Geist – Das Studiotagebuch zu „Galeere“

Wir schreiben den 16.12.2008. Erst gestern enterten die Black Metaler von GEÏST Markus Stocks Studio E, um dort ihr neues Werk „Galeere“ einzuspielen. Bassist und Mastermind Alboin entschied sich, geneigte Internet-User über Fort- und Rückschritte während des Studioaufenthalts auf dem Laufenden zu halten. Metal1 freut sich, das Studiotagebuch, das Alboin im Laufe der Zeit erstellen wird, nach und nach hier präsentieren zu können. Los geht es gleich mit der Anfahrt bei Sonnenaufgang und der Ankunft im Studio:

Tag 1 – 15.12.

Wenn man an Omen glaubt, könnte das ein gutes sein: mit jedem Kilometer, dem wir uns dem Studio E nähern, wird es kälter. Und nebliger. Ich bin in der Hinsicht nicht kitschig, aber wenn es um das Aufnehmen von Black-Metal-Alben geht, gibt es ja wohl wenig Passenderes, als morgens um 4 Uhr, bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, in die Rhön aufzubrechen. Kurz nach Sonnenaufgang, nach vier Stunden Fahrt, lichtet sich der Nebel, und das Licht bricht sich in den unberührten Schneemassen auf dem Mittelgebirge. Ein paar Kilometer weiter liegt, wunderschön und friedlich, Mellrichstadt. Hier werden wir unser drittes Album „Galeere“ aufnehmen – es wird, auch, um den Winter gehen, und um Einsamkeit. Besser kann eine Umgebung nicht auf das vorbereiten, was wir hier in den nächsten Tagen tun werden. Glücklicherweise können wir noch etwas tun, denn den bei Metalbands scheinbar üblichen Gelegenheiten, sich unterwegs tot zu fahren (übersehene Vorfahrtstraßen, entgegenkommende LKW, geplatzte Reifen etc.) sind wir auch nicht entkommen.

Es ist Punkt 10 Uhr, und Markus Stock begrüßt uns frierend und gut gelaunt im Studio E. Die erste Kanne Kaffee läuft durch, während wir gemeinsam das Schlagzeug aufbauen, neue Felle aufziehen, Drumsoundcheck machen und mit vereinten Ohren nach störenden Geräuschen von losen Schrauben und meckernden Ziegen (muss an den Fellen liegen) suchen. Um 13 Uhr starten die Aufnahmen. Derweil ist Gitarrist Hedrykk, frisch von den Wochenendkonzerten seiner zweiten Band LOST WORLD ORDER eingetroffen, nach einigen Bechern Kaffee gegen die Müdigkeit und den latenten Kater bereit, Marlek mit einer anständigen Pilotgitarre zu begleiten.

Wir haben uns für den Einstieg in die Aufnahmen das für den Schlagzeuger vermutlich anspruchsvollste Stück ausgesucht, den Titelsong. Von straightem Rockbeat über doomige, rhythmusbetonte Parts bis zu klassischen Blastbeats bietet der Song alles, was Schlagzeuger in Schweiß und um den Verstand bringt.
Nach der Mittagspause nehmen wir uns das epischste der Stücke auf „Galeere“ zur Brust – das fast viertelstündige „Unter toten Kapitänen“. Dabei zeigt sich auch, wie feinfühlig man mit Liedern umgehen muss – schon die kleinste Tempovariation verändert den Charakter eines Riffs vollkommen. Zu viel Exaktheit zerstört jede Natürlichkeit. Marlek schlägt sich bravourös, und noch bevor die Sonne untergegangen ist, sind die Drumtracks in trockenen Tüchern.
Den Rest des Montags verbringen wir mit dem Mittelstück des Albums, „Durch lichtlose Tiefen“, was eine gute Figur als erfolgreicher Ausklang eines anstrengenden Arbeitstages macht. Der Song hat Groove und Charme und ist dankbar zu spielen. Allerdings kommt es auch hier enorm auf das gefühlt richtige Tempo an. Die vielen hinter einer auf den ersten Blick einfachen Fassade versteckten Details kosten uns ein bisschen mehr Arbeit als erwartet, erweisen sich aber als das Himalaya-Salz in der Bordsuppe.

