(Alternative / Reggae / Rock / Folk) Als musikinteressierter Mensch, der sich für viele verschiedene Musikstile zu begeistern weiß und auch das aktuelle Zeitgeschehen verfolgt, geht man davon aus, relativ viel mitzubekommen. Einmal mehr muss man festhalten: Auch wenn es das Internet gibt und man scheinbar von jedem noch so kleinen Hühnerschiss irgendwo einen Bericht finden kann, gibt es doch immer wieder ganze Elefantenherden, welche unbemerkt vor dem eigenen Fenster vorbeiziehen. Die mir vor dieser EP gänzlich unbekannte US-Band DISPATCH hatte sich 2004 aufgelöst und ihr letztes Konzert vor über 100.000 Fans gespielt – ihre Rückkehr 2007 wurde mit drei ausverkauften Shows im New Yorker Madison Square Garden gefeiert, welche lediglich über ihre Homepage und Myspace beworben wurden – die eingenommenen zwei Millionen Dollar (!) wurden an Hilfsorganisationen gespendet. Gut, könnte man sagen, das Ganze fand ja in Amerika statt, das kann man schon mal verpassen. Dass die Band nun auch ihre Europa-Konzerte ohne Werbung ruckzuck ausverkaufte und in größere Hallen verlegen musste, ist dann allerdings doch erstaunlich. Wenn jemand nach der Bedeutung, vor allem aber den Erfolgsaussichten des Begriffs „DIY“ fragt, sollte er sich also tunlichst an DISPATCH wenden.
Mit der „Dispatch EP“ liegt nun die erste Veröffentlichung der Band seit 2002 vor – selbstverständlich, möchte man fast sagen, stieg diese CD bei Erscheinen 2011 in den USA in die Top 50 der Charts ein. In Deutschland erscheint die CD mit einigen Monaten Verspätung im März 2012 – die beiden Deutschlandkonzerte sind dessen ungeachtet bereits im Vorfeld nahezu ausverkauft. Was für eine Musik spielt nun eine Band, die nahezu irrwitzige Erfolge feiern kann, ohne sich der großen Marketing-Maschinerie auch nur einen Millimeter anzunähern? Die naheliegende Antwort: Ein bisschen was von Allem, denn das tut keinem weh, und letztendlich kann sich auch niemand darüber beschweren. Doch auch wenn das, was DISPATCH auf ihrer gleichnamigen EP spielen, schon ganz okay und gefällig aus den Boxen trudelt, bleibt es mir ein absolutes Rätsel, warum gerade diese Band derartige Massen vor die Bühnen der Welt zu ziehen vermag.
Im Verlauf der sechs Songs scheint es wirklich so, als möchte die Band möglichst alle Freunde von irgendwie mit dem Schlagwort „alternativ“ versehener Musik zufriedenstellen: Der Opener „Melon Bend“ gefällt als ein toller, indie-infizierter, melodischer Alternative-Rock-Song und spielt in den Gefilden, in welchen dieser Genre-Begriff kein Schimpfwort darstellt. Bereits das anschließende „Con Man“ könnte in dieser Form allerdings von jeder x-beliebigen Reggae/Rock-Band geschrieben worden sein und erinnert teilweise an Sublime, ohne deren Stil auch nur ansatzweise das Wasser reichen zu können. Der abwechselnde Gesang ist zwar durchaus melodiös und passt gut zur Musik – auch hier allerdings ist so etwas wie Wiedererkennungswert nicht gegeben. Neben Reggae und Alternative Rock findet sich noch eine Old-School-Ska-Nummer, eine Indie-Feuerzeugballade (inklusive Gitarrensolo), ein von Akustikgitarren getragener, ruhiger sowie ein durch Banjo angestachelter, schnellerer Folksong. Die Produktion der Platte ist durchweg hervorragend, die Songs inhaltlich stimmig und gefällig. Tut keinem weh, geht in das eine Ohr rein und zum anderen wieder raus. Man könnte sich das sehr gut im Radio beim Kochen vorstellen.
Das ist vielleicht auch das größte Problem: DISPATCH sind definitiv keine schlechte Band, wissen vor allem in ihren folkigen Momenten sehr zu gefallen und mitzureißen – dennoch unterscheiden sie sich kaum von der ganz guten Band, die du gestern vor fünf Leuten im JUZ um die Ecke gesehen hast. Jemand war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat das Snowballing-Phänomen perfekt ausgenutzt. Aber hey: Wieso auch nicht.
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