Meshuggah: erste Eindrücke zu „Immutable“ aus der Listening-Session

Meshuggah LogoAm 1. April 2022, sechs Jahre nach dem bislang letzten Album „The Violent Sleep Of Reason“, erscheint das neunte MESHUGGAH-Album „Immutable“. Im Vorfeld der Veröffentlichung haben Atomic Fire Records ausgewählte Journalisten zur Online-Listening-Session geladen.

Neben Gastgeber und Labelchef Markus Wosgien war MESHUGGAH-Schlagzeuger Tomas Haake stellvertretend für die Band anwesend. Haake beschreibt das Album als dynamischer als die bisherigen Werke der Band – zugleich enthalte das neue Material mehr ruhige Passagen und Old-school-Parts. Man habe also etwas Neues ausprobieren, zugleich aber zu den eigenen Wurzeln zurückkehren wollen.

Kann das gutgehen? Genug Raum für Weiterentwicklung und Rückbesinnung bietet „Immutable“ jedenfalls: Mit knapp 67 Minuten ist das neunte Album der schwedischen Progressive-Metal-Band auch ihr bislang längstes.

Meshuggah Listening Session zu "Immutable"

Unsere Eindrücke von „Immutable“ im Track-by-Track-Review

01. Broken Cog (5:35 min)

Ein bleiernes Palm-Mute-Riff eröffnet donnernd das Album, ehe sich Lead-Gitarre und die Snare dazugesellen. Und schon finden wir uns in MESHUGGAH-typischer Oddtime-Polyrhythmik wieder. Das Stück baut sich weiter auf, es folgt eine zweite Lead-Gitarre, die die erste harmonisch doppelt und Jens Kidman flüstert bedeutungsschwanger seinen Text darüber. Die Stimmung ist, selbst für MESHUGGAH-Verhältnisse, recht düster und eher sphärisch gehalten. Sofort fällt die überraschend dynamische, weniger aggressiv und dafür organischer gehaltene Produktion auf, die die Band laut Haake dieses Mal anstrebte. Trotz über fünf Minuten Spieldauer besitzt „Broken Cog“ strukturell eher Intro-Charakter. Durchaus passend für den Einstieg – das Stück hätte etwas kürzer gehalten seine Funktion aber auch erfüllt.

02. The Abysmal Eye (4:55 min)

Der Song beginnt mit einem rhythmischen Double-Bass-Pattern im Midtempo, das im ersten Moment deutlich mehr an Gojira als an MESHUGGAH erinnert. In den ersten zwei Minuten stellt „The Absymal Eye“ für die Schweden einen rhythmisch überraschend simplen Song dar, der so auch von anderen Bands hätte stammen können. Doch MESHUGGAH wären nicht MESHUGGAH, wenn das bis zum Ende so bleiben würde. Ab der Mitte wird es folglich wesentlich vertrackter. Abgerundet wird der Track von einem MESHUGGAH-typischen, atonal anmutenden Tappingsolo. Ein solider Track, bisher fährt die Band aber noch mit angezogener Handbremse.

03. Light The Shortening Fuse (4:28 min)

Das ändert sich nun spätestens mit Song Nummer drei. „Light the Shortening Fuse” ist das erste klassische MESHUGGAH-Lied auf dem Album und beginnt folglich mit einem gehirnverknotenden Odd-Time-Riff plus Lead-Gitarre. In Sachen Tempo ist der Song merklich schneller als der Vorgänger – und auch besser, nicht zuletzt dank des enorm starken, markanten Hauptriffs. In der zweiten Hälfte dominieren erneut eher sphärische Lead-Gitarren, insgesamt bleibt der Song aber auch hier wesentlich weniger düster und sphärisch als etwa „Broken Cog“.

04. Phantoms (4:53 min)

Auch „Phantoms“ wartet mit einem fantastischen, groovenden Hauptriff auf, bei dem sich ein Basiston mit dem immergleichen Powerchord in genau kalkulierten Abständen abwechselt. Das Lied fokussiert sich noch mehr auf Rhythmik und entledigt sich dafür der melodiöseren Elemente, klingt damit also ebenfalls nach klassischem MESHUGGAH-Material. Mit einem radikalen Break in der Mitte des Songs wechselt die Band sodann auf einen anderen Polyrhythmus und führt das nächste MESHUGGAH-typische Element ein: das saitengezogene Tieftonriff. Am Ende gesellt sich passend dazu eine auf- und abgleitende Lead-Gitarre hinzu. Insgesamt zeigt sich „Phantoms“ ähnlich stark wie „Light The Shortening Fuse“ und stellt damit einen weiteren Albumhöhepunkt dar.