Am Ende des Tages haben wir die Drumtracks für drei der fünf Stücke im Kasten. Morgen warten noch zwei Leckerbissen auf uns, bevor wir uns an die Gitarren wagen können. Zur Entspannung und Vorbereitung darauf, was uns die restliche Woche über erwartet, gibt’s bei ein paar Bieren und Spaghetti „This is SPINAL TAP“. Wir nehmen uns vor, unsere Freundinnen besser nicht auf mit Tour zu nehmen, uns beim nächsten Gig die GPS-Daten der Bühne geben zu lassen und auch kleine Brote im Backstageraum zu akzeptieren. Und jetzt wird geschlafen. Auf die Studio-Skandälchen müsst Ihr leider noch warten.

Tag 2 – 16.12. Black Metal ist bekanntlich kein Ponyhof. Paukenadmiral Marlek hat sich, mit dieser Einstellung im Hinterkopf und einer enormen Arbeitswut im Allerwertesten, das Fertigstellen aller seiner Drumtracks des Albums bis genau 16 Uhr vorgenommen. Warum weiß aber niemand ganz genau. Zum Frühstück gibt’s allerdings erstmal das stärkende Debüt von SKID ROW (wir sind noch merklich SPINAL-TAP-geschädigt) und frischen Melitta-Kaffee. Der Tag kann beginnen.Ohne großes Geplänkel geht es also um 10 Uhr wieder an die Arbeit. Es wartet so früh am Tag gleich ein harter Brocken: das kühle, rasende „Einen Winter auf See“, mit dem ich dem bedauernswerten Schlagzeuger keinen Gefallen getan habe. Der Song ist eine echte Herausforderung – für GEÏST-Verhältnisse ein überaus schnell und brachial einsetzendes Lied mit extremen und interessanten Tempo- und Atmosphäreschwankungen. Wirklich ein Orkan. Es dauert bis zur Mittagspause, bis wir die Drums für das Stück im Kasten haben. Allerdings, da bin ich mir sicher, hat sich jede Minute gelohnt.Das abschließende „Helike“, das wir auf den letzten Konzerten bereits live gespielt haben, prügelt Marlek schon fast mit Routine ein. Die sich durch den ganzen Song ziehenden Doublebasspassagen sind wahrscheinlich das Brachialste, was wir auf dieser Platte haben. Als „Helike“ fertig gestellt ist, zeigt der Tacho – genau 16 Uhr. Marlek hat sich einen (furchtbar billigen und scheußlichen) Whisky auf seine prophetischen bzw. organisatorischen bzw. spielerischen Fähigkeiten verdient, der sich natürlich nicht einsam fühlen soll und daher alsbald Gesellschaft von mehreren Jever bekommt.Während der Schlagzeuger schon seinen Feierabend genießt, bereiten Markus Stock und der 1. Rhythmusmaat Hedrykk bereits den Gitarrensound vor. Das Ergebnis ihrer Bemühungen ist ein satter, tougher und überaus kerniger Klang, der rockige Differenziertheit und schwarzmetallisches Klirren wunderbar miteinander verbindet. Weil wir an diesem zweiten Studiotag noch ein, zwei Stündchen haben, macht sich Hedrykk an die Rhythmusgitarrenspuren von „Helike“. Dabei zeigt sich mal wieder: es geht nichts über eine gute Vorbereitung, und natürlich die Fähigkeit, sein Instrument zu beherrschen: der Mann beendet sein Werk binnen einer guten Stunde. Das lässt für morgen einiges erwarten.

Weil uns der Sinn heute nicht mehr so sehr nach Kochen und Heavy Metal steht, gibt’s Pizza und den überaus genialen Film „Blues Brothers“. Passt eigentlich auch nicht schlecht – auf lange Sicht und global betrachtet, würden wir dieses Album heute ohne diese Musik nicht aufnehmen. Ich hoffe, für einige Leute ist diese Aussage der für heute in Aussicht gestellte Skandal!

Tag 3 – 17.12. In einem Studio aufzunehmen, bedeutet in erster Linie Effektivität – vor allem im Vergleich dazu, Alben unter eigener Regie und in Proberäumen zu produzieren. Markus Stock erweist sich in den letzten Tagen als enorm kritischer und motivierender Engineer, der Hedrykk beim Einspielen der Rhythmusgitarren wie ein Luchs auf die Finger schaut. Kein einziger Take wird auf diesem Album landen, der nur gut ist. Sehr viel gibt es allerdings nicht zu meckern, denn Hedrykk spielt den überwiegenden Teil seiner Parts zielsicher und auf den Punkt genau. Wiederholen müssen wir das ein oder andere Stück vor allem wegen der regelmäßigen Krämpfe in der Griffhand, die den selbsternannte „Mr. One Take“ beim Mainriff von „Unter toten Kapitänen“ heimsuchen. Unter derben Verwünschungen, die ich an dieser Stelle aus Pietät nicht benennen kann, und mit schmerzverzerrtem Gesicht stellt Hedrykk während dieses Songs fest, dass alleine seine Spuren für „Unter toten Kapitänen“ mit etwa 40 Minuten Länge ein Full-Length-Album füllen würden. Aber: die Arbeit von einer oder mehreren Wochen haben wir im Studio E an einem Tag erledigt.Pünktlich zum Feierabend sind alle Rhythmusgitarren und ein Teil der Leadspuren des Albums im Kasten, und Hedrykk klagt über „linke Hand Muskelkater und rechte Schulter Muskelkater“. Der Mann hat mit der Welt (und seiner Artikulationsfähigkeit) für heute abgeschlossen.Allerdings hat sich die Mühe gelohnt. Wir haben hier und da wirklich wunderschöne Details spontan in die Stücke eingebaut. Während Markus Stock uns in „Unter toten Kapitänen“ latente IRON-MAIDEN-Einflüsse attestiert (komisch, wer ist IRON MAIDEN?), bewundere ich Hedrykk für sein Solo in diesem Song, das irgendwo zwischen GUNS N’ ROSES und ARCTURUS einzuordnen ist und mich einfach umhaut. Kurz darauf schlage ich beim sich in Tonlage, Geschwindigkeit und Intensität stetig steigernden Schlusspart von „Einen Winter auf See“ mit nicht enden wollender Gänsehaut rücklings mit dem Schädel ins Sofa. Und das sind nicht die einzigen Parts, wo mir das so geht. Das Album macht mich fertig.Ziemlich entkräftet reicht es am Abend nur noch zu einer (immerhin selbst gekochten) Pilz-Sahnesoße zu Spaghetti und den philosophischen Grundsatzdiskussionen, die immer dann einsetzen, wenn zwei Männer sich müde und angetrunken in einem Raum befinden. Eine Stunde später dämmert Hedrykk selig und mit verkrampften Händen zu „Fear and Loathing in Las Vegas“ hinweg. Nach ein paar Seiten, die ich in meiner LED ZEPPELIN-Biographie mit zufallenden Augen noch zu lesen schaffe, geht es mir ähnlich. In Gedanken bin ich schon bei den Akustik-und Effektgitarren, und vor allem beim Bass, der uns morgen beschäftigen wird.

Tag 4 – 18.12.Ich habe es wirklich versucht. Ich wollte alles so gut wie möglich machen und Hedrykk, nachdem er gestern so gute Arbeit geleistet hatte, eine Freude machen. Aber es ist alles schief gelaufen, und das schon ganz früh am Tag: das Frühstücksei war unserem Herrn Rhythmusgitarristen viel zu weich.Wir haben dann trotzdem alles gegeben, um den Tag zu retten, und im Studio nochmal wirklich alles gegeben. Hedrykk hat einige sehr schöne Feedbackgitarren für das Intro von „Helike“ eingespielt, und am Abend noch drei Stunden mit einem garstigen Stahlsaitenmonster von einer Gitarre gekämpft, um Intro und Outro zu „Unter toten Kapitänen“ in den Kasten zu kriegen. Zum Amüsement unseres Gastes, Sebastian von SONIC REIGN, hat die Gitarre die ersten Runden gewonnen, ist nach sämtlichen Tricks und Kniffen allerdings dann doch K.O. gegangen.Zwischendurch war ich selbst, nach drei Tagen Dirigieren, Meckern und Abnicken , endlich an der Reihe, ein Instrument zur Hand zu nehmen. Da ich selbst dieses Studiotagebuch schreibe, kann mich bedauerlicherweise ja niemand Drittes darin loben – deshalb muss ich leider selbst schreiben, dass ich mich eigentlich nicht schlecht geschlagen habe. Die Bassspuren für alle fünf Stücke waren in drei oder vier Stunden erledigt. Darunter auch einige wirklich sinistre Parts, in denen der Bass mehrere Oktaven unter den Gitarren für einen enormen, finsteren Schub sorgt. „Einen Winter auf See“, das sich im jetzigen Stadium zu Markus Stocks Favoriten entwickelt hat, gewinnt durch den Bass extrem an Tiefe. Der Song macht seinem Titel alle Ehre – ein stilistisch schwer greifbares, kaltes, monströses Lied mit Harmonien, die mit keinem unserer vorherigen Stücke vergleichbar sind. Andere Songs entwickeln mit jedem weiteren Arbeitsdurchgang unerahnte Facetten. „Durch lichtlose Tiefen“ tendiert zu einem straighten Rockeinschlag auf der einen und einer dumpfen, Gänsehaut erregenden, gestaltlosen Dunkelheit aus Triolen auf der anderen Seite. „Galeere“ ist ein typischer Opener, direkt, ergreifend, mitreißend. Ich bin immer gespannter, wie die Songs fertig und mit Gesang klingen werden.

