Review Javelin – Fragments Of The Inner Shadow

1953 drehte James Algar für Disney den Tierfilm „Die Wüste lebt“ – und fing auf diesem Streifen in teils recht drolliger Manier den Beweis dafür ein, dass die Wüste, dieser Ort, den man im ersten Affekt als eine Ansammlung lebloser Materie begreifen möchte, vor Leben nur so wimmelt. Der Clou der Sache: Man musste schon ganz genau hinsehen, sonst hätte man den Großteil dessen, was da so kreucht und fleucht, schlicht übersehen. Und mit dieser kleinen Anekdote aus dem Reich des Tierfilms kommen wir zu „Fragments Of The Inner Shadow “ der deutschen Band JAVELIN – und damit auch zur Parallele. Denn hier wie da muss man schon gewillt sein, genau hinzusehen (respektive hinzuhören), um einen Blick auf die lebendige Schönheit zu erhaschen. Ansonsten bleibt das Ganze nämlich schlicht tote Masse.

Nachdem sich JAVELIN bereits 1982 gegründet haben, hat es bis heute über 30 Jahre gedauert, bis das erste Full-Lenght-Album dieser Tage das Licht der Welt erblickt. Die Band kann also auf drei Jahrzehnte Übungszeit zurück blicken – und hinsichtlich der spielerischen Raffinesse sind die vielen Jahre auch durchaus zu hören. Die Gitarrenarbeit ist sauber und und punktgenau, die Soli häufig deutlich überdurchschnittlich, das Schlagzeug pointiert, wenn auch nicht wahnsinnig innovativ. Mit dieser technischen Wand im Rücken wagt sich das Quintett immer wieder über die Ränder des melodischen Power Metals hinaus und betritt proggige Gefilde – deutlicher Pluspunkt für die Scheibe, die in erster Linie an ihrer Vorhersehbarkeit krankt. Da tun diese Prog-Beimischungen wirklich gut. Sie zeigen aber auch, dass es eine deutliche Diskrepanz zwischen technischem und kompositorischem Können gibt.

Denn obwohl die meisten der zwölf Songs für sich gut hörbar sind, haben sie als Ganzes genommen kaum Zugkraft. Das zusätzlich vorhandene Intro ist kaum der Worte wert – eine junge Frau, die in gekünstelter Angst (vor was? Den folgenden 60 Minuten Musik?) und schwer akzentgefärbtem Englisch vor sich hin schwadroniert, nein, das erzeugt keine Stimmung, sondern höchstens ungewollte Komik. Also zurück zur Musik: Obwohl man sicherlich einen cooleren Opener wie „The Arrival“ hätte finden können, macht das Stück doch klar, wie man sich die folgenden Nummern vorzustellen hat. Man setzt auf bekannte, aber wirkungsvolle Power-Metal-Riffs, streut gezielt proggige Rhythmen ein und veredelt das Ganze mit der klaren, hohen Stimme des Sängers. Ein Erfolgsrezept, keine Frage und mit „The Cenotaph “, „Birth Of A Plague“ oder „Lie To Me “ hat die Band ein paar richtig gute Songs eingespielt. Immer wieder blitzen kleine, enorm gute Momente durch, die an Iced Earth, an Iron Maiden oder an Queensryche erinnern. In diesen Momenten lebt die Wüste; hübsch übrigens, dass sich sogar ein Song namens „Captured Under Sand“ auf das Album verirrt hat. Als hätte man selbst das Bild der Wüste vor Augen gehabt. Naja, aber auch so kann der Song mit seiner gelungenen Melodiearbeit überzeugen.

Tja, aber spätestens wenn man beim letzten Stück angelangt ist, wird einem klar, was John Maynard Keynes damit meinte, als er sagte: „In the long run we are all dead.“ Denn auf lange Sicht ist „Fragments Of The Inner Shadow“ tatsächlich dazu verdammt, abzusterben. Obwohl man fünf, sechs wirklich gute Songs aufgenommen hat, verharren mindestens eben so viele im blanken Durchschnitt. Die wenigen, wirklich genialen und packenden Momente sind einfach zu selten gestreut, um von einem wirklich guten Album zu sprechen – vor allem die Gesangsmelodien ähneln sich doch sehr stark und sind gegen Ende hin kaum mehr voneinander zu unterscheiden.

JAVELIN haben nach 30 Jahren Bandexistenz ein zwar durchaus hörenswertes und technisch absolut einwandfreies Album auf Konserve gepresst, aber in puncto Eigenständigkeit und Eingängigkeit darf man gerne noch eine Schippe drauf legen. Eine besondere Episode in dem bereits erwähnten Film „Die Wüste lebt“ bildet übrigens der tropische Regenschauer, der die Wüste überschwemmt und für das kurze, aber intensive Aufblühen dieses Landstriches führt. Und ganz ehrlich: Ich wünsche JAVELIN diesen Regen. Und sei es nur für ein einziges kurzes, aber kraftvolles Album …

 

 

 

Wertung: 6.5 / 10

Publiziert am von Manuel Förderer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert