Review Povarovo – Tchernovik

(Dark Jazz/Ambient/Doom) Zwischen kahlen Baumstümpfen kannst du sie sehen: Eine einsame Holzhütte, fast mehr ein Bretterverschlag, mitten im von Herbstlaub bedeckten Waldboden. Es regnet leicht, die Nebelschwaden ziehen vorbei und die Luft ist beißend kalt. Deine Schritte knarzen und rascheln, welke Blätter zerfallen unter deinen Schritten, abgebrochene Äste geben mit einem lauten Knack nach. Du schlägst deinen schwarzen, von der Nässe schwer gewordenen Wintermantel noch einmal hoch und trittst näher an die Tür heran. Von drinnen hörst du ein leises Rauschen und Knarzen. Ins Holz hat jemand die dir unbekannten Wörter „POVAROVO“ und „Tchernovik“ eingebrannt. Unschlüssig stehst du vor der Hütte und klopfst schließlich an die Tür. Kein Reaktion. Du holst tief Luft und drückst die Klinke nach unten.

Drinnen sitzen in der vom Zigarettenrauch und Ofenfeuer geschwängerten Luft einige Russen an ihren Instrumenten. Es ist stickig und schwül. Das Schlagzeug wird von einem Besen gestreichelt, ab und an kracht ein Schlag auf die Bassdrum, werden Becken kurz angefasst, aber insgesamt schleppt es sich nur sehr zäh und kraftlos voran. Jemand anderes sitzt abwesend und mit geschlossenen Augen in unnatürlich wirkender Haltung über ein Klavier gebeugt und spielt tieftraurige Melodien. Eine weitere Person bläst mit dem bisschen Rest an Luft, welcher noch in der Lunge verbleibt, in eine Klarinette, manchmal in ein Saxophon. Im künstlichen Schein eines Computers sitzt ein weiterer und erzeugt mit einigem Tasten-Drücken und Knöpfchen-Drehen eine bedrohliche Klangkulisse, die als Unterlage für die Musik dient. Ab und an zupft ein im Dunkel stehender Mensch an einem Contrabass. Alles wirkt in sich geschlossen und doch zufällig. In der Ecke steht eine bauchige E-Gitarre angeschlossen an einen durchgehend brummenden Verstärker.

Als ein Lichtstrahl, den der trübe Tag an dir vorbei in den Raum fallen lässt, auf die Musiker trifft, blicken sie kurz von ihren Instrumenten auf und schauen dich an. Leere Gesichter, tiefe Augenringe, Drei-Tage-Bärte, verstrubelte Haare – ohne weiter auf dich einzugehen vertiefen sie sich wieder in ihre Musik. Du setzt dich an den Tisch in der hinteren Ecke und zündest dir eine Zigarette an. Deine Augen werden schwer, die verhuschten Töne und Takte treffen auf deine Ohren, dein Blick verschwimmt, deine Gedanken kreisen um alles und nichts. Du legst dich auf die harte Holzbank und lässt dich vom Rauch und den schleppenden Klängen des finsteren und traurigen Jazz einschließen. Die Fenster sind beschlagen, irgendwo knackt Feuerholz im Ofen. Alles wird unwirklich.

Ab und an glaubst du, du würdest auch Geigen hören, als würden sich irgendwo in dieser kleinen dreckigen Hütte unendliche Räume auftun, kalte Krankenhausgänge, die den Hall von ihren Wänden abprallen lassen und zu deinem Ohr tragen. Wütende Geigen, du hast das Gefühl verfolgt zu werden und weißt nicht wo du hin sollst. Wieso bist du überhaupt hier angekommen? Über verstörende Töne hörst du ein schweres Atmen, irgendwo hinter dir. Du spürst einen warmen Hauch in deinem Nacken. Du hörst einschneidende, verzerrte Gitarrentöne, dissonant und verhallt. Auf einmal ertönt ein Trommelwirbel, verzerrte Gitarrenriffs und dissonante Streicher vermischen sich in deinem Kopf, als plötzlich gepresste Schreie erklingen und sich zu einem bizarren und Crescendo emporschaukeln. Alles dreht sich. Ohne Orientierung versuchst du aufzustehen, stößt den Tisch laut knarrend zur Seite. Du taumelst zur Tür, doch sie ist verschlossen. Sie wollen dich nicht gehen lassen. Du drehst dich um – doch niemand ist mehr da. Der Nachhall der Musik setzt sich in deinen Ohren fest. Du wachst auf.

Wertung: 8 / 10

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