Heute Abend sollte Larva B. Caneer eintreffen, mit dem Zug frisch aus Bielefeld importiert, um morgen seine Lead- und einige wenige Rhythmusparts einzuspielen. Wie man es von der Deutschen Bahn gewohnt ist, hat der Zug natürlich Verspätung, und der Mann kommt fast zwei Stunden später, mitten in der Nacht, am gottverlassenen Bahnhof von Mellrichstadt an. Das Schlimmste daran ist, dass ich schon vor Wochen für diesen Tag Currywurst und Pommes versprochen habe, obwohl ich unter normalen Umständen wirklich nur noch ins Bett möchte. SATYRICONs „Roadkill Extravaganza“ und eisgekühltes Beck’s halten Hedrykk und mich solange wach. Drei (selbstverständlich umgedrehte) Kreuze, wenn wir morgen Abend alles im Kasten haben und auf dem Weg in die Heimat sein werden.

Tag 5 – 19.12.Ich fühle mich ein wenig wie nach einer an Deck durchwachten Nacht, bei eisigen Stürmen und nur bekleidet mit einem Acapulco-Hemd. Aus Rücksicht auf die Kredibilität meiner Bandmitglieder kann ich selbstverständlich nicht in Details gehen, möchte aber dezent anklingen lassen, dass diese Nacht ohne Schlaf etwas mit der Nasenscheidewand des gestern Abend eingetroffenen Herren Larva B. Caneer zu tun haben könnte. Glücklicherweise muss heute er selbst ran, nicht ich. Wir haben genau acht Stunden Zeit, um alle seine Leadgitarren und die Rhythmusgitarren in „Durch lichtlose Tiefen“ aufzunehmen.Mit dem brennenden Ehrgeiz eines in den späten 80ern geprägten Metalmusikers, der noch analoge Bandmaschinen und die Hölle der damaligen Schnitttechnik kennt, geht Herr Caneer ans Werk. Dass der Mann seine Gitarre beherrscht und das Album am liebsten am Stück einspielen will, rettet uns heute rein zeitlich den Allerwertesten. Vor der Mittagspause, die außergewöhnlich barbarisch geprägt ist – Schweinshaxen und Rippchen -, ist aber schon ein großer Teil der Leadgitarren erledigt. Es läuft fabelhaft gut.
Markus Stock, der die Stücke noch nicht in ihrer kompletten Harmonik kennt, bemerkt, dass jedes Lied durch die zweite Gitarre enorm an Reiz gewinnt. Ich denke, da hat er nicht Unrecht. Als mein persönlicher Gewinner geht aus dem heutigen Tag „Durch lichtlose Tiefen“ hervor, das mittlerweile ein ambivalentes Monstrum aus einer sterilen, disziplinierten Kühle und der schwelgerischen, organischen, triolischen Wärme des Mittneunziger Black Metals ist. Ich kann es kaum erwarten, bis der Song seine Keyboards und vor allem den Gesang erhält.Auch die anderen vier Stücke werden mit jeder weiteren „Schicht“ tiefgehender. Die Leadgitarre in „Unter toten Kapitänen“ reißt mich hin und her zwischen hoffnungsloser Elegie und positiver Rührung, und die wunderbaren Feedbacks in einem der ruhigsten Parts des Songs zwingen mich immer wieder dazu, die Augen zu schließen und einfach zu genießen. Ähnlich verhält es sich mit „Helike“, dem die Leadgitarren jetzt seinen diffusen, submarinen Mollanstrich verleihen.Als wir uns am Abend mit den wirklich viel versprechenden Roughmixes auf den Weg ins heimatliche Bielefeld machen, ist es schon lange dunkel. Es ist wärmer geworden, der Schnee auf der Rhön war zwischenzeitlich getaut und tropft jetzt von allen Dächern. Ein ganz leichter, nicht ins Bild passender Frühlingshauch irritiert mich. In den Höhenlagen, die wir durchfahren, hat es in der Nacht wieder geschneit. Wenn man sich nur in den richtigen Regionen bewegt, ist es immer kalt, und der Schnee ist ein ständiger Begleiter. Wenn wir im Januar hierhin zurückkehren werden, um den Gesang und die Keyboards aufzunehmen und das Album abzuschließen, wird auch der Schnee noch hier sein.

