Review Sigur Rós – ()

Eine Band, deren Gitarrist/Sänger auf einem Auge blind ist und sein Instrument mit einem Geigenbogen bedient. Eine Band, deren Bassist Fische mit bloßen Zähnen aus dem Fluss ziehen kann. Eine Band, deren Schlagzeuger trotz Millionen verkaufter Platten als Hausmeister arbeitet. Eine Band, die ihre Alben in einem alten Schwimmbad aufnimmt. Eine Band aus Island, auf der musikalischen Landkarte nicht nur Maße, aber durch absolute Klasse bekannt. Eine Band, die einfach andere Wege geht als der Rest und damit in vielen Szenen unzählige Freunde gefunden hat. Eine Band wie SIGUR RÓS eben, die auf dem Album mit dem seltsamen Namen “()” acht neue Perlen vorlegt und zeigt, dass weder bratende Gitarren, noch fulminante Bassläufe oder hämmernde Schlagzeugparts notwendig sind, um in der Metalszene für Aufsehen zu sorgen.

Auf den ersten Blick ist “()” einfach ein Album mit acht Songs, die jeder für sich sehr schön sind. Mit kleinen Handgriffen haben die vier Nordmänner aber ein interessantes Ganzes geschaffen, so werden immer wieder einzelne Parts in abgewandelter Form in späteren Songs aufgegriffen. Vor allem die tolle Melodieabfolge C-D-H-C aus “Vaka” taucht später immer wieder auf. Großartig umgesetzt in “E-Bow”, welches zunächst minutenlang sehr dezent dahinzuplätschern scheint, der Gesang wirkt unvollendet, in etwa so, als ob am Ende eines Musikstückes nicht die erwartete Subdominant-Dominant-Tonika-Folge stehen würde. Der Moment der Auflösung ist gleichzeitig ein Crescendo, welches alle Emotionen, die sich aufgestaut haben, auf einmal hervorbrechen zu lassen scheint. Neben dem Opener ein absolutes Highlight, nicht nur auf “()”, sondern in der gesamten Schaffenszeit der Isländer. Beide Songs spielen locker in einer Liga mit den “Ágætis Byrjun”-Übersongs “Starálfur” und “Flugufrelsarinn”.

Beinahe dieselbe Intensität transportieren Song „Fyrsta“ und „Samskeyti“, ersteres ist etwas gitarrenorientierter, die Saiten werden hier gezupft und klingen aufgrund der addierten Effekte schon fast wie ein Klavier. Dazu die vielleicht etwas gewöhnungsbedürftige Falsett-Stimme von Jón, welche ohne Wenn und Aber zu den wichtigsten Trademarks der Isländer zu zählen ist. In „Samskeyti“ ist dann tatsächlich ein Klavier zu hören und es ist mit Sicherheit derjenige Song, der am beschwingtesten daher kommt. Laut Band soll die gesamte erste Hälfte ausgesprochen positiv sein, was einem zu glauben jedoch schwerfällt bei der Masse an Melancholie, die immer noch auf den Hörer eindringt.

Die zweite Hälfte wird nicht nur musikalisch, sondern auch durch eine etwa 30-sekündige Pause von der ersten getrennt. Ob die letzten vier Songs jetzt unbedingt wesentlich düsterer sind, sei mal dahingestellt, klar ist aber, dass die Songs härter und weniger zugänglich sind. “E-Bow” ist da die Ausnahme, das Lied zündet zügig, der Rest erfordert allerdings einen ziemlichen Einsatz des Hörers. Wo “Ágætis Byrjun” durchweg verhältnismäßig leicht zu erschließen war, machen es einem die Isländer hier sehr schwer. Andererseits ist es aber auch nicht die schlechteste Variante, so bleibt auf jeden Fall die Langzeitwirkung erhalten. Diese bei Sigur Ros in Frage zu stellen, wäre aber wohl sowieso nicht das richtige Vorgehen. Mit “()” macht man sicher nichts falsch, aber vieles richtig: entspannte Stunden für den blastbeatgepeinigten Hartmetaller sind der Lohn.

Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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