Die Post-Rock-Band THOT macht vieles anders als ihre Artgenossen: So geht das belgische Quintett äußerst songorientiert zu Werke und verliert sich dabei nicht in endlosen Steigerungen und generischen Crescendos. Stattdessen gibt es auf „Delta“ analog anmutende Synthesizer und Gitarren auf die Ohren, die man eher Kraut- und Industrial-Rockbands zuordnen würde. Dazu noch zweisprachiger Gesang (Französisch und Englisch) sowohl von Bandleader und Gitarrist Grégoire Fray als auch von seinen Mitstreiterinnen Juliette Mauduit und Alice Thiel (beide Keyboards) und fertig ist eine theoretisch spannende Mischung – aber wie klingt es in der Praxis?
Der Opener „Euphrate“ beginnt mit einem sehr krautigen Synth, gefolgt von einer Gitarre, die in Sachen Effektbearbeitung und Spielweise sehr an Nine Inch Nails erinnert. Das Schlagzeugspiel der vorwiegend im Midtempobereich angelegten Songs ist durch die Bank sehr groovy. Gesanglich erinnert Fray in Sachen Artikulation und Stimmfarbe ein wenig an Robert Smith (The Cure) oder auch Joel Segerstedt (Crippled Black Phoenix). Das hat auf jeden Fall Charakter, ist aber zum einen ein My zu laut abgemischt, was gerade im Post-Rock-Kontext (hier werden Vocals ja in den meisten Fällen eher weniger prominent behandelt als in anderen Genres) spürbar auffällt, und bietet zum anderen kaum Varianz, was auf Albumlänge leichte Abnutzungserscheinungen mit sich bringt. Immerhin sorgt regelmäßig integrierte Frauengesang für Abwechslung.
Leider ist die tontechnische Umsetzung insgesamt etwas unausgewogen und bietet wenig Ecken und Kanten. Das ist kein grundsätzlich schlechtes Handwerk, aber viel zu unspektakulär und sauber, als dass Mischung und Mastering der abwechslungsreichen Musik von THOT gerecht werden. Wenn in besagtem Opener die „Gitarren-Keyboard-Wall-of-Sound“ im letzten Songdrittel oder im treibenden „Céphéide“ das wirklich coole 90er-Jahre-Alternative-Rock-Riff einsetzen, würde man sich schon ein bisschen mehr Druck und eine spürbarere dynamische Steigerung wünschen. Umso mehr fällt „Sleep Oddity“ (mit der wunderbaren Gastsängerin Lenka Dusilová) aus dem Rahmen: Durchaus an The Gathering (noch mit Anneke van Giersbergen am Mikrofon) um die Jahrtausendwende erinnernd, stellt der Song mit seinem reduzierten Arrangement und noisig-verzerrten Gitarren und Synths ein Highlight auf „Delta“ dar.
Das alles ist aber Meckern auf tendenziell hohem Niveau, im Großen und Ganzen funktioniert „Delta“ sehr gut. Es handelt sich aber auch um den fünften Longplayer der Band in fast 20 Jahren, weshalb man durchaus voraussetzen darf, dass die Beteiligten wissen, was sie tun. In der Tat muss man THOT sowohl technisch versierte Vocal- und Instrumentenfertigkeiten als auch eine hohe Qualität in Sachen Songwriting attestieren. Und das, obwohl „Delta“ eine alles andere als unkomplizierte Entstehungsgeschichte hinter sich hat.
So ist der erste Entwurf des Albums während den pandemiebedingten Lockdowns vor einigen Jahren entstanden – und wurde aufgrund von künstlerischen Differenzen innerhalb des Bandgefüges umgehend wieder verworfen. Was geblieben ist, ist ein thematischer roter Faden, der das Album sowohl inhaltlich als auch musikalisch zu einer Art Aufarbeitung der Corona-Zeit macht. Ein spannendes Konzept und Zeitzeugnis, zumal „Delta“ nicht total negativ und deprimierend klingt, sondern über weite Strecken schon fast positiv.
THOT machen also ziemlich viel richtig, auch wenn ein paar geschmäcklerische Kleinigkeiten den eigentlich guten Eindruck minimal trüben. Nichtsdestoweniger kann man „Delta“ allen Post-Rock-Fans uneingeschränkt empfehlen. Vor allem, wenn besagte genretypische Crescendos und Endlossteigerungen ausdrücklich nicht, stattdessen aber ein wenig frischer Wind im atmosphärischen Wall-of-Sound-Einerlei erwünscht sind.
Wertung: 8 / 10
Hi!
Thank you for the time you gave to this album and for your nice words. One little thing, Alice Thiel is not part of the band anymore. Cheers!