Tag 9 – 08.01.2009Willkommen zurück zu unserem überaus kurzweiligen Studiotagebuch! Um gleich jeder Diskussion aus dem Weg zu gehen: dies ist tatsächlich der neunte Tag unserer Albumproduktion. Während sich die ganze Band in den letzten drei Wochen einen ansehnlichen Winterspeck angefressen hat, musste Markus Stock im Schein eines Radiators (stilecht zur Ausstrahlung des Albums war die Heizung ausgefallen) mutterseelenallein drei Tage lang am Mix arbeiten. Rockstars, die wir sind, sind wir nun nur noch zum Meckern und Verbessern zurückgekommen – und natürlich, um den Gesang und alle Keyboards aufzunehmen. Nach drei Tagen werden wir uns dann aus Steuergründen wieder auf die Bahamas verdrücken und Markus das Mastering überlassen.Um 10:30, nach über vier Stunden Blindflug über gottverlassene Autobahnen (die Scheibenwischanlage war natürlich eingefroren, genau wie die Innenseiten der Seitenscheiben), sind wir zurück im noch leicht verschneiten, vom -27°-Rekordfrost an den Eiern gepackten Mellrichstadt. Obwohl wir neugierig auf das Mixwerk des Meisters sind, halten wir uns damit momentan nicht auf und gehen sofort daran, die Keyboards aufzunehmen. Weil viele der längeren Ambientparts schon im Vorfeld fertig gespielt oder programmiert wurden, geht das verhältnismäßig schnell. Bis zum Eintreffen Cyphers am frühen Nachmittag haben wir den größten Teil schon fertig. Darunter sind neben einigen nostalgisch-windigen Black-Metal-Chören mit dem Flair der 90er-Jahre auch akzentuierende Pianoeinsätze, glänzende French Horns und heroische Trompeten, subtile Streicher, donnernde Bässe wie von Kanonenschlägen und bedrohliche Pauken, fast psychedelische Synthesizersounds, und dazu ein paar Überraschungen, die jeder in ein paar Monaten selbst suchen darf.Ein wenig Schwierigkeiten macht uns ein Relikt aus einer Zeit, als ich noch nicht Kapitän dieser großartigen Band war: ein originales Weltmeister-Akkordeon, mit dem Faruk ein wenig zu kämpfen hat. Das Ergebnis seiner Bemühungen ist die Investition aber wert. Das Instrument klingt unvergleichlich klapprig und alt und erinnert uns unweigerlich an die ranzigen Hafenkneipen aus 50er-Jahre-B-Movies.

Insgesamt geben die synthetischen Instrumente und die vielen netten Details den Songs eine interessante Würze, von der ich glaube, dass sie die Stücke für sich ziemlich wiedererkennbar und eigen macht. Das ist etwas, was ich an vielen Alben selbst vermisse: die Eigenheiten der einzelnen Lieder, die aber im Zusammenklang nie den roten Faden vermissen lassen. Vor dem Feierabend schaffen wir sogar noch den Gesang zu den drei Songs „Einen Winter auf See“, „Galeere“ und „Helike“ – in weniger als zwei Stunden. Nach kurzer Aufwärmphase ist Cyphers Stimme ausdrucksstark, variabel und passt wie die Faust aufs Auge zur jeweiligen Stimmung der Songs. Ich wage zu behaupten, dass wir sogar auf „Patina“ keinen so intensiven Gesang hatten, so ungewöhnliche und metaphorische Texte vermutlich erst recht nicht. Ich bin wirklich gespannt, die Songs ab morgen Abend gemischt und mit allen Details zu hören.

Ich nehme mir ab jetzt, um das noch kurz zu erwähnen, heraus, so wie Fenriz den dozierenden Metalpapst mimt, meine Rolle als Unterhaltungsfilmpapst wahrzunehmen und weiterhin mit Filmempfehlungen zu glänzen. Diesmal verschreibe ich „Die nackte Pistole“, die leider sträflich vernachlässigte Vorgängerserie der großartigen „Die nackte Kanone“-Filme. Der Erfahrung nach macht sich Salamipizza und/oder Frühlingsrolle sowie Beck’s ganz gut. Und man muss danach früh schlafen gehen, übrigens.

