Review Light Bearer – Lapsus

  • Label: Alerta Antifascista
  • Veröffentlicht: 2011
  • Spielart: Sludge / Drone

Am Anfang ist die Stille. Nach einigen Sekunden erklingt eine simple Melodie, die alles andere als beruhigend wirkt. Ein Heranpirschen. Dann ziehen sie auf, die dunklen Wolken. Es donnert, aus dem Nichts arbeitet sich etwas an die Oberfläche hervor. Wir befinden uns am nebelverhangenen Anfang einer Geschichte. Der Geschichte. Und bereits jetzt ist klar: das wird nicht gut enden. Ein Cello zerrt an den Nerven, ein Schlagzeug wiederholt repetitiv bedrohliche Schläge, Gitarrenflächen dröhnen, ein einziges Chaos. Schließlich finden die Streicher wieder zur Melodie zurück, der Wind weht schneller, die Wolken ziehen über unsere Köpfe hinweg. Das Schlagzeug versucht sie zu vertreiben, versucht den Blick frei zu geben auf die Welt, doch ohne Erfolg. Das Dröhnen kommt zurück, es wird wieder dunkel. Eine bedrohliche Stimme erhebt sich und berichtet vom Anfang. Von der Macht des Gottes, der all dies geschaffen hat. Und schließlich die herbeigesehnte Erlösung: „He shackled thought and chastised free will and saw that this was good.“ Die Schöpfung ist vollendet. Die Geschichte beginnt. Die Geschichte der Menschheit. Doch vor allem die Geschichte des Zweifels an dieser Gottheit. Die Geschichte Luzifers.

LIGHT BEARER sind nicht irgendeine beliebige Gruppe von Musikern. Dies zeigt sich bereits in den Parallelen zu der Band, in welcher Sänger und Texter Alex zuvor in gleicher Funktion tätig war: Fall of Efrafa. Dieser Bastard aus Hardcore, Sludge und Doom arbeitet sich textlich an einer Geschichte ab: Die Texte orientierte sich an Richard Adam’s Roman „Watership Down“, und die Band erzählte über drei Alben hinweg eine auf diesem Narrativ basierende Geschichte, welche sie mit den politischen Einstellungen ihrer Mitglieder verband.

Das Konzept LIGHT BEARER setzt ebenfalls auf ein durchgängiges Narrativ: Über den Verlauf von vier Alben soll basierend auf Philipp Pullmans „His Dark Materials“ Trilogie, dem Buch Genesis und John Miltons „Paradise Lost“ die Geschichte Luzifers erzählt werden. In Teil Eins, welcher in Form von „Lapsus“ vorliegt wird Luzifers Verbannung aus dem Himmelreich thematisiert. Von der vollkommenen Liebe zu Gott getrieben weigert er sich dem von Gott geschaffenen Menschen, personifiziert durch Adam, zu unterwerfen, und wird aus dem Himmelreich verbannt. In den Selbstzweifeln die ihn von nun an treiben beginnt er seinen Herren zu hinterfragen, zu kritisieren, und beschließt den freien Willen in die Welt zu bringen. Der Lichtbringer. Ende des ersten Teils.

Man könnte dieses Konzept ehrgeizig nennen, und das wäre wahrscheinlich noch untertrieben. Doch während Fall of Efrafa hier in der Kür bereits umwerfend waren, gehen LIGHT BEARER noch einen Schritt weiter. Vom rohen Hardcore Punk der frühen Fall of Efrafa ist nichts mehr zu spüren, vielmehr knüpfen LIGHT BEARER auf „Lapsus“ an die 20 Minuten langen, tonnenschweren Riffs des letzten Albums Fall of Efrafa’s an, und führen diese auf eine völlig neue Ebene. Der Stil von „Lapsus“ lässt sich folgerichtig als eine Mischung aus Post Rock, Sludge Metal, Post Hardcore und Ambient beschreiben, und verbindet diese Musikstile in einer Art und Weise, dass sich die Band bereits mit diesem Album einen Platz ganz weit oben in der Welt des Progressive Metal (in Ermangelung eines besseren Ausdrucks) gesichert haben dürfte.

Das eingangs beschriebene Szenario eröffnet dem Hörer den Zugang in diese Welt, um mit Beginn des Meisterwerks „Primus Movens“ in melodische und verträumte Klangflächen überzugehen. Nach drei Minuten brechen die Gitarrenwände auf den Hörer nieder, die Melodie bleibt hoffnungsvoll, Lucifers Gelöbnis zu seinem Gott wird nicht nur textlich sondern auch musikalisch verdeutlicht. Bis schließlich seine Liebe als Betrug gewertet wird, und nach fünf Minuten die Melodie verschwindet, ein treibendes Schlagzeug und ein verzweifeltes Pfeifen auftauchen und die Grundstimmung von Dur in hoffnungsloses Moll wechselt. Die Gitarren schrauben sich nach oben, die Verzweiflung nimmt zu. Alex schreit, die Stimmung wird tragischer, es gibt keinen Ausweg, die Rhythmen werden abgehakter, aggressiver. Ein letztes Aufbäumen Luzifers, auch in der Musik: das Schlagzeug nimmt an Tempo auf, eine weitere Wall of Sound trifft den Hörer, hoffnungsvolle Töne, der Versuch sich zu verständigen. Luzifer gesteht seine Liebe, doch er wird nicht verstanden. All das in 14 Minuten, die bereits sprachlos machen.

