Stück, „Orion – The Hunter“ scheint auf den ersten Blick ein weiteres straightes Stück Power Metal à la „The Relic“ zu sein, doch entwickelt es sich alsbald zu einer dramatischen Midtempo-Halbballade. Obendrein besteht praktisch das gesamte zweite Drittel aus einer sehr langen Instrumentalpassage, in der Michael Romeo und im besonderen Maße Mike Pinnella ein feines Solo-Süppchen zubereiten (das Keyboard-Solo des letzteren ist nichts weniger als großartig!), was den vermeintlich einfachen Song noch auf eine Länge von knapp sieben Minuten streckt.
Den Schlusssong bildet, wie schon beim letzten Album, eine relaxte Vollblut-Ballade. „Lady of the Snow“ heisst sie dieses Mal und ist an eine Geschichte aus der japanischen Mythologie angelehnt, was sich in fernöstlichen Klängen, die den Song einleiten und über weite Strecken hin tragen, niederschlägt. Sänger Russell Allen wirft sich hier mit einer ganzen Familienpackung Schmerz in die Waagschale, um dem Lied den nötigen Balladen-Effekt zu verleihen. Nicht ganz so stark wie „Candlelight Fantasia“, dennoch ein schöner Weg, dieses sehr gelungene Album abzurunden und gleichzeitig abzuschließen.

Fazit: Wie bereits erwähnt, hat sich praktisch alles nochmals positiv verändert seit „The Divine Wings of Tragedy“…. die Musiker an sich haben an Erfahrung und Können zugelegt, die stilistische Ausgewogenheit ist absolut beeindruckend, und die geschickte Plazierung der Songs auf dem Tonträger sorgt für Abwechslung beim Durchhören und lässt keine Langeweile aufkommen. Ich stellte allerdings eingangs die Frage, ob die Qualität der Kompositionen mit der des Vorgängeralbums mithalten, und muss diese Frage für mich leider mit einem salomonischen „teilweise“ beantworten. „Church of the Machine“ und „Through the Looking Glass“ sind über jeden Zweifel erhaben und gehören zu den besten Werken der Band, auch „Orion – The Hunter“ und „Lady of the Snow“ wissen vorbehaltlos zu gefallen. Das ( kleine ) Problem liegt diesmal mehr bei den geradlinigen Powerstücken, die sich als nicht ganz so griffig erweisen wie etwa „Of Sins and Shadows“ oder „Sea of Lies“. Immer noch sehr gute Speed Metal-Songs, aber im Direktvergleich mit ähnlichen Stücken der Band fallen sie als zu wenig einprägsam ab, ausgenommen vielleicht noch „Smoke and Mirrors“. Außerdem gibt es bis auf die beiden Longtracks keine Klassiker für die Ewigkeit zu vermelden. Aus diesen Gründen fällt das ganze Album gegenüber dem Vorgänger leicht ab, ist und bleibt aber ein grandioses Album, in das jeder Fan intelligenten Speed Metals reinhören muss.

Wertung: 9 / 10

Geschrieben am 5. April 2013 von Metal1.info

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