Tag 10 – 09.01.2009Ich muss mich entschuldigen. Natürlich weiß ich, dass die Metalwelt, insbesondere natürlich die Black-Metal-Welt inklusive aller ihrer Foren, voller Sehnsucht auf den nächsten Logbucheintrag aus dem Studio wartet. Widrigkeiten wie die, dass Keyboarder Faruk uns bereits am Freitagabend mitsamt eines enorm praktischen Laptops verlassen hat, trugen dazu bei, dass sich die ganze Chose ein wenig verzögert. Bevor der Mann sich allerdings gen ostwestfälische Heimat aus dem Staub gemacht hat, musste er die letzten Tätigkeiten eines Tastensklaven auf der Galeere verrichten. Unter anderem warteten noch ein paar ziemlich sinistre Pauken, ein paar untrue Schweinereien jenseits der 100-Hz-Grenze und andere Attacken auf Ohren und Anlagen der Interessierten auf ihre Fertigstellung. Unfassbar, wie viel Zeit man mit so subtilen Details verbringen kann.Der restliche Tag stand Cypher D. Rex zur freien Verfügung, der hier im Studio förmlich aufblüht und die mitunter etwas schwer zu phrasierenden Texte glorreich auf die Songs eingepasst hat. Die Authentizität, mit der er während der letzten Konzerte unsere skandalösen Anklagen gegen schlechte Musik, schlechte Intentionen, fehlende Inspiration und mangelhafte Intelligenz nach draußen transportiert hat, landet diesmal auch 1:1 (oder sogar 2:1) auf einer Platte. Endlich! Ich freue mich diebisch über die ganzen versteckten fiesen Anspielungen (besonders in „Durch lichtlose Tiefen“), die vermutlich leider niemand verstehen wird, und wie präsent dreckig, doch gleichzeitig gut verständlich Cyphers Stimme klingt. Die Intonation einzelner Wörter gibt den Stücken mitunter noch einmal eine komplette Wendung, binnen eines Satzes kippt eine ganze Aussage in ihr absolutes Gegenteil, Atmosphären türmen sich plötzlich auf wie monströse Wellen. „Unter toten Kapitänen“ ist einfach nur schrecklich und finster. So muss ein wohlüberlegter Sturm klingen.Am Abend sind wir von SONIC REIGN-Drummer Sebastian ins Sonic-Room-Studio (Mellrichstadt gilt offiziell als Black-Metal-Stadt!) eingeladen, um mit ihm und SONIC-REIGN-Gitarrist/Sänger Ben das ein oder andere Bier genauer unter die Lupe zu nehmen. Nach dem Genuss alter DARKTHRONE-Demos, BERGRAVEN-Teasern und einer wahrlich interessanten Promo von Faruks Soloprojekt FLUORYNE trennt sich die Gesellschaft. Faruk sitzt fortan im Auto, Cypher, Ben, Sebastian und ich auf das penetrante Drängen Cyphers hin in der einzigen lokalen Kneipe, die nach 22 Uhr noch AC/DC spielt. Wir trinken beiläufig und diskutieren über 70er-Jahre-Hardrock (ich kann an dieser Stelle verraten, dass Ben DEEP PURPLE-Verfechter ist) und stellen fest, dass ich nicht der einzige Musiker unter 30 bin, der nach Konzerten gerne in einem Bett schläft (mich entsetzt meine verweichlichte Art, Sebastian scheint es zu beruhigen). Außerdem verabreden wir uns für den nächsten Tag zu einem gemeinsamen Mittagessen, das SONIC REIGN an ihrem Probentag (!) als Pause nutzen wollen. Ich kann verraten, dass diese Information noch von Bedeutung sein wird.Als wir uns weit nach Mitternacht auf den Weg in unsere Pension machen, verkündet Ben mit „Hells Bells“-seligem Grinsen und verdächtig schwerer Zunge, er wolle „noch kurz bleiben und sein Bier austrinken“. Dass ich heute auf den traditionellen Runterkomm-Film am Abend verzichten muss, finde ich in diesem Moment noch ganz leicht schade. Am nächsten Mittag werde ich allerdings wissen, dass sich das alternative Schauspiel dieses Abends mehr als „Donnie Darko“ gelohnt hat.

Publiziert am von Marius Mutz