Auf die inneren Werte kommt es an, trotzdem springt eben meist zuerst das optische Erscheinungsbild in die Augen. Nicht nur Mitte Februar, wenn sich schließlich niemand auf ein Valentinstagsdate mit einem hässlichen Vogel einlassen will, auch in der Musik gilt das ganz im Allgemeinen. Im Falle von LYRIEL kann man auf eine beeindruckende Kollektion unfassbar schlimmer Coverartworks zurückblicken, alleine das Debütalbum „Prisonworld“ war allzu unschön anzusehen. Seit dem Re-Release ihres dritten Albums „Paranoid Circus“ haben sich die Truppe aus Nordrhein-Westfahlen aber gefangen, auch die neue Scheibe „Leverage“ präsentiert sich nun mit sehr ansprechender, professioneller Optik.
Nun, natürlich kommt es trotzdem vor allem auf die inneren Werte an. Der Siebener bietet uns einen Gothic Metal an, der mit einer satten Portion Folk und ein wenig Alternative Rock angereichert ist. Der Folk-Anteil wurde im Vergleich zu den Vorgängern schon ziemlich merkbar zurückgefahren, was manchen Fans vielleicht missfallen könnte, „Leverage“ aber präsentiert sich mit der 2012er Ausrichtung gereifter und besser als jemals zuvor. Nach dem eher unnötigen Countdown-Intro (kommt schon, kreativ ist was anderes) zeigt der Titeltrack direkt, dass LYRIEL wissen, was sie können und zeigen wollen, kraftvoller und zugleich kuschliger Gothic Metal drückt aus den Boxen. Eine gewisse Eigenständigkeit erreichen sie durch den Einsatz von Cello und Violine, die meist unterstützend und begleitend agieren und den Liedern damit eine eigene, mitreißende Stimmung erzeugen. Selten, wie bei „Parting“ und „Aus der Tiefe“, nehmen die Streicher eine führende Rolle ein und auch nur dann kommt der früher stärker vertretene Folk-Anteil so richtig zum Tragen. Perfekt mit den Streichern und den restlichen Instrumentalisten harmoniert Sängerin Jessica Thierjung, die mit einer sehr warmen, angenehmen Stimme begeistern kann und sich im Vergleich zu den Vorgängeralben meinem Gehör nach noch deutlich verbessern konnte.
Das wirklich Besondere an LYRIEL aber ist: Man merkt, dass sie es ernst meinen. Bei mir sprang der Funke endgültig durch „White Lily“ über, eigentlich ein einfacher Standardohrwurm, zumindest wäre es das bei anderen Gothic-Kapellen. Diese vier Minuten sind trotz allem Kitsch, trotz fehlender neuer Akzente so unglaublich ehrlich und gefühlvoll, dass es unweigerlich berührt und überzeugt, einfach wunderbar! Dazu passt dann auch, dass man sich zur tollen Ballade „Wenn die Engel fallen“ Thomas Lindner von Schandmaul eingeladen hat, um ein Duett mit Jessica zu intonieren. Beim Schandmaul-Hören ist das Gefühl der Ehrlichkeit und der Emotionen, die die Musiker allesamt innehaben müssen, ganz ähnlich.
„Leverage“ ist dadurch ein sehr herzliches Album geworden, das nicht weh tut und einfach zu hören ist, was in diesem Fall aber definitiv ein Kompliment ist. Eine ordentliche Romantiktauglichkeit ist dadurch auch gegeben, nicht zuletzt da es nie so traurig und bedrückend wird, dass man sich beim Hören gerne umbringen möchte. Ein sehr schönes Album, das in seinen gerade mal 35 Minuten nichts Neues bietet, aber trotzdem irgendwie einzigartig wirkt und mit seinen inneren Werten auch auf Dauer erfreuen kann. Zweifellos der bisherige Höhepunkt der LYRIEL-Diskografie.
Wertung: 8.5 / 10