Interview mit Sascha von Aethernaeum

Alle Jahre wieder liefert Sascha Blach mit mindestens einer seiner Bands ein neues Album ab. 2015 ist das bei AETHERNAEUM der Fall, jener Band, die zwar im Black Metal verwurzelt ist, sich aber spätestens mit „Wanderungen durch den Dämmerwald“ einer ausgesprochen folkigen Interpretation zuwandte. Wie sich dies beim neuen Album „Naturmystik“ verhält, schildert Sascha im folgenden Interview.

Aethernaeum Interview 2015 transparent

Guten Tag, Mr. Blake. Schön, dass sich mal wieder die Gelegenheit ergibt, ein paar Worte miteinander zu wechseln. Dieses Mal also wieder AETHERNAEUM, unter diesem Namen liegt nun die zweite Veröffentlichung „Naturmystik“ vor. Nervt dich die obligatorische Frage nach dem Zufriedenheitsgrad mit ein wenig Abstand zu den Aufnahmen und wenn nicht, wie würdest du sie dann beantworten?
Nein, die Frage nervt nicht. So oft wird sie ja nicht gestellt, haha. Ich bin nach wie vor sehr zufrieden und kann mir das Album noch gut anhören, obwohl ich es beim Mixen gefühlte tausend Mal hören musste. Ich würde mich nie so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass es unser bestes Album ist – das müssen andere entscheiden. Aber ich denke, es ist auf jeden Fall auch nicht unser schlechtestes und zeigt uns in puncto Songwriting, Produktion und Mix noch mal deutlich gereift. Richtig unzufrieden bin ich eigentlich mit keinem meiner Alben der letzten Jahre, dazu investieren wir immer zu viel Zeit und Energie, um Schnellschüsse zu vermeiden. Aber man entwickelt sich natürlich immer weiter und macht dadurch ganz automatisch beim nächsten Mal Dinge anders. Doch das ist gut so, denn so ist jede Scheibe eine Spiegelung der jeweiligen Zeit.

Auf den ersten Blick klingt der Titel fast ein bisschen trivial, doch steckt da sicher mehr dahinter. Kannst du kurz erläutern, welche Bedeutung er für dich hat und in welcher Form er das Konzept der Platte zusammenfasst?
Trivial? Weil es nur ein Wort ist und man von uns eher lange, extravagante Titel kennt? Haha, nun, ich finde ihn nicht trivial, sondern denke, dass ‚Naturmystik’ auf den Punkt bringt, was Aethernaeum ausmacht. Es dreht sich offensichtlich alles um die Natur, aber hinter dieser Ebene offenbart sich noch eine weitere: die mystische Seite, die weiter in die Tiefe führt, bis in die Welt des Transzendenten und Spirituellen. Ich habe mir diesmal so schwer wie noch nie damit getan, einen Titel zu finden und es gab bandintern auch einige Diskussionen dazu. Letzten Endes hat sich ‚Naturmystik’ durchgesetzt, da es zwar ungekünstelt, aber dafür sehr eindeutig ist und auch im Ausland sofort verstanden wird.

Aethernaeum - Interview 2015 I

Ist es zu viel Erbsenzählerei, wenn man feststellt, dass sich der Aufbau der Platte des Vorgängers ähnelt? Erst zwei lange Lieder, in der Mitte ein kürzeres Instrumental, ein Outro, insgesamt neun Songs und auch sonst gibt es nicht viele Unterschiede, was die „Grobstruktur“ angeht.
Erbsenzählerei, ja, hehe. Also es steckt keine Absicht dahinter. Wir haben die Songs einfach so angeordnet, wie sie für uns homogen erschienen. Ein großer Unterschied ist z.B., dass auf dem letzten Album noch mehr Interludes waren und es diesmal mit ‚Jenseits der Mauer des Schweigens’ ein richtiges Instrumental gibt, das mehr als nur ein akustisches Zwischenspiel ist. Ich denke, letzten Endes ist es nur wichtig, dass ein Album schlüssig und wie aus einem Guss klingt und die Songs gut ineinander fließen.

