Review The Gathering – Disclosure

Man muss wohl nicht extra erwähnen, dass die niederländischen Progressive-Rocker bzw. -Metaller THE GATHERING im positiven Sinne als Wundertüte bezeichnet werden können. Kaum eine andere Band hat sich so oft neu erfunden, von Doom über Gothic bis hin zu progressivem Rock mit mal mehr, mal weniger Elektro- und Ambient-Einflüssen haben die Band zu einer echten Institution in der anspruchsvollen Szene gemacht. Trotzdem wurde die Musik weder (über einen längeren Zeitraum) langweilig, noch hat man sich durch mehrere Besetzungswechsel, die die Zeit so mit sich brachte, vom Weg der eigenen Inspiration abbringen lassen.

„Disclosure“ (Enthüllung) heißt das zweite Album, bei welchem die neue Sängerin Silje Wergeland am Mikro steht. Ein passender Titel, wenn man Frank Boijen, dem (heimlichen) Bandleader, Glauben schenken darf: „Disclosure ist die persönlichste Reise, die die Band je unternommen hat, sowohl in musikalischer, als auch in lyrischer Hinsicht.“ Zu den Texten lässt sich vorläufig noch nicht viel sagen, auch wenn Titel wie „Heroes For Ghosts“ oder „I Can See Four Miles“ insgesamt schon spannend klingen. Musikalisch passt die Aussage aber fast perfekt. Gerade im zweiten Teil entwickeln die Lieder eine geradezu intime Atmosphäre, der man gerne abnimmt, dass die Musiker hier alle ihre Emotionen, jeglichen Funken Freude und sämtliche Verzweifelung, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln, hineingesteckt haben.
All diese Gefühle benötigen viel Raum, so ist es wenig verwunderlich, dass sich acht Songs auf stolze 53 Minuten verteilen, drei überlange Lieder, vier im Mittelbereich und nur „Missing Seasons“ kommt auf gerademal dreieinhalb Uhrumläufe des Sekundenzeigers, dabei klingt ausgerechnet dieser Song insgesamt etwas unfertig, so als wenn man ihn eines Teiles beraubt hätte. Insgesamt dominieren, wie sollte man es auch anders erwarten, epische Flächen, die häufig durch das Hauptinstrument Keyboard kreiiert werden, aber auch der Bass nimmt erstaunlich oft die Führungsrolle ein. So entsteht nicht nur abwechslungsreiche Musik, sondern auch eine große Homogenität, kein Instrument drängt sich auf, keines steht im Hintergrund, jeder Musiker arbeitet songdienlich am großen Ganzen. Mir persönlich gefallen die Lieder immer dann gut, wenn sie viel Platz bekommen, will heißen, die überlangen Songs kann man getrost als Anspieltipps nennen, auch wenn man vor dem Problem steht, dass sich ein solches Lied mit der Zeit entwickeln muss. Entsprechend wird dem Hörer einiges abverlangt, er muss sich wie vielleicht nie zuvor wirklich auf die Musik einlassen, sie wirken lassen, ihre Entfaltung zulassen. Bei der Stammhörerschaft, die sich in den letzten Jahren der progressiven Entwicklung herausgebildet hat, muss man sich diesbezüglich aber wohl keine Sorgen machen.

Auch wenn es einige Durchläufe benötigt, bis sich die Songs im Ohr festsetzen, hat man zuvor schon schöne Momente mit „Disclosure“, die wohlige Atmosphäre versprühen die Songs nämlich von Anfang an. Danach mag jeder für sich entscheiden, welchen Liedern er den Vorzug gibt, ich würde, wie gesagt, „Meltdown“, „Heroes For Ghosts“ und vor allem das großartige „I Can See Four Miles“ favorisieren. Fakt ist aber, dass THE GATHERING ihren Weg konsequent weitergehen, wer sie begleiten mag, ist herzlich eingeladen.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert