Review Amon Ra – We Never Said Good-Bye

„We Never Said Good-Bye“ – einen passenderen Albumtitel hätten die deutschen Progrocker AMON RA für ihr Zweitwerk tatsächlich nicht wählen können: Es erscheint sage und schreibe 18 Jahre nach ihrem Debüt „Precarious Balance“, das zu einem Geheimtipp der Szene avancierte. Nach einer gemeinsamen Tour mit Saga 1999 begann die Band um die Jahrtausendwende mit den Arbeiten am Nachfolger, die jedoch in einem Business-Debakel endeten, das zum Erliegen aller Aktivitäten führte. Offiziell aufgelöst hat sich die Gruppe allerdings nie.

Es war trotzdem eine echte Überraschung, als sich AMON RA Ende 2015 mit einem neuen Studiowerk aus der Versenkung zurückmeldeten – in unveränderter, wenn auch leicht reduzierter Besetzung ohne festen Keyboarder und Bassisten. Der Großteil der zwölf Songs auf „We Never Said Good-Bye“ stammt tatsächlich noch aus der Zeit um das Jahr 2000.

Musikalisch beschreibt sich die Band als „Storytelling Rock“ – ein guter Oberbegriff für die sehr variantenreichen 73 Minuten, die den Hörer erwarten. Denn neben epischem Neo-Prog der alten Schule präsentieren AMON RA auch knackigen (Retro-)Rock, schöne Piano-Balladen, Akustiknummern und ein Prog-Metal-Instrumental. Wirklich einzigartig dürfte allerdings der Tango-Prog des Songs „Tango Mortale“ sein. Ein Stilmix, der zunächst irritieren mag, in AMON RAs Interpretation aber perfekt funktioniert. Denn sie tragen ihn mit Augenzwinkern, tollen Lyrics und einer gehörigen Portion Spielfreude vor.

„We Never Said Good-Bye“ ist eine echte Underground-Perle. Neben wirklich stark komponierten Songs ist dabei Sänger Scott Balaban das größte Plus der Combo. Der gebürtige Amerikaner hat eine sehr variantenreiche Stimme, mimt den pathetischen Neo-Prog-Erzähler genauso gut wie den Singer-Songwriter mit Akustikgitarre oder den rauchigen Rocker im schweißigen Club.

Besonders gut ist das Trio immer dann, wenn es progressiv unterwegs ist. Etwa im epischen Zehnminüter „Time Will Come To Your Rescue“, dem wahnwitzigen „Tango Mortale“ oder dem etwas härter angelegten Instrumental „Karma Machine“. Die beiden Highlights der Platte sind für mich allerdings das deutlich an Saga erinnernde „Dance Of Duty“ und „Where When And Why“. Letzteres ist Melodic-Prog, wie er im Buche steht, mit einem Gänsehaut erregenden Mittelteil von Gitarrist Thomas Wenzel. Aber auch die ruhigen Momente, etwa die wunderschöne Ballade „Rocket Man“, wissen zu überzeugen.

Schlagzeuger Lothar Hermann darf man gleich doppelt danken: Zum einen, weil er seine Bandkollegen nach all den Jahren überzeugt hat, das Album doch noch zu vollenden; zum anderen, weil er „We Never Said Good-Bye“ zu einem sehr klaren und dynamischen Sound verholfen hat. Für eine Eigenproduktion klingt die Platte wirklich gut. Dass die eine oder andere Gitarrenspur etwas druckvoller hätte ausfallen können und an manch einem Keyboardsound durchaus der Zahn der Zeit genagt hat, fällt dabei nicht besonders schwer ins Gewicht.

Es ist wirklich toll, dass die Jungs sich dazu entschieden haben, ihre Songs doch noch professionell aufzunehmen und rauszubringen. Sie sind einfach zu gut, um ihr Dasein auf verstaubten Demotapes zu fristen. Insofern ist wirklich zu hoffen, dass dieses Lebenszeichen für die nächsten 18 Jahre nicht das einzige von AMON RA bleiben wird. „We Never Said Good-Bye“ ist jedenfalls eine echte Empfehlung – nicht nur für Prog-Freunde, sondern auch für alle, die Spaß an variantenreichem, einfach gut gemachtem Rock haben.

Wertung: 8 / 10

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