Man stelle sich beim Hören von „Wild American Runners“, dem dritten Longplayer der US-amerikanischen Rockband ARLISS NANCY, permanent das angespannte und verbissene Gesicht von Bruce Springsteen vor, während er mit all seiner Leidenschaft und mit heiserer Stimme seine unzähligen Hits in das weite Stadionrund presst. Warum? Es gibt einfach kein Bild, welches die Atmosphäre auf diesem Album besser beschreiben könnte. Irgendwo zwischen Rock, Americana und Punk, zwischen verzerrter Gitarre, Reibeisenstimme und Saloonpiano machen es sich ARLISS NANCY im Windschatten von Bands wie The Hold Steady oder The Gaslight Anthem bequem und wissen über weite Strecken zu überzeugen, auch wenn sich einige Stolpersteine einschleichen und der letzte Funke nicht so recht überspringen will.
Der Opener „Benjamin“ steigt direkt und ohne Umschweife mit der rauen und gepressten Stimme von Cory Call ein, der über einen beschwingten Rhythmus und eingängige Gitarren seine Geschichten krächzt. Bereits in „Troubadour“ wird das Tempo deutlich angezogen und die Rockattitüde durch punkige Einflüsse unterstützt, während das bedächtige „Nathaniel“ beinahe mit der großen Stadiongeste aufwartet und sich ganz eindeutig am großen Bruce Springsteen orientiert. Besonders der Einsatz eines eingängigen Keyboards, das sich nie in den Vordergrund drängt, aber stets eine tragende Rolle spielt, gibt dem klassischen US-Rock-Sound von ARLISS NANCY seine besondere Note. Besonders schön fällt dies im eingängigen „Both Got Old“ sowie im groovenden „The GB Shuffle“ auf. Das Songwriting ist stets durchdacht, bleibt auf Albumlänge allerdings von den verschiedenen Tempi abgesehen relativ gleichförmig und gestaltet sich insgesamt doch recht unspektakulär. Und auch wenn die Stimme von Cory Call perfekt zu dieser Musik passt, wirkt dieser in seiner Art zu singen stets sehr bemüht und angestrengt, da er zu offensichtlich versucht, wie seine großen Idole zu klingen. Die Folge daraus ist, dass dem Gesang oft die notwendige Kraft fehlt, um sich gegen die Musik durchzusetzen.
Das Aroma von Wüstenstaub und Whiskey im Mund zu schmecken, das Gefühl zu vermitteln, in einem verschwitzten Flanellhemd über einem fleckigen Feinripp-Unterhemd in einer verrauchten kleinen Bar im Mittleren Westen der USA zu sitzen – dieses Ziel erreichen ARLISS NANCY mit „Wild American Runner“. Dass das Album allerdings nicht zu wesentlich mehr als Hintergrund-Unterhaltung reicht, liegt an der zu geringen Abwechslung und dem Gefühl, all das schon an anderer Stelle in überzeugenderer Ausführung gehört zu haben. Das bedeutet auf keinen Fall, dass „Wild American Runner“ ein schlechtes Album wäre – ARLISS NANCY treiben die Verbeugung vor ihren Vorbildern allerdings so weit, dass ihre Eigenständigkeit dabei zu einem gewissen Teil auf der Strecke bleibt. Dieses Manko kann die Band durch ihre stets hörbare Leidenschaft und ihrem gefühlvollen Zugang zu Rock’n’Roll allerdings zu einem gewissen Teil wieder wett machen.
Wertung: 6.5 / 10