Review Pyrrhon – Abscess Time

In der Wahrnehmung vieler Mainstream-Musikhörer, die mit Metal nichts am Hut haben, ist Death Metal bloß Nicht-Musik für Rohlinge, eine Spielwiese für blutige Gewaltfantasien und damit etwas fundamental Asoziales. Dass es in diesem Genre nicht immer nur darum geht, die größte Auswahl an Gedärmen auf dem Artwork und die meisten Synonyme für das Wort „Tod“ in den Texten zu haben, wurde jedoch bereits von gesellschaftskritischen Pionierbands wie Death hinreichend unter Beweis gestellt. Auch die musikalisch so experimentellen wie extremen PYRRHON schildern in ihren Songs nicht einfach nur stumpfe Gemetzelszenarien. Auf „Abscess Time“, ihrem vierten Album, setzen sich die New Yorker eingehend mit den finstersten Schattenseiten einer auf Gehorsam getrimmten Leistungsgesellschaft auseinander.

Die von Doug Moore auf die denkbar grässlichste und unverständlichste Weise hervorgespienen, aber fraglos lesenswerten Texte liegen hier genauso schwer im Magen wie die Musik. Teils in Form von allgemeinen Statements („Human Capital“), teils in Form von konkreten Geschichten („Down At Liberty Ashes“) thematisieren PYRRHON das Leid der kleinen Zahnrädchen in der großen Maschine des Kapitalismus. Ebendieses Elend ist in Moores Performance, bei der er immer wieder zwischen heiseren Hardcore-Shouts und unmenschlich tiefen Growls wechselt, erschütternd deutlich spürbar.

Entsprechend übel (im beeindruckenden Sinne) klingt die Instrumentierung: Von wuchtigen, zäh dahinsiechenden Distortion-Gitarren und Drums wie im Titeltrack über kurze, brutale Grindcore-Attacken („Teuchnikskreis“) bis hin zu vertracktem Tech-Death mit misstönend schiefen Gitarrenleads grasen PYRRHON alles ab, was der Extreme Metal an verstörenden Ausdrucksmitteln hergibt. Die immer wieder eingestreuten, mitunter geradezu manischen Sprach-Samples und die abstoßend raue Produktion von Colin Marston (Krallice, Gorguts), die jeden Saitenanschlag und jeden Stimmlaut bis zum Zerreißen verzerrt, passen da nur allzu gut ins Bild.

Dennoch ist „Abscess Time“ nicht ganz das Meisterwerk, das es sein könnte. So zieht sich das Album nicht nur wegen seiner herausfordernden Laufzeit von knapp einer Stunde, sondern auch wegen des allzu chaotischen, kaum einprägsamen und zum Teil sogar zu schleppenden Songwritings ziemlich in die Länge. Den einen oder anderen Track hätten PYRRHON lieber aussparen sollen. Alternativ hätten der Platte auch mehr aufgelockerte Stücke wie „The Cost Of Living“, das sich über neun Minuten mit einer zurückgelehnten, aber doch unheilschwangeren Melodie zu einem brachialen Monstrum aufbaut, gutgetan.

Mit seinem ohrenbetäubenden Klang und seinem grotesken Artwork ist „Abscess Time“ ebenso hässlich wie das Schicksal der Menschen, die in den Wirren der freien Marktwirtschaft untergehen oder durch den ständigen Zwang zur Selbstoptimierung innerlich ausbrennen. Metal-Fans, die beim Musikhören auch auf die Texte achten und das Konzept in ihre Wahrnehmung einfließen lassen, werden das Album für seine starke Botschaft sicherlich zu schätzen wissen. Rein musikalisch haben PYRRHON sich hier jedoch ein wenig übernommen, sodass „Abscess Time“ wohl sogar hartgesottene Death-Metal-Enthusiasten an die Grenzen ihrer Geduld treiben dürfte.

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Wertung: 7 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

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