Anyone’s Daughter werden es recht schwer haben, sich bei der Masse an Neuveröffentlichungen einen Interessentenkreis zu erspielen. Und dabei ist die Musik auf „Wrong“, ihrem 7. Album in 25 Jahren Bandgeschichte, doch gar nicht mal so schlecht!
Ende der 70er bis Mitte der 80er war die deutsche Band aus dem Stuttgarter Raum ein wichtiger Vertreter des sogenannten Artrocks. Nach der Veröffentlichung der LP „Neue Sterne“ im Jahre 1983 löste sich die Band jedoch auf. Die wiederauferweckte Version von Anyone’s Daughter besteht neben den beiden Gründungsmitgliedern Matthias Ulmer und Uwe Karpa aus dem Sessiondrummer Peter Kumpf und den beiden Amerikanern Andre Carswell und Raoul Walton. Dies führte auch zu einer Neuorientierung was die Lyrics der Songs betrifft, die jetzt komplett in englischer Sprache gehalten sind. Diese neue Besetzung debütierte 2001 mit dem Album „Danger World“, welches Hauptkomponist Ulmer aus heutiger Sicht für zu poppig hält. Das neue Album sei hingegen härter und eine eindeutige Rockscheibe.
Aber zurück zu meiner Anfangshypothese: Die Band scheint den Artrock-Pfad ihrer Vergangenheit endgültig verlassen zu haben. Da man sich stilistisch nun doch grob anders orientiert, bin ich mir recht sicher, das eine Vielzahl von alten Fans mit dem Material der zweiten Version von Anyone’s Daughter eher nicht warm wird. Dann gibt es ja noch Progrock-Fans, die sich so ziemlich jede Veröffentlichung aus ihrem Bereich in den Schrank stellen. Auch jene werden nach dem Kauf von „Wrong“ zwar nicht total enttäuscht, aber vielleicht ein wenig gelangweilt sein. Das aktuelle Songmaterial lässt sich nämlich eher in die Sparte des normalen Rocks und Pops einordnen. Und so dürfte das Material für den Proggie schnell Ermüdungserscheinungen aufweisen. Dann müsste es ja den Radiofreaks gefallen! Nein, auch nicht der Fall. Dafür sind die Fünf nämlich wiederum viel zu sehr auf Individualität aus. Die Formel lautet hier: Wir schreiben Melodien, die gut zugänglich und massenkompatibel sind. Dazu lockern wir sie immer wieder mit progrockigen Instrumentalparts und Soloabfahrten von Gitarren und Keyboard auf. Und da das Album über ein total einfallsloses Cover verfügt, das keineswegs die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, dürfte es selbst die seltene Spezies der „Geniales Cover – Kauf Ich!“-Schicht nicht einpacken. Das Ergebnis: Keiner der vier genannten Parteien dürfte mit „Wrong“ deshalb wirklich unbegrenzten Spaß haben.
Dabei ist doch die Stimme von Andre Carswell durchaus sehr angenehm, sie passt ungemein gut zur Musik und er setzt sie auch sehr variabel sein. Die Schreibformel wird gut mit Inhalt gefüllt. Leider kommt es dabei mitunter beim Hören zu wüsten Stilübergängen der Form Simplizität – Komplexität und Langeweile – Spannung, zumindest wenn man es wie ich durch die Progrock-Brille sieht. So wirken Passagen unpassend zueinander, und die immer mal wieder wirklich schönen Melodien werden auch durch allzu durchkomponierte, an den Haaren herbeigezogene Vocallines durchsetzt. Das wirkt als Spaßbremse. Dennoch gibt es drei herausstechende, gelungene Titel: Die beiden Balladen „Without You (The Way It Was)“ und „Far Away“ (mein Anspieltipp), sowie „Out Of This World“, welches mit ungeheurer Intensität die Liebe zu einer Frau besingt. „Helios Reloaded“ sei an dieser Stelle den streng progrockigen Freunden empfohlen; das ist der maximale Frickelfaktor, den ihr zu erwarten habt.
Ich gebe mal 7 Punkte, an denen sich sämtliche oben angesprochene Käuferschichten orientieren können. Rein musikalisch verdient die Scheibe aber bestimmt mindestens einen Punkt mehr, da hier erfahrene und versierte Musiker am Werk sind, die ihre musikalische Vision klar vor Augen haben und auch die Produktion herausragend gelungen ist. Leider gilt also das Statement von Matthias Ulmer über die korrekte Übersetzung des Albumtitel auch für die darauf enthaltene Musik und ihre Erfolgsquote: „Wrong“ heißt nicht nur falsch, sondern auch ungerecht…
Übrigens: Die Scheibe gibts auch als Special Edition mit dickerem Booklet und zwei Bonus-Livetracks!
Wertung: 7 / 10