05. Ligature Marks (5:13 min)

MESHUGGAH treten wieder auf die Bremse, jedoch lediglich in Sachen Tempo – ganz sicher nicht in Sachen Brutalität. Der brachial-stampfende Track klingt so massiv, wie viele Deathcore- und Brutal-Death-Metal-Bands sich selbst wahrscheinlich gerne hören würden. Langsam, aber alles andere als langweilig, wie es leider manchmal bei trägeren MESHUGGAH-Stücken der Fall ist. Auf die tiefen Gitarrenakkorde setzt sich eine Melodie aus langgehaltenen Einzeltönen, die dann in geachtelte Palm-Mute-Töne übergehen und erneut in einer zweistimmigen Melodie enden. Nach inzwischen fünf Songs lässt sich Haakes Beschreibung eines für MESHUGGAH sehr melodischen Albums bestätigen. So melodiös waren die Schweden wohl wirklich noch nie unterwegs.

06. God He Sees In Mirrors (5:28 min)

Old-school-Fans der Band dürften hier aufhorchen. MESHUGGAH gehen direkt ab Sekunde eins voll aufs Ganze und präsentieren ein verschwurbeltes Riff, das sich genauso gut auf „Destroy Erase Improve“ wiederfinden könnte. Erneut aber bedient die Band hier maximal mittleres Tempo. Flottere Tracks im Stile von beispielsweise „Chaosphere“? Fehlanzeige. Wieder gibt es ein obligatorisch-harmoniebefreites Solo, ehe der letzte angeschlagene Akkordton sehr lange ausklingt. Solide, aber kein Highlight.

07. They Move Below (9:35 min)

Mit „They Move Below“ folgt nun der mit neuneinhalb Minuten mit Abstand längste Track des Albums. Eingeleitet wird dieser ganz untypisch durch ein ruhiges, langes Clean-Gitarrenintro, erneut mit zweistimmigen Leads. Im ersten Drittel verfolgt der Song eine eher gedämpfte, entspannte Stimmungslage, bleibt dabei aber wenig spektakulär und zeigt sich nicht sonderlich eingängig. Nach zweieinhalb Minuten setzt dann das vermeintlich erlösende Midtempo-Riff ein. Doch sofort stellt sich Ernüchterung ein, denn dieses groovt weit weniger als alles bisher auf dem Album Gehörte und schleppt sich eher träge dahin. Da nach der Hälfte des Songs immer noch kein Gesang ertönt, wird langsam klar, dass es sich hier um ein Instrumentalstück handelt. Das stellt sich leider als komplette Fehlentscheidung heraus, denn kein anderer Song auf dem Album hat einerseits instrumental so wenig Spannung zu bieten und zieht sich andererseits über völlig aufgeblasene neuneinhalb Minuten. Somit stellt sich ausgerechnet das zentral platzierte Mammutwerk als der mit Abstand schwächste Song heraus.

08. Kaleidoscope (4:07 min)

Und noch ein ein Midtempo-Stampfer. Allmählich stellt sich etwas Langeweile ein, die Elemente wiederholen sich: Wieder ein Tieftonriff, wieder komplexe Rhythmik um der Komplexität willen und wieder ein atonales Solo. Alles in allem okay, jedoch zieht „Kaleidoscope“ fast unbemerkt an einem vorbei und schafft es nicht, aus den anderen Stücken herauszustechen – weder im positiven noch im negativen Sinne.

09. Black Cathedral (2:00 min)

Es folgt daher dankenswerterweise tatsächlich etwas ganz Neues: ein Tremoloriff! Stilistisch passt das so gar nicht zu MESHUGGAHs Sound, sondern wirkt eher Black- respektive Death-Metal-artig. Eine zweite Tremolo-Gitarre schaltet sich dazu, von den restlichen Instrumenten keine Spur. Ein Blick auf die Laufzeit von nur zwei Minuten verrät: „Black Cathedral“ ist kein vollwertiger Song, sondern leider nur ein Interlude. Schade, es wäre sehr spannend gewesen, einen richtigen Song mit diesen Elementen zu hören. Stattdessen wirkt das kurze Zwischenspiel, das irritierend abrupt endet, ganz ohne Drums und andere Instrumente wie eine unfertig Demo einer Riffidee.