Ist die Sichtweise, dass die beiden einführenden Lieder schon (fast) alle Elemente enthalten, die das Album ausmachen, richtig? Soll das eine Art „Summary“ am Anfang sein bzw. den Hörer darauf vorbereiten, was ihn noch erwartet?
Auch hier steckt wieder keine Absicht dahinter. Wir wollten keineswegs zu Beginn die Spannung rausnehmen und ich finde, das tun wir auch nicht, denn es kommen auch danach noch genug neue Elemente und das Album bleibt spannend und kurzweilig. ‚Der Baumpercht’ mit seinem schamanischen Tribal-Flair ist z.B. noch mal eine ganz neue Seite oder ‚Jenseits der Mauer des Schweigens’ mit seinen post-rockigen Elementen auch. Aber natürlich stellt man jene Songs, die man am stärksten findet, an den Anfang, um gleich ein Zeichen zu setzen. Das war die einzige Absicht. Außerdem passen sie gut hintereinander, oder?

Welchen Anteil (vielleicht im Vergleich zum musikalischen Songwriting) nimmt die Arbeit den Texten ein? Ich finde die Mischung aus Naturthemen, Märchen und Esoterik dieses Mal ganz besonders gelungen, hast du viel investiert?
Danke für das Kompliment. Ich kann das schwer in Zeiteinheiten aufrechnen. Dadurch dass die musikalische Seite mit Songwriting, Aufnahmen und Mix sehr viel umfangreicher ist, nimmt sie natürlich auch mehr Zeit in Anspruch. Ein Text kann in 20 Minuten aus mir fließen oder ich feile über Wochen immer mal wieder an Details, was aber eher selten vorkommt. Generell ist mir die textliche Seite aber auch immer sehr wichtig und ich versuche keinen Text zu veröffentlichen, hinter dem ich nicht hundertprozentig stehe. Da ist es dann egal, wie lange die Kreation gedauert hat.

Aethernaeum - Interview 2015 IVLass uns noch kurz bei den Worten bleiben, wie hoch ist generell der metaphorische Anteil der Texte? Bei einem Titel wie „Aus Silberseen…“ drängt sich schon fast das Bild eines klaren Wintermorgens auf, an dem Nebelschwaden dicht über den Boden dahingleiten.
Wie hoch der Anteil ist, muss jeder Leser selbst beantworten, denn das ist ja immer subjektiv. Ich für meinen Teil versuche immer, Bilder vor dem inneren Auge des Lesers bzw. Hörers zu evozieren und so das Kopfkino in Gang zu setzen. Viele Texte sind wie musikalische Gemälde oder Filmsequenzen, die einen ohne Erklärung in ein bestimmtes Szenario versetzen, das es dann selbst zu ergründen gilt. Mir ist wichtig, dass die Aethernaeum-Texte nicht zu eindeutig sind, sodass etwas Mystisches und Zauberhaftes entsteht. Eine gewisse Rätselhaftigkeit. So ergeben sich ganz automatisch auch mal mehrere mögliche Interpretationen. „Aus Silberseen…“ ist übrigens trotz der vordergründigen Nebel-Idylle ein sehr grausamer Song, der in einer Vorahnung der Apokalypse endet. Die Natur wird den Menschen überdauern.

Ich frage deshalb, weil nach meinem Empfinden dieses Mal deutlich verschachtelter ist als auf dem eher eingängigen Vorgänger. Teilst du diesen Eindruck?
Nein. Aber das ist immer subjektiv. Ich finde, wir verbinden auf beiden Alben, ausladende, epische Songstrukturen mit prägnanten Melodien und Chorussen. Das macht ja den Aethernaeum-Sound aus. Aber ich bin da nicht sachlich genug, denn ich selbst habe das Album so oft gehört, dass es mir schwer fällt, Unterschiede in Worte zu fassen. Und wenn man die Stücke so oft gehört hat wie ich, empfindet man sie unweigerlich als sehr eingängig, haha.

