Review Therion – Vovin

1998 war in vielerlei Hinsicht ein sehr gutes Jahr. Zwar versagte die deutsche Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Frankreich und blamierte sich beim 0 – 3 gegen Kroatien doch ziemlich erheblich, aber andererseits gelang das angestrebte Abitur ohne nennenswerte Schwierigkeiten im ersten Anlauf. Und dann wäre da noch ein Album einer schwedischen Band, welches in der symphonischen Metalszene für einigen Aufruhr sorgte. Die Rede ist natürlich von THERIONs „Vovin“, welches sich qualitativ durchaus schon mit dem Vorgänger Theli ankündigte, aber dennoch eine Überraschung im positiven Sinne darstellte. Eine derartige Verschmelzung von Klassik und Metal hatten die Fans nämlich schon lange herbeigesehnt, aber in dieser Perfektion noch nie vorgesetzt bekommen. Wie selbstverständlich fügen sich Violinen, Cello und Kontrabass auf der einen Seite und Gitarren, Schlagzeug und Bass auf der anderen Seite zusammen. Hinzu kommen phantastische Solisten und ein Chor, der die eine oder andere Gänsehaut auf den verdutzt-begeisterten Hörer treibt.

Vermutlich haben die Synapsen in Christofer Johnssons im Vorfeld von Vovin verrückt gespielt und aus allen Rohren gefeuert, denn im wahrsten Sinne ein Feuerwerk ist es, das hier entfacht wird. Und ein abwechselungsreiches dazu, alle Songs klingen in ihrer Gesamtheit wie aus einem Guss, aber dennoch niemals gleich und auch nicht langweilig – von einer Ausnahme wird später noch die Rede sein. Über alle Maßen symphonische Songs wie der Opener The Rise Of Sodom And Gomorrah wechseln sich mit flotteren Nummern ab und mit Eye Of Shiva findet sich sogar eine wunderschöne Ballade, bei der vor allem der Gesang im Mittelteil sowie die zahlreichen Gitarrensoli gut ins Ohr gehen. Sicherlich vor allem auch aufgrund der Sonderstellung als betont langsamer Song ein Highlight, die großartige Genialität Christofer Johnssons, der das Album in weiten Teilen im Alleingang komponierte, offenbart sich aber bei einem anderen Lied. Clavicula Nox besingt nicht nur, im übertragenen Sinne, das Rückgrat der Nacht, sondern stellt für Vovin auch genau dies dar: das Rückgrat. Über acht Minuten voller akustischer Gitarren, Streicher, Sologesang, Chören, Gitarrensoli und einer unvergleichbar angenehm-düsteren Atmosphäre laden ein, sich ganz in der Musik zu verlieren. Wenn es an diesem Song überhaupt einen Kritikpunkt gibt, dann den, dass THERION ihn nicht gleich so konzipiert haben wie auf dem ein Jahr später erschienenen Crowning Of Atlantis. Auf dieser Aufnahme ist Clavicula Nox in ein noch klassischeres Gewand gekleidet, was zu noch mehr Staunen, noch mehr Magie führt. Aber auch so schon ganz unzweifelhaft das beste Lied auf Vovin und eines der besten in der gesamten Bandgeschichte, wenn es nicht sogar auch hier die Nase vorne hat.

Viel Lob, keine Kritik? Fast, aber nicht ganz; zum einen können die Songs zum Ende hin mit Ausnahme des Rausschmeißers Raven Of Dispersion das Niveau der ersten Hälfte nicht ganz halten, zum anderen befindet sich doch ein Song auf „Vovin“, der so irgendwie von seinem Konzeot so gar nicht zum Rest passen mag. Die Rede ist von The Wild Hunt, für welches man sich den Primal-Fear-Shouter Ralf Scheepers ins Studio holte. An sich ist das Lied nicht schlecht, wie der Gastsänger vermuten lässt, ist es aber eindeutig ein Power-Metal-Lied und ebenso eunuchenhaft auch intoniert. Zwar ist der Refrain ein absoluter Ohrwurm, aber im Vergleich zu den sehr klassisch ausgestatteten anderen Liedern irgendwie doch fehl am Platze. Ein gutes Lied auf dem falschen Album könnte man zusammenfassend sagen.

Das tut aber keinen Abbruch daran, dass „Vovin“ vor allem auch in kommerzieller Hinsicht den Durchbruch für THERION bedeutete. Leider konnten sie die neu gewonnen (finanziellen) Möglichkeiten nie so ganz ausnutzen, denn im weiteren Verlauf ihrer Geschichte verzettelten sich Johnsson und Co leider allzu oft in kaum zu durchdringenden Frickeleien, dabei haben sie mit Vovin doch gezeigt, wie einfach es doch gehen kann. Es kommt einem so vor wie bei vielen Bands, die nach ihrem Durchbruch (zunächst) nicht an das gute Songwriting anknüpfen konnten, diese lockere Nüchternheit fehlt offenbar, aber diese Geschichte sollte auf einem anderen Blatt stehen,. Hier gilt es zunächst, „Vovin“ als einen Klassiker im symphonischen Metalbereich zu feiern, eine Platte, die jeder Freund von melodischem Metal in seinem Besitz haben sollte. Aufgrund des Halbausfalls The Wild Hunt und dem Umstand, dass die Platte nach hinten etwas schwächer wird, gibt es einen Punkt Abzug, ansonsten ein perfektes Album.

Wertung: 9 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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