10. I Am That Thirst (4:40 min)

Nach dem längeren Durchhänger in der Albummitte folgt nun im letzten Drittel endlich wieder etwas Schnelleres. „I Am That Thirst“ groovt ordentlich und vereint einmal mehr typische MESHUGGAH-Trademarks. Kompakt und spannend komponiert kommt der Song weitestgehend ohne Filler-Momente aus. Zwar kann das Stück sich nicht ganz mit den Highlight-Tracks „Light The Shortening Fuse“ und „Phantoms“ messen, bleibt aber dennoch als eine der gelungeneren Kompositionen in Erinnerung. Im letzten Drittel des Songs erfolgt ein Break auf einzeln angeschlagene Akkorde, die sich langsam aber stetig bausteinartig zu einem komplexen Groove-Riff zusammensetzen. Einer der wahnwitzigsten Parts auf dem Album und ein merklich nerdiges Zugeständnis an alle Musiker unter den MESHUGGAH-Fans. Stark!

11. The Faultless (4:48 min)

… was man von „The Faultless“ wiederum dann leider nicht behaupten kann. Wie schon „Kaleidoscope“ dümpelt der Song unspektakulär vor sich hin. Ein ganz klassischer MESHUGGAH-Filler: solide, kein Highlight, kein Ausreißer nach unten. Aber eben auch kein Song, der hängen bleibt. Langsam stellt sich Ermüdung ein. Doch wo die bisher längsten MESHUGGAH-Alben spätestens nach dieser Spielzeit endeten, kommen hier noch mal zwei Stücke.

12. Armies Of The Preposterous (5:15 min)

Wer inzwischen etwas schläfrig ist, wird von „Armies Of The Preposteruous“ mit einem furiosen Toms-basierten 16tel-Drumgroove direkt wieder wachgetrommelt. Über diesen Beat legen sich daraufhin doomige Riffs – natürlich nicht ohne rhythmische Raffinesse. Irgendwann passt sich auch das geradlinige 16tel-Pattern des Schlagzeugs dem doomigen Tempo an, Bass-Drum und Gitarre spielen nun abgehackte 16tel-Grooves über den weiterhin langsam stampfenden Beat. Das macht den Song gleichermaßen heavy wie auch dynamisch. „Armies Of The Preposterous“ funktioniert erfreulich gut und bleibt wesentlich besser hängen als die meisten anderen Lieder auf „Immutable“.

13. Past Tense (5:46 min)

Der finale Track beginnt erneut mit ungewöhnlich ruhigen, bassigen Clean-Gitarren und verbreitet ähnlich wie das Intro eine düstere Stimmung. Die ständige Erwartung, dass es gleich richtig losgeht, bleibt jedoch unerfüllt: Nach zwei Minuten mäandert der Song noch immer unverändert vor sich hin. Nach drei Minuten wird dann langsam klar: Da kommt nichts mehr. Der Song bleibt bis zum Schluss ein unaufregendes instrumentales Clean-Gitarrenstück. Gegen Ende wird es zwar etwas melodiöser, viel rettet das aber nicht. Nett gemeint als Outro, mit knapp sechs Minuten dafür aber deutlich zu lang.

Meshuggah Listening Session zu "Immutable"

Unser erstes Fazit zu „Immutable“

Ist MESHUGGAH mit ihrem neunten Album gelungen, die Vorhersehbarkeit, die sich über die letzten zwei Alben in ihre Musik geschlichen hat, aufzubrechen und frischen Wind in ihren Sound zu bringen? Nicht so wirklich. Zwar führen MESHUGGAH auf „Immutable“ das eine oder andere ungewohnte Element ein. Leider funktioniert aber nicht jedes davon gleich gut. Insgesamt fehlen der Scheibe bahnbrechende Momente, wie sie legendäre Alben wie „Destroy Erase Improve“ (1995), „Chaosphere“ (1998) oder „obZen“ (2008) gleich mehrfach vorweisen konnten. „Immutable“ hingegen wirkt – dem Ersteindruck folgend – eher wie ein weiterer ledigilich solider Eintrag in die Diskografie der Schweden.

Natürlich wächst die komplizierte, vielschichtige Musik MESHUGGAHs üblicherweise mit mehreren Durchgängen. Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch die Wirkung von „Immutable“ erst bei mehrmaligem Hören gänzlich entfaltet. Dass man hier ein revolutionäres Werk und nicht bloß ein weiteres gutes Albums vorliegen hat, lässt sich allerdings bereits jetzt ausschließen. Dafür fehlt MESHUGGAH auf „Immutable“ zu sehr der Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen. MESHUGGAH bleiben also auch 2021 MESHUGGAH – gänzlich „immutable“.

