Review Scale The Summit – The Migration

Dass dem Gesang in der progressiven Musik oft nicht die Hauptrolle zukommt, ist nichts Besonderes. Dass eine Band jedoch sämtlich auf Vokalbegleitung verzichtet, dann eher doch. SCALE THE SUMMIT ist eine solche Kapelle und damit, neben Animals As Leaders, auch die einzige mir bekannte. „The Migration“ lautet der Titel des aktuellen Albums, das eine Dreiviertelstunde Instrumentalmusik vom Feinsten bietet.

Soviel sei schon im Voraus gesagt – es gibt keinen Moment auf „The Migration“, der langweilig ist! SCALE THE SUMMIT gelingt es scheinbar spielend ihre Musik so zu gestalten, dass der Gesang schlicht überflüssig wäre. Dabei spielen die Herren aus Texas unglaublich anspruchsvolle Musik, die trotzdem songorientiert ist und sich nicht in Djent-Sphären verliert.
Im Verhältnis zum Vorgänger haben SCALE THE SUMMIT auf „The Migration“ das Tempo deutlich angezogen, ohne jedoch die ruhigeren, verträumten Passagen vollkommen zu streichen. So zeigt sich die Platte durchgängig abwechslungsreich und als optimaler Einstieg ins ausgiebige Kopfkino.
Dabei kommt der Rhythmusfraktion die Aufgabe zu, die Songs zum einen zusammenzuhalten und zum anderen voranzutreiben. Letzteres übernimmt dabei primär das Schlagzeug, welches es neben den ganzen Saitenakrobaten etwas schwer hat, sich zu profilieren, es aber trotzdem auf die Reihe bekommt, sich gekonnt in Szene zu setzen, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Ein kleines Fill hier, eine Synkopierung da – klasse Sache.
Große Klasse herrscht auch am Tieftöner – der neue Bassist Mark Michell ist eine wahre Größe an seinem Instrument. Gut, der Mann hat auch sechs Saiten zur Verfügung, statt der üblichen vier oder fünf, aber wer kann, der kann. Und der Mensch kann. „The Migration“ gewinnt durch seine Bassläufe unheimlich an Tiefe und gleichzeitig werden die Gitarren dadurch entlastet, was der Abwechslung sehr zuträglich ist. Definitiv ein Neuzugang, der sich für SCALE THE SUMMIT gelohnt hat!
Die eigentlichen Stars auf „The Migration“ sind aber die Gitarristen. Was die Herren von SCALE THE SUMMIT aus ihren Sechs- bis Achtsaitern herausholen, ist der absolute Wahnsinn. Immer schwankend zwischen atemberaubenden Soli und songdienlichen Riffs zeigen die Herren Letchford und Levrier hier alles, was man auf einer Gitarre so zeigen kann, sei es Sweeping, Tapping oder auch einfach mal ein lässig runtergezocktes Riff.
Auf die einzelnen Songs näher einzugehen würde im Falle von „The Migration“ bedeuten, zu jedem Track mehrere Seiten abzufassen, die dann aber wertlos wären, da jeder dieses Kopfkino für sich selbst erleben muss. Nur ein paar wenige Anmerkungen bzw. Anspieltipps: „Oracle“ beginnt wunderbar träumerisch, mutiert dann jedoch zu einem herrlich verspielten Progressive-Metal-Song. Der bereits vorab veröffentlichte Opener „Odyssey“ ist einer der direktesten und aggressivsten Tracks, bei dem SCALE THE SUMMIT sich von ihrer schwermetallischen Seite zeigen. „Atlas Novus“ hingegen ist ein fast schon ambienter, sehr entspannter Track, auf dem mit intensivem Tapping und wunderschönen Melodien gearbeitet wird.

SCALE THE SUMMIT haben mit „The Migration“ ein Album veröffentlicht, das das Potenzial hat, all jenen, die nicht auf progressive Musik stehen, das Genre schmackhaft zu machen. Hier werden große Melodiebogen mit harten Riffs verbunden und Klangteppiche gewebt, die einen zum Träumen und Sich-in-der-Musik-Verlieren animieren. Sowohl in puncto Songwriting als auch technischer Fähigkeiten unantastbar – Pflichtkauf!

Wertung: 9 / 10

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