Der verstärkte Einsatz von Cello, Keyboard usw. ist aber sicher kein zufall, oder? Sind es gerade diese Instrumente, die die Mystik der Scheibe erst so richtig ausmachen?
Ja, ich denke schon. Ohne Keyboards und Cello wäre unser Sound viel roher und unatmosphärischer. Aber auch hier sehe ich nicht so große Unterschiede zum ‚Daemmerwald’-Album, denn auch dort waren diese Elemente sehr zentral. Generell mag ich diese sehr epische Musik, die im Kopf große weite Welten eröffnet, sehr gerne und wir legen viel Wert darauf, diese Aspekte auszuarbeiten. Es ist für mich wie geheimnisvolles Reich, in das man mit der Fantasie komplett eintauchen kann – und in dem man sich verlieren kann.

In den mystischen Bereich passt sicherlich auch „Der Baumpercht“, vermutlich das ungewöhnlichste Lied, was je unter dem Banner AETHERNAEUM veröffentlicht wurde. Gibt es hinter diesem speziellen Lied auch eine spezielle Geschichte?
Ich würde jetzt gerne erzählen, dass ein Baumpercht ins Studio kam und mir einflüsterte, ich solle doch mal einen Song über ihn schreiben und ihn in der Welt bekannt machen. Doch die Wahrheit ist, dass der Baumpercht nur auf der imaginativen Ebene vorbei kam, um Inspiration zu liefern. Ich fand die Idee eines solchen geheimnisvollen Naturgeists, der in den Bergen lebt und dort hin und wieder den Wanderern erscheint, vom Großteil der Menschheit aber als nicht real betrachtet wird, sehr spannend. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, mal einen Song in Richtung Wardruna zu schreiben, aber irgendwie wurde am Ende doch etwas ganz Eigenes draus. Ich finde es großartig, dass ‚Der Baumpercht’ noch mal eine ganz neue Ebene an Folkigem in unsere Musik bringt, denn im Gegensatz zu unseren sonstigen eher idyllischen, ruhigen Akustik-Interludes ist der Song sehr rhythmisch, hypnotisch und hat etwas Tribal-haftes.

Empfindest du es als Kritik, wenn jemand sagt, „Naturmystik“ sei ein schwieriges Album, weil es eine Weile braucht, bis es richtig zündet oder macht das die Platte vielleicht erst so richtig aus?Aethernaeum - Interview 2015 III
Es ist eigentlich ein Kompliment, zumindest wenn man am Ende zu dem Schluss kommt, DASS das Album noch richtig zündet nach einigen Durchläufen. Einige meiner liebsten Alben haben mich auch nicht nach dem ersten Hören erreicht, haben dann aber eine umso tiefere Wirkung hinterlassen. Wenn uns das mit ‚Naturmystik’ auch gelingen sollte, wäre das eine schöne Wertschätzung, denn es spräche dafür, dass die Musik Tiefe und Anspruch hat, was uns beides sehr wichtig ist. Wir wollen ja gar nicht leichtverdauliche Musik für oberflächliche Menschen machen, sondern besondere Musik für Leute, die in die Tiefe blicken. Dennoch empfinde ich selbst ‚Naturmystik’ nicht als super-komplexes Album, das fernab jeglicher Hörgewohnheiten liegt. Für mich ist es sehr schlüssig und entwickelt schnell einen ganz eigenen Sog.

