Gegen den Stream: Die Rückkehr der Plattenspieler

Lange schien es, als sei die Zeit der physischen Datenträger für Musik vorbei. Nun erlebt ausgerechnet die Schallplatte ein Revival. Um die vielgelobten Klangeigenschaften der Vinyl-LP geht es aber nur den Wenigsten.

Richard Vukorep hat sich umgezogen. Mit schwarzer Kutte, gefalteten Händen und irrem Blick lässt er sich von seiner Freundin fotografieren. Das Bild, das sie dem Plattencover von Powerwolfs „Lupus Dei“ nachempfunden haben, laden sie später auf Instagram hoch – versehen mit Hashtags wie #vinylvonabisz, #vinyladdict oder #wearevinyl. Dort firmieren die beiden als „Das Plattenpärchen“. Ihr Ziel: In Bildern und Podcasts zu zeigen, was Vinyl ihrer Ansicht nach ist – „old school“, zeitlos und irgendwie sogar modern.

Mit dieser Sichtweise sind die beiden nicht etwa aus der Zeit gefallene Freaks. Im Gegenteil, sie liegen voll im Trend. Während die Verkaufszahlen von CDs rückläufig sind, seit digitale Angebote den Musikmarkt beherrschen, steigt die Nachfrage nach Vinyl-LPs. Und das nicht nur kontinuierlich, sondern auch in beachtlichem Maße. Allein im „Hype-Jahr“ 2016 legten die Umsätze mit Schallplatten auf dem deutschen Markt im Vergleich zum Vorjahr um 40,1 Prozent zu, 2017 um weitere 5,1 Prozent. Seit 2008 hat sich die Zahl der verkauften Vinyl-LPs damit mehr als versechsfacht. Der Marktanteil der Langspielplatte ist unterdessen auf immerhin 4,6 Prozent ange-wachsen. Mag dieser Prozentsatz auch klein klingen: Konkret bedeutet er, dass in Deutschland allein im vergangenen Jahr 3,3 Millionen Platten verkauft wurden. Oder anders ausgedrückt: Im Schnitt jeder 25. Bundesbürger kaufte 2017 eine Vinyl-LP.

Die Käuferklientel setzt sich dabei keineswegs nur aus den Vinyl-Liebhabern von früher zusammen, die die Rückkehr ihres Mediums in die Musikläden und Online-Shops nutzen, um über Jahrzehnte hinweg angelegte Sammlungen zu erweitern. Ganz im Gegenteil. 2017 war immerhin knapp ein Drittel der Schallplattenkäufer unter 40 Jahre alt. So wie Richard Vukorep.

Auch mit einer plötzlich gestiegenen Zahl Audiophiler, die mit den Klangeigenschaften digitaler Musik nicht zufrieden sind und deswegen auf die Schallplatte umsteigen, lassen sich diese Zahlen kaum erklären. Bei Wiederveröffentli­chungen und digital aufgenommener Musik sei auf einem gewöhnlichen Plattenspieler qualitativ auch gar kein Vorteil festzustellen, erklärt Vukorep. Ein anderer Aspekt spielt da – nicht nur bei ihm – eine viel größere Rolle: „Obwohl ich eigentlich nicht alt genug bin, um das miterlebt zu haben, ist es wohl tatsächlich Nostalgie.“

Hier setzt auch Sascha Friesike, Professor und Forschungsleiter am Alexander-von-Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin an: „Das Digitale wird als zu ‚convenient‘ wahrgenommen und damit wird es beiläufig.“ In unserer reizüberfluteten Welt sieht er im Auflegen einer Schallplatte einen gezielt romantisierten, ritualisierten Akt – „eine Insel der Ruhe im Meer an Instant-Messengern, Instant-Kaffee und ‚Ich google das mal schnell‘“. Weitergedacht ist die Wiederkehr der LP damit eine direkte Folge unserer von Ungewissheit geprägten Zeit der digitalen Transformation. Denn gerade Ungewissheit führe schnell zu einer Rückbesinnung, so Friesike: „‚Retro‘ kann insofern auch als Fluchtreflex vor dem Neuen verstanden werden. Es ist ein Phänomen des Zeitgeistes.“

Interessanterweise erfreuen sich Menschen wie Richard Vukorep dabei genau an dem Aspekt der Schallplatte, an dem sich die Leute früher gestört haben. Sie ist umständlich, man muss sich mit ihr beschäftigen. „Der Reiz des Analogen ist auch immer der Reiz, sich ein wenig daran zu reiben“, weiß Friesike dieses Paradoxon aufzulösen. Um eine Platte zu hören, kann man eben nicht einfach sagen: „Hey Siri, spiel David Bowie“. Man muss die sensible Scheibe vorsichtig aus ihrer Hülle holen, ohne sie zu verkratzen. Man muss sie auf den Plattenteller legen und den Plattenspieler in Gang setzen. Und spätestens nach 20 Minuten muss man wieder aufstehen, um sie umzudrehen. Bei Vukorep klingt das dann so: „Es geht um die Haptik – um das Erlebnis, eine Platte aufzulegen, die Nadel behutsam auf die Rillen zu setzen.“

Ganz verwehren sich die neuen Nostalgiker modernen Technologien meist trotzdem nicht. Viele Labels legen ihren Platten mittlerweile einen Downloadcode bei, der es dem Käufer ermöglicht, sich die Musik legal herunterzuladen. „Das führt nicht die Platte ad absurdum, sondern transferiert sie ins hier und jetzt“, lobt Friesike. „Wenn ich Zeit für das Ritual habe, dann kann ich die Platte hören, wenn nicht, dann habe ich so immerhin die MP3s.“ Denn bei aller Liebe zu ebendiesem Ritual – am Ende bleibt die Schallplatte doch schrecklich unhandlich, sie lässt sich nicht unterwegs anhören und nur schwer mitnehmen. Die Download-Option mildert dieses Manko zumindest ab. Und um zu entscheiden, ob eine Platte überhaupt die Investition wert ist, nutzt selbst Vinyl-Verehrer Vukorep Musikportale wie Bandcamp oder Spotify.

Zu den klaren Nachteilen der Schallplatte zählt nämlich ihr vergleichsweise hoher Neupreis. Als in den 1980er-Jahren die CD aufkam, war die LP noch um rund ein Drittel günstiger als ihr silbernes Pendant. Heute ist das genau umgekehrt, von der neu aufgekommenen und noch viel billigeren Alternative des Streamings ganz zu schweigen. „Aber ich bin halt ‚old school‘, ich habe lieber einen Tonträger in der Hand beziehungsweise im Regal – und da natürlich am liebsten den wertigsten, sprich: die Vinyl-LP“, resümiert Vukorep.

Und das ganz allgemein wohl größte Problem aller Sammler materieller Dinge – der benötigte Platz? „Das mit dem Platz­bedarf ist tatsächlich so eine Sache“, stimmt Vukorep zu. „Noch geht’s. Und wenn’s mal wieder knapp wird, müssen wir halt das Sofa rausschmeißen.“

Fotos: Richard Vukorep / Das Plattenpärchen

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