Review OFF! – OFF!

(Hardcore Punk) Wenn erwachsene Männer jenseits der Dreißig versuchen, den jugendlichen Rebellen heraushängen zu lassen, und zu allem Überfluss dann auch noch von einer „Supergroup“ gesprochen wird – und das in der abseits von jeglichem Rock-Glamour stattfindenden amerikanischen Hardcore-/Punkszene – sollte man grundsätzlich schon mal vorsichtig sein. Punkrock ist Musik für junge Leute, und wer nach den ersten Wellen der Aufmerksamkeit nicht ohnehin zu einem Major Label abgewandert ist, um fortan radiotauglichen Gitarrenpop zu spielen, verliert seine Glaubwürdigkeit spätestens, wenn er in seinen Zwanzigern nicht an einer Überdosis gestorben ist. So war das doch, oder?

OFF! brauchen genau 16 Minuten, um mit sämtlichen Klischees und Vorurteilen, die ihr Milieu umgeben, aufzuräumen – genau so lange dauert nämlich deren neues, selbstbetiteltes Album. In ebenso vielen Songs, von denen der Großteil nicht mal die 60-Sekunden-Marke erreicht, zeigt der Vierer aus Los Angeles, dass es im Punkrock nicht ums Alter, sondern um die Attitüde geht. Gegründet 2009, haben die Kalifornier mit Keith Morris einen Veteranen als Frontmann, der als Sänger von Black Flag und den Circle Jerks Gründungsmitglied von gleich zwei einflussreichen US-Hardcore-Punkbands war.

Auch seine Mitstreiter Dimitri Coats (Burning Bridges), Steven McDonald (Redd Kross) und Mario Rubalcaba (Rocket From The Crypt) haben schon in anerkannten Gruppen musiziert, wodurch sie wunderbar dreckig-punkig klingen mögen, aber nach all den Jahren auch absolute Profis sind. „Off!“ erweckt jedoch ebenso wie die vorherige Veröffentlichung „First Four EPs“ zu keiner Zeit den Eindruck, aufgesetzt zu klingen. Den Hörer erwartet eine explosive viertelstündige Downstroke-Attacke, in der alles Verzichtbare auch tatsächlich gestrichen wurde – kein Sologewichse, keine unnötigen Wiederholungen, sondern die reine Essenz energetischer Rockmusik, die keinen Deut länger sein sollte.

Damit erreicht das Quartett eine Intensität, die andere Bands in einstündigen Alben nicht zu Stande bringen. Wer den Sinn hinter einem 16-minütigen Album anzweifelt, hat nach dieser Ohrfeigenserie erst mal keine Fragen mehr. Vorwärts preschende Gitarren, pumpende Bässe, rastloses Drumming, und ins Mikro schreit ein wilder Derwisch, der auch mit Mitte 50 noch allem, was ihn heutzutage frustriert, donnernd entgegenschreit: „You think you’re right / No, you are wrong!“ Simpel, aber effektiv – und mit einer Eindringlichkeit und Stärke, die jüngere Kollegen in Erklärungsnöte bringt. Warum muss euch Onkel Keith zeigen, wie’s richtig geht?

Die Parallelen zu Morris’ früheren Bands sind dabei allgegenwärtig. Wer Black Flags „Nervous Breakdown“-EP cool fand, bei dem werden auch Tracks wie „Wiped Out“, „Vaporized“ und „King Kong Brigade“ noch einige Zeit im Schädel widerhallen. Das ist nicht neu oder besonders innovativ, aber wird mit einer Menge Wucht dargeboten, und die Platte wirkt dabei weder wie die nostalgische Geschichtsstunde eines Ewiggestrigen, noch mahnt Morris hier mit erhobenem Zeigefinger, dass Hardcore Punk 1980 ja so viel besser gewesen sei. Wenn überhaupt, dann wird hier der Mittelfinger emporgestreckt, und zwar kollektiv in Richtung aller, die gerade das Glück haben, zuzuhören.

Nicht zuletzt durch diese Fuck-you-all-Einstellung funktioniert diese Band, nicht zuletzt dadurch wirkt sie authentisch. OFF! ist es schlicht egal, wie sich die musikalischen Konventionen in der Szene in den letzten Jahrzehnten verändert haben, und sie tun das, was sie am besten können: Einfache, kraftvolle Rocksongs schreiben, die einem in die Fresse hauen. In einer Zeit, in der Gruselgruppen wie Rise Against oder Every Time I Die mit dem Begriff Hardcore in Verbindung gebracht werden, ist das nicht nur erfrischend, sondern absolut notwendig.

Wertung: 8 / 10

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