1844 veröffentlichte der damals schon leidlich bekannte Edgar Allan Poe die Kurzgeschichte „The Premature Burial“ (im Deutschen unter dem Titel „Lebendig begraben“ bekannt). Poe schafft es darin meisterhaft, ebenso subtil wie existentiell grauenvoll die Angst eines ganze Jahrhundert in Bilder und Worte zu fassen; nicht aber, ohne da ganze mit einem dicken Strich schwarzen Humors aufzulösen. Eine sehr englische Leichtigkeit, die problemlos mit dem Schrecken zusammenfällt. Dreißig Jahre später veröffentlichte der Franzose Isidore Lucien Ducasse unter dem Pseudonym „Lautréamont“ den Band „Die Gesänge des Maldoror“. Es galt sofort als eines der radikalsten und grauenvollsten Werke des sich abzeichnenden Aufbruchs in die literarische Moderne. Ein schwarzer Engel mordet sich hasserfüllt durch Gottes Schöpfung und schreckt selbst vor der Schändung von Kinderleichen nicht zurück. Minutiös geschildert und ohne einen Funken von Ironie oder Leichtigkeit kennt Maldoror nur Hass, Hass, Schmerz und nochmal dreimal Hass. Für den Leser passiert dadurch aber etwas sehr Seltsames: Ähnlich wie bei der Lektüre von De Sades „Die 120 Tage von Sodom“ beginnen die Schilderungen von Vergewaltigungen, Verstümmelungen und anderen Schandtaten sich nach kurzer Zeit als redundant und gleichsam langweilig zu erweisen, der Leser stumpft schnell ab, weil es nichts gibt, außer schwarzen Hass und das ist eine gute Überleitung zur Musik, um die….
[Ein Leser tritt auf. Er hat lange Haare und einen Abschluss in frühneuzeitlicher Archäobotanik. Jetzt ist er wutentbrannt. Der Kopf ist rot; ihn schütteln Krämpfe von Zorn. Aufbrausend hebt er zu einer Rede an.]
Der Leser (brüllend): Sag mal, geht’s noch?! Du sollst hier ein Review zu einer Black-Metal-Platte schreiben, das sowieso zwei Monate zu spät kommt! Und stattdessen schreibst du nur pseudo-intellektuellen Rotz! Das fällt mir schon die ganze Zeit auf: Kannst du nicht wenigsten einmal ein ganz normales Review schreiben; nicht diese selbstverliebten Essays die KEINE SAU interessieren?! Ich will was zur Musik lesen, dafür klick ich da drauf, himmeherrgottsackramentjesusmariaundjosephlecktsmidoalleamoarsch….!!!!!
Ist ja gut!
Also, PERDITION’S LGHT haben ein neues Album, es heißt „Sequenzen des Niedergang“ und es ist einfach zu lang. 12 Songs und über eine Stunde lang leidet ein namenloser Protagonist zahllose Schmerzen und Qualen. Dazu gibt es Black Metal. Das wäre geschafft.
Und nun im Detail: „Sequenzen des Niedergangs“ basiert auf einem sehr druckvollen und tiefgestimmten Gerüst, das sehr „modern“ klingt, im Wesen aber klassische BM-Tugenden in sich vereinigt: Wespengitarren, die über die dicken Grundakkorde fliegen, mollige Melodien, die den tiefschwarzen Kompositionen eine vielschichte Sahneschicht aufsetzen. Leider sind die Drums hörbar programmiert, was seltsam störend wirkt. Der Opener „Sterbend“ scheut sich nicht vor Monotonie und stampfenden Zwischenparts, der frühe Hit „Frei“ wartet sogar mit einigen bärtigen „Ohohohooo“-Chören auf. Das schleppende „Dornen“ bleibt lange in Erinnerung. Dann, ja dann beginnt der dicke Bauch des 70-Minüters und damit eine leider sehr zähe Fahrt ins Vergessen: Denn sehr schnell ist kaum mehr nachvollziehbar, wo innerhalb von „Sequenzen des Niedergangs“ sich der Hörer gerade befindet. Trotz aller versuchter Abwechslung bleiben Stimmung und Struktur stets gleich. Die neun Minuten von „Einsamkeit“ stechen einfach aufgrund der Länge des Songs hervor, so dass man nun davon ausgehen kann, dass der Bauch überwunden ist.
Das ist schade, denn nach hinten raus können PERDITION’S LIGHT nochmal richtig zulegen: „Verblasste Lichter der Welt“ und „Abbild verlorener Seelen“ haben es nicht verdient, hinter den Ungetümen davor zu versauern, sie beschließen das Album kraftvoll, abwechslungsreich und hätten nach „Dornen“ perfekt geschmeckt. Anfang und Ende des Albums würden ein stimmiges und geschmackvolles Gesamtbild abgeben. So aber bleibt der Hörer als Stopflebergans zurück: völlig gefüllt, aber richtig gut geht’s einem nicht.
Das hat auch mit einem weiteren Aspekt des Albums zu tun und der kommt jetzt endlich (!) auf die viel zu lange und scheinbar völlig unpassende Einleitung zu diesem Review zurück: Die Texte. Zwölf Lieder lang Todesqualen, Verzweiflung, dann wieder Todesqualen, zur Abwechslung Verzweiflung. Und ohne einen einzigen Anstrich von britischem Nekrohumor oder gar dunkelromantischer italienischer Oper. Nein, hier ist alles todesernst. Und genau deshalb kommt wieder das Phänomen Gänsestopfleber zum Tragen. Nach spätestens fünf Liedern möchte man dem Protagonisten zurufen: „Jetzt bring es doch endlich zu Ende und red‘ nicht 78 mal immer nur davon!“ Dass viele Texte metrisch nur mit viel Mühe und gleichsam mit dem Holzhammer um die Riffs gedrechselt sind, verbessert den Eindruck nicht. Schade um die ansonsten abwechslungsreiche und stimmige Verbalakrobatik von Sänger umbrA.
Summa summarum: Das Review ist zu lang, die Platte ist zu lang, das Review labert herum, das Album tut es auch. Beiden würde Konzentration auf das Wesentliche, ein menschlicher Drummer und eine Spur „Legerezza“ gut tun, dann leidet es sich auch leichter und die eigentlich guten Kernelemente würden nicht unter einer meterdicken Schicht von Grabeserbe verschwinden. (Den göttlichen Marquis de Sade sollte man natürlich trotzdem lesen!)
Wertung: 6 / 10