Die Geschichte des weiteren Falls Luzifers wird durch das verzweifelte und brutale Geschrei von Alex nach vorne gepeitscht, Gitarren wechseln zwischen brutalen, tonnenschweren Klangwänden und verhallten Melodien hin und her, unterstreichen jedes Gefühl und arbeiten sich im Laufe des Albums immer weiter in tiefes, trauriges und verzweifeltes Moll vor. Das Schlagzeug schleppt sich träge dahin, um in den entscheidenden Momenten auszubrechen, sei es als ein Aufbäumen oder als Ausdruck purer Verzweiflung.

Der Mittelteil des Albums wird durch die Anklage der Getreuen Gottes im 15 minütigen „Armoury Choir“ eingeläutet, welche durch aggressives Growlen, Riffing, Moll-Klangflächen, und einem monotonen Schlagzeug vorgetragen wird und sich durch ruhige Passagen mit immer verzweifelter klingenden Gitarren hindurch zu hasserfüllten Klängen und markerschütterndem Gebrüll vorarbeitet. Diesem Biest von einem Song folgt das Urteil Metatrons, der Stimme Gottes, welcher Luzifer unterstellt Gott von seinem Thron stoßen zu wollen. Als reine Drone Nummer mit choralem Gesang unterstreicht die Musik hier durch ihre Kürze von nicht einmal zwei Minuten die inhaltlichen die Vorurteile gegenüber Luzifer und die Rolle des falschen Gottes, welcher blind gegenüber dieser Liebe ist und sich damit schmückt eine Welt erschaffen zu haben, obwohl diese frei sein sollte.

Der bedrohliche Ton welcher im Lauf des Albums angeschlagen wird, läuft strikt auf das große Finale in Form des abschließenden Song-Doppels „Prelapsus“ und „Lapsus“ zu. Luzifers letzter Versuch sich zu erklären ist zum Scheitern verurteilt: durch einzelne Schläge und verzweifeltes Gebrüll einer Stimme, die kaum noch Hoffnung in sich trägt, entwickelt sich ein lava-artiger Strom, welcher durch viele Trommel-Schläge, monotones Riffing und immer wieder einzeln angeschlagene verzerrte Akkorde auf die Zerstörung hinweist, die in der Seele des Lichtbringer vor sich geht: „I beg you my father retreat and repent!“ Doch der zweite Teil des 7 Minüters zeigt textlich und musikalisch eine Wandlung auf: die Hoffnungslosigkeit weicht der Entscheidung, Gott zu hinterfragen. Das Schlagzeug wird straighter, die Riffs klarer, die Entscheidung ist gefallen. Dies ist die Stelle an der Alex Schreie von einer glasklare Stimme unterbrochen werden, die Worte in unendlicher Traurigkeit über die moll-getränkten, verzerrten Flächen singt und schließlich von Alex düsterem Organ unterstützt wird: „My brothers in arms, I forge this creed! My blasphemy, our eulogy! We are the sons of fire! We are the daughters of light!“
Im abschließenden 17minütigen „Lapsus“ findet Luzifers Verbannung statt. Die Stimmung hat ihren Tiefpunkt erreicht, Alex‘ Gebrüll verdeutlicht Luzifers Unverständnis. Die Erkenntnis, dass dieser Gott kein wahrer Gott ist, überwiegt, und diese Lehre wird Luzifer in die Welt hinaus tragen. Die Verbannung wird schließlich musikalisch in einen würdevollen Abgang umgemünzt: Der Auszug der unschuldigen Engel wird von einem stolzen Marsch und einem hoffnungsvollen Cello unterstrichen. Eine Versöhnung? Nein. Aber eine Entscheidung. Für den freien Willen. Der Weg ist noch nicht zu Ende. Er fängt gerade erst an.

Die Mischung zwischen agressiven Sludge-Attacken und Ambiente-artigen Melodien, immer wieder unterstützt durch ein zunächst hoffnungsvolles, doch immer hoffnungsloser werdendes Cello, der permanente Wechsel der Gitarren zwischen Flächen, Riffs und sich in die Höhe schraubenden Melodien, darüber das verzweifelte, markante Geschrei von Alex, gepaart mit dem inhaltlichen Anspruch und der vollendeten Klasse der Verbindung von Musik und Handlung – all dies lässt den Hörer sprachlos zurück. Diese dunkle schwarze Masse welche sich innerhalb der 59 Minuten Spielzeit aus der Anlage über alles im Umkreis ergießt und unter sich begräbt muss verarbeitet werden.

LIGHT BEARER schaffen es trotz, oder eben gerade wegen wenig Abwechslung im Gesang, musikalisch repetitiven Mustern und einer negativen schleppenden Grundstimmung ähnlich zu den Genre-Königen Cult of Luna niemals zu langweilen, und etwaige Eintönigkeiten im Gesang und im Tempo durch Gastsänger, Celli, Rhythmuswechsel und dem bereits mehrfach angesprochenen wechselnden Gitarrenspiel aufzuheben.Sollten die folgenden Alben Silver Tongue, Magisterium und Lattermost Sword nur ansatzweise das Niveau dieses Erstlings halten, ist nichts geringeres als eine Offenbarung zu erwarten. Für sich genommen ist dieses Album bereits beinahe ein Meisterwerk – seine ganze Kraft wird es allerdings erst eingebettet in den gesamten Kontext des LIGHT BEARER – Zyklus‘ erfahren.

Wertung: 9 / 10

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