Es ist sicherlich keine neue Erkenntnis, dass Post-Rock einen Arschtritt braucht. In der schier unüberschaubaren Masse dieser Musikrichtung herrscht einfach zu oft das gleiche Muster vor: kein Gesang, ruhiger Beginn, Spannungsaufbau, plötzliche Entladung, melancholische Grundstimmung, dazu noch ein möglichst lange Bandname, ein langer Albumtitel und abstruse Songtitel, das ganze meistens von einigen jungen Männern mit Vollbärten vorgetragen. Es sind hier nur einige wenige Bands, die aus dem großen Pool herausragen, und es schaffen mit diesen Mustern zu brechen, oder diese in absoluter Perfektion vorzutragen. 2009 traten AND SO WATCH YOU FROM AFAR aus Belfast mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum an, sich in diesem Genre zu beweisen. Alleine durch die schiere Wucht und ihre sowohl auf Platte, als besonders auch Live zu Tage tretende Sturm-und-Drang Attitüde prügelten die vier Jungs mit ihrer durch Math-Rock Elemente angereicherten Variante des Post-Rock die Gehörgänge ihrer Zuhörer windelweich und katapultierten sich somit selbst in die oberen Gefilde ihres Genres. Von Melancholie keine Spurt, dafür Ungestümtheit und Schweiß.
Nach der Urgewalt ihres ersten Albums, welches in Deutschland erst mit einem Jahr Verspätung veröffentlicht wurde, steht nun das zweite Album „Gangs“ ins Haus. Die Erwartungen sind klar: noch einmal mit Gefühl, oder besser gesagt: noch einmal mit Gewalt, bitte! Und AND SO I WATCH YOU FROM AFAR tun dem Hörer diesen Gefallen. Wieder scheppert und kracht es, die druckvolle Produktion fegt aus der Anlage, die technisch versierten Gitarrenmelodien flirren durch den Raum, der Bass wummert, das Schlagzeug explodiert förmlich und nach 45 Minuten wird man von diesem aggressiven Brocken Musik ausgelaugt und schwindlig zurück gelassen.
Alles was diese Band ausmacht lässt sich exemplarisch im Opener von „Gangs“ feststellen: Nicht nur der Titel und die Caps-Lock Schreibweise, sondern auch der Schrei, welcher „BEAUTIFULUNIVERSEMASTERCHAMPION“ einläutet weist die Richtung dieses Albums auf: das Gaspedal geht auf Anschlag, die Verstärker glühen und auf die althergebrachten Muster des Post-Rock wird allerhöchstens sporadisch zurückgegriffen. Ohne lange zu zögern prügelt Chris Wee am Schlagzeug auf seine Fälle ein, Rory Fries und Tony Wright spielen sich an ihren Gitarren in bester Math-Rock Manier schwindlig und ziehen die bereits hohe Geschwindigkeit noch einmal an. Erst nach knapp drei Minuten bleibt dem Hörer kurz Zeit zum Luft holen, nur um in den folgenden drei Minuten Zeuge zu werden, wie AND SO WATCH YOU FROM AFAR nun doch eine genretypische Klimax beschwören, die an Emotionen dieses Jahr wohl kaum zu überbieten sein wird. Sowohl Arschtritt als auch Beibehaltung der Muster in einem.
Dieser umwerfenden Eröffnung folgt Musik auf hohem Niveau, das Tempo reißt oft in nahezu punkige Gefilde aus, die Gitarren spielen sich gegenseitig in einen Rausch, gelegentliche Gang-Shouts reichern das Album mit noch mehr Emotionen an, als es die Musik alleine bereits tut, und kurz vor Schluss wird in „Home – …Samara to Belfast“ doch noch an der 10 Minuten Songmarke gekratzt. Doch so euphorisiert und euphorisierend „Gangs“ ist, wirkt das was AND SO I WATCH YOU FROM AFAR dem Hörer präsentieren an vielen Stellen ein wenig zu verkopft und gewollt und wissen nur in einzelnen Teilen zu begeistern. In diesen allerdings stellt die Band so ziemlich alle ihre Genre-Kollegen an Ideenreichtum und schlicht und ergreifend Mächtigkeit in den Schatten, und wird mit den alten und neuen Songs live wahrscheinlich jedes Publikum tropfnass spielen.
Und wenn sich im abschließenden „Lifeproof“ die Gitarren in immer höhere Höhen emporschrauben, schließlich Karnevalstrommeln einsetzen und „Gangs“ mit Jubelgeschrei so endet, wie es begonnen hat, lehnt man sich glücklich zurück und hat seine Kritikpunkte schon beinahe wieder vergessen.
Wertung: 7.5 / 10