Meshuggah Listening Session zu "Immutable"

Anschließend spricht Tomas Haake über das Album

Auch wenn es auf jedem MESHUGGAH-Album immer wieder neue Elemente oder Experimente gibt, klingt alles doch immer nach MESHUGGAH. Als Hörer weiß man sofort, dass es MESHUGGAH ist, denn sonst macht niemand diese Art von Musik. Das sei durchaus beabsichtigt, erklärt Haake: Sie wollten nicht, dass man sich denkt „das ist vielleicht MESHUGGAH“, sondern dass man sofort weiß und offensichtlich denkt „Das ist MESHUGGAH“. Das hat auch Einfluss auf das Songwriting und die Musiker diskutieren bei neuen Elementen über dieses Thema. Dabei gibt es auch Momente, bei denen man Gefahr läuft, sich selbst zu kopieren: Wenn ihnen dergleichen beim Sonwriting auffällt, werde der Part aber sofort fallen gelassen, erklärt Haake. Sich selbst kopieren wollen auch MESHUGGAH auf keinen Fall. Die selbstgesteckten Grenzen für das musikalische Framework ist auch eine gewisse Limitierung, in der man sich beim Songwriting bewegen kann und muss. Es fühlt sich Haake zufolge aber nicht wie eine Limitierung an, auch wenn es musikalisch definitiv feste Grenzen gibt.

Der Albumtitel „Immutable“ bedeute zwar „unveränderlich“, das steht aber natürlich nicht direkt für die Musik von MESHUGGAH. Die Band versuche zwar immer, mit jedem Album etwas Neues zu erschaffen, aber die Richtung, in die die Band geht, ist immer dieselbe und daher „immutable“. Vielmehr bezieht sich der Titel aber auf den Menschen an sich, der unveränderlich immer wieder seine Fehler wiederholt und sich zur Selbstzerstörung treibt. Das spiegelt sich in den Lyrics wieder.

Corona hatte natürlich auch auf MESHUGGAH und damit dieses Album einen Einfluss: weniger auf die Stimmung der Musik, sondern eher  auf die Lyrics. Viele Texte sind Haake zufolge sozialbezogene Kommentare zu der Situation, in der wir uns heute befinden. Die Texte seien teilweise auch durchaus persönlich und drehen sich um die Fehler, die man gemacht hat und Gedanken daran, die wie „Phantoms“ immer wieder zurückkommen. Betroffen war außerdem auch die Arbeitsweise, da durch das Schreiben und Aufnehmen von Zuhause aus, das Hin- und Herschicken von Files und dergleichen der kreative Prozess wesentlich langsamer vonstattenging als sonst.

Die Herangehensweise an das Songwriting ist old-school, da die Musiker in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Lieder mit Intro, Strophe, Refrain und Outro klassisch strukturiert aufgebaut waren. Die Band versuchte anfangs, auch in diese Richtung zu gehen, aber ganz offensichtlich entwickeln sich die Stücke immer anders. Wenn die Tracks nach dem bekannten Songkonstrukt aufgebaut wären, wäre das aber ja auch langweilig, gibt Haake zu bedenken. Wichtig beim Songwriting sei auch, dass die Songs ins Albumgefüge passen und ineinander übergehen: Die ersten und letzten 30 Sekunden eines Songs seien daher oft wichtiger als alles was mittendrin passiert.

Der Old-school-Ansatz des Albums bedeute nicht nur, dahin zurückzugehen, wo MESHUGGAH musikalisch früher waren, sondern auch zu den Alben die die Musiker früher gehört haben – zum Beispiel „Master Of Puppets“ von Metallica. In dieser Zeit sei vieles noch unverbraucht gewesen, was für Haake die Faszination und der großen Alben dieser Zeit ausmacht. Außerdem sei damals noch viel mehr darauf geachtet worden, ein komplettes zusammenhängendes Album zu erschaffen und nicht nur einzelne Tracks. MESHUGGAH wollen das ebenfalls bieten: „It’s not just about the fucking tracks“.

Was „neue Musik“ angeht, haben MESHUGGAH ihrem Schlagzeuger zufolge kaum Zeit, sich damit zu beschäftigen – geschweige denn nach neuer Musik zu suchen und sich in neue Bands reinzuhören. Je länger man Musik macht, umso mehr befinde man sich in einem gewissen Tunnel und eben dem Bereich, in dem man selbst Musik macht. Als Musiker sauge man natürlich das auf, was die Bands machen, die man selbst schon lange verfolgt. Ahnung, was außerhalb seiner kleinen musikalischen Bubble passiert, habe er aber keine, gibt Haake unumwunden zu.

Publiziert am von Simon Bodesheim und

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