Review Unsun – Clinic For Dolls

Donnerknispel, manchmal geschehen ja selbst im ausgelutschtesten Genre noch wahre Überraschungen. Im Jahr 2010 gilt dies beispielsweise für die Polen UNSUN. Ihr Zweitwerk „Clinic For Dolls“ erblickt im düsteren Herbst das Tageslicht und liegt damit richtig. Infoblätter übertreiben gerne, viel und fast immer, aber in diesem Fall haben sie im Hause Mystic Production nicht zu dick aufgetragen.

UNSUN ist ein kleines bisschen eine Allstarband aus unserem östlichen Nachbarland. Gitarrist und Bandkopf Mauser ist ein alter Hase im Geschäft und spielt€ schon bei den gleichsam bekannten wie unterschiedlichen Vader, Christ Agony und *Band*, Heinrich drischt den Bass neben UNSUN auch noch für Vesania. Dazu gesellen sich Schlagzeuger *Name* und Goldkehlchen *Name*, welche eine wirklich schöne Stimme hat, teilweise – und das verstehen wir mal als einen von ganz wenigen Kritikpunkten – aber etwas kindlich-niedlich in ihrer Ausdrucksweise wirkt. Das soll jedoch erstens keinesfalls heißen, dass sie nur ansatzweise schlecht klingt und zweitens, dass UNSUN eventuell soft aufspielen würden. Das genaue Gegenteil ist der Fall, die Musik kommt frisch, unverbraucht und vor allem mit einem gewaltigen Schuss Härte daher, erzeugt von sehr kernigen Gitarrenriffs, in denen hier und da Mausers Vergangenheit durchschimmert, und vor allem durch sehr songdienliches Songwriting. Gitarre, Bass und Schlagzeug leisten sich keinerlei Alleingänge (das eine oder andere Gitarrengewichse mal ausgenommen), vielmehr spielen sie alle tight auf den Punkt. Was für ausgewiesene Instrumentspezialisten möglicherweise langweilig sein könnte, ist für die Lieder ein wahrer Segen, denn so entwickeln sie eine enorme Kraft und viel Durchschlag. Die häufig eingesetzten Keyboards ergänzen den Sound optimal und bleiben trotz ihrer Quantität schön im Hintergrund, sie sind nie aufdringlich.

Die wahre Perle von „Clinic For Dolls“ ist aber die äußerst gelungene Gratwanderung zwischen Eingängigkeit und Langzeitwirkung. Die Hälfte der Songs kann man ohne Übertreibung bereits nach einem, spätestens aber nach zwei Durchgängen mitpfeifen oder auch singen (tun uns UNSUN erfreulicherweise den Gefallen, nicht in ihrer Heimatsprache zu agieren). Das liegt sicherlich daran, dass trotz einer durchschnitllichen Songlänge von viereinhalb Minuten kein unnötiger Ballast mitgeschleppt wird. Ein anderer wichtiger Grund ist im phantasievollen Gesangseinsatz zu finden. Teilweise sind die Refrains tatsächlich etwas ungewöhnlich intoniert, aber die eventuell aufkommende Verwirrung weicht schnell der Freude über eine Menge Ohrwürmer erster Klasse.

Kleinere Mängel würde ich noch bezüglich des dann doch zu klischeehaften Covers anmerken, weiß ist es mit einer scheinbar zugedröhnten und übermäßig aufgebrezelten jungen Dame, so etwas hat es nicht nur schon etliche Male gegeben, es wirkt auch nicht gerade anziehend auf mich. Dies aber nur am Rande, der Rest kann ohne Übertreibung als kleines Meisterwerk gewertet werden. Der Star ist der Song, selten traf eine Beschreibung die Sache so genau. UNSUN haben den Beweis erbracht, dass Gothic Metal 2010 alles andere als tot ist, er braucht lediglich wieder die Qualität, die ihn vor fünfzehn Jahren nach vorne gebracht hat und die bekommt er hier.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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