Review Ignis Fatuu – Neue Ufer

Nicht noch eine MA/Folk-Scheibe – so oder so ähnlich könnte der erste Eindruck bei einem Blick auf die Promo zur neuen Ignis Fatuu-CD „Neue Ufer“ lauten. Glücklicherweise werde diese Schwarz auf Weiß getippten Worte nicht umsonst als Waschzettel bezeichnet, denn aus musikalischer Sicht liefern die Franken hier eine der besten Produktionen der jüngeren Vergangenheit ab. Dabei überzeugen die gesammelten Anleihen von Schandmaul, Saltatio Mortis und Subway to Sally vor allem durch eine unverkennbare Eigennote der Süddeutschen sowie Texten mit Herz und Hirn, die man bei manch etablierter Genregröße in jüngster Vergangenheit vermisst hat.

Die Analogien zu etwas älteren oder auch neueren MA-Veröffentlichungen beginnen direkt beim ersten Track namens „Wolfszeit“. Die dort verwendete Hookline „Der Mond ist unsere Sonne“ kennen Genrefans bereits von Schelmishs „Räubertanz“. Ignis Fatuu kleiden diesen Satz musikalisch in ein weniger markttaugliches, sondern höchst gelungens Folkrockgewand, melodiös geführt von Irene an der Flöte, die ebenfalls im Duettgesang mit Sänger Alex zu hören ist. Diese Kombination aus extrem Tief und teils extrem Hoch erweist sich im weiteren Verlauf des Albums als sehr speziell im positiven Sinne: So könnten Songs wie eben „Wolfszeit“ oder „Stille Wasser“ problemlos als Titellied für japanische Mangaserien durchgehen. Melodisch arrangiert gehen sie flüssig ins Ohr, während die Textinhalte gesanglich so vertont werden, dass sie harmonisch in dieses Klanggerüst einfließen. Nichts wirkt erzwungen und künstlich herbeigeführt, sondern natürlich und stimmig. Zwar sind beide Stimmen unter dem Strich kein Nonplusultra und nicht frei von Fehlern, doch durch den fränkischen Einschlag und das abgedeckte Tonspektrum hinterlassen Alex/Irene einen bleibenden Eindruck, der über ein nett gemeintes „Gut gesungen, aber das war’s“ hinaus geht.
Wenn sich Irene auf ihr hervorragendes Flöten-, Schalmeien- und Dudelsackspiel beschränkt, singt und erzählt Alex alleine von jungen Kriegern, Maskenbällen und Scherenschnitten. Dabei klingt er so wandelbar und einfühlsam wie ein Frontmann bzw. ein Spielmann, der bereits weit mehr als zwei Studioalben auf dem Kerbholz hat. Lediglich auf einige stimmliche Einlagen wie ein langgezogenes „Geschehen“ und „Bann“ bei „Maskenball“ hätte das Quintett verzichten können, da es keine gesanglichen Experimente dieser Art sind, die Ignis Fatuu zusammen mit Nachtgeschrei und Vroudenspil zu den Hoffnungsträgern im weit gefassten Folkrock/MA-Metal-Bereich machen. Ebenfalls überflüssig sind Synthieelemente wie der Hammerschlag am Anfang von „Wörterschmiede“, da alle Musiker ihr Handwerk verstehen und diese künstlichen Elemente keinesfalls nötig haben.

Nur selten schlagen Ignis Fatuu die ruhigeren Töne an wie in „Wer nicht ich, wer wann“: Dabei übernimmt passenderweise Irene den Leadgesang im Refrain und haucht dieser Ballade zusammen mit Geiger Alex Nr. 2 das nötige Gefühl ein, bevor Alex Nr. 1 am Mikrofon mit einstimmt und der Song etwas Fahrt aufnimmt. Ein Paradebeispiel für einen ruhigen Song, der frei von übertriebenen Experimenten ist und genau wie z.B. der weit schnellere Titeltrack „Neue Ufer“ in ähnlicher Form bereits 1000 Mal geschrieben wurde. Generell gilt: Ignis Fatuu machen in den gesamten 49 Minuten des Albums vieles wie zahlreiche andere Bands mit vergleichbarem Instrumentarium, nur besser, einfallsreicher und eben einen Tick überzeugender.
Die Gitarrenparts von „Scherenschnitte“ und besonders „Spiel des Lebens“ mit seinem denkbar simpel gestrickten Chorus erinnern beispielsweise an Saltatio Mortis, doch das Quintett ist von einer blanken Kopie des „Keines Herren Knecht/Uns gehört die Welt“-Konzepts meilenweit entfernt. Trotz der vorhandenen Parallelen, vieler bekannter Melodien und sogar ähnlicher Textbausteine fühlt man sich nie so, als ob man die Kopie oder den Abklatsch einer bekannteren Größe hört, sondern vielmehr wie der Zeuge bei der Entstehung einer nächsten Institution in den härteren MA-Rock-Gefilden. Die gewachsene Härte und Reife ist auch der auffälligste Unterschied zum noch eher verspielten Vorgänger „Es werde Licht“.
Mit „Wahre Schönheit“, „Wörterschmied“ und „Scherenschnitte“ setzen Ignis Fatuu darüber hinaus textlich eigene Duftmarken, die man von relativ unbekannten Bands zu einem so frühen Zeitpunkt in der Vita selten erlebt. Textstellen wie „Wer sahnt ab die Sahne?“ sucht man hier vergebens – und selbst die etwas anspruchsvolleren Inhalte gehen nicht auf Kosten der Livetauglichkeit oder anderweitiger Kompromisse. Das Album zeigt sich folkig wie rockig wie metallisch wie ruhig – und überzeugt in allen Belangen.

Nach dem bereits guten Debüt „Es werde Licht“ haben Ignis Fatuu mit „Neue Ufer“ ein Meisterwerk abgeliefert, wenn man in Betracht zieht, dass die Kombo zwar seit 2004 existiert, aber erst vor zwei Jahren auf dem Radar der hiesigen Mittelalterszene aufgetaucht ist. Beim nächsten Mal wird es anstatt „Oh Gott, noch eine anonyme Mittelalter-CD“ eher heißen: „Endlich wieder eine Ignis Fatuu-VÖ“
Auf die Zukunft dieser Band können sich Folkrock-Fans nur freuen.

Wertung: 9 / 10

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