Könnte die Ursache vielleicht darin liegen, dass AETHERNAEUM im Gegensatz zu Zeiten, als du noch unter Alexander Paul Blake veröffentlicht hast, mittlerweile eine vollständige Band sind, in der die Mitglieder mehr und mehr zu den Songs beitragen oder ist der Anteil deiner Mitstreiter immer noch eher gering?
Wer weiß. Generell hat sich da nicht so viel geändert. Ich schreibe die Songs und Texte und anschließend fügen die anderen noch eigene Ideen hinzu, schlagen Änderungen vor oder kritisieren die Mixe. Die einzige Ausnahme ist diesmal ‚Im Zyklus der Jahreszeiten’. Das ist Marcos Baby und der alte Perfektionist hat dabei nichts dem Zufall überlassen. Hier stammt der Song grundsätzlich von ihm und ich habe dann noch einige musikalische Änderungen und Verfeinerungen vorgenommen, Text und Gesang beigetragen und das Ganze als Produzent betreut. Vielleicht hört ja der eine oder andere den Unterschied zu meinem Songwriting? Generell ist es im Vergleich zu den Alexander-Paul-Blake-auf-Solopfaden-Zeiten auf jeden Fall eine Bereicherung, dass sich die anderen einbringen und wir die Songs als Band einspielen. Ich finde, dadurch ist uns qualitativ noch ein Quantensprung gelungen.

Für dich als Produzenten muss das mittlerweile ein regelrechter Spießrutenlauf sein. Teilweise mehr als 100 Spuren in einem Song klingen fast schon nach (kontrolliertem) Wahnsinn.
Ja, das ist es. Und es bleibt ja nicht dabei, dass man diese Spuren einmal bändigt und es das dann war, denn es gibt in der Band einige kritische Geister, die mich mit ihren Korrekturlisten in den unkontrollierten Wahnsinn treiben, haha. Aber es ist ja auch gut, denn so stellen wir eine gewisse Qualität sicher und laufen nicht Gefahr, einen Schnellschuss abzuliefern. Ganz einfach zu mixen war das Album in der Tat nicht, da wir immer knapp an der Gefahr, die Musik zu überladen, vorbeigeschrammt sind. So musste am Ende schon mal das eine oder andere Element draußen bleiben oder sehr im Hintergrund verschwinden, um den Hörer nicht zu überfordern.

Aethernaeum - Interview 2015 IV

Bekanntermaßen exponierst du deine Visionen nicht nur bei AETHERNAEUM. Dennoch weitest du die stilistische Vielfalt auch bei dieser Band immer weiter aus (Black- Folk-, Heavy-Metal, Post-Rock…). Hast du selber schon ansatzweise eine Ahnung, wo die Reise irgendwann mal hingehen wird?
Nein, keine Ahnung. Das planen wir nicht. Es kommt, wie es kommt. Ich kann mir vorstellen, dass wir noch etwas progressiver werden und noch mehr mit Klargesang arbeiten oder dass wir noch folkloristischer werden oder dass wir irgendwann wieder deutlich schwarzmetallischer klingen. Wer weiß. Da ändert sich meine eigene Präferenz immer mal wieder, und am Ende kann es doch ganz anders kommen, wenn die Songs eine Eigendynamik entwickeln. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Musik ihren typischen Aethernaeum-Charakter nicht verliert. Aber dadurch, dass wir auch jetzt schon sehr breit aufgestellt sind, haben wir da ja zahlreiche Möglichkeiten, ohne unglaubwürdig zu werden.

Apropos Reise, mittlerweile ist AETHERNAEUM vermehrt auch live zu bewundern. Die Tourpläne sind schon recht konkret, erzähl mal etwas darüber.
Wir sind zwar nicht so oft live zu ‚bewundern’ wie wir das gerne hätten, aber zumindest ein paar Gigs haben wir schon gespielt, ja. Im März 2016 geht es auf Tour mit Dornenreich. Ein tolles Package, finden wir. Und für uns natürlich eine große Chance, da Dornenreich-Fans auch potenziell unser Zielpublikum sind.

Hast du eigentlich selber Lieblingslieder von deinen Bands?
Wenn dann nur während einer Albumproduktion, denn ansonsten höre ich die eigenen alten Alben so gut wie gar nicht mehr. Und während einer Produktion ändert sich das immer mal wieder. Später ist es eher so, dass man auf einzelne Songs live dann keine Lust mehr hat und froh ist, wenn sie irgendwann wieder aus dem Programm fliegen und durch frischere Nummern ersetzt werden. Das muss nichts mit der Qualität des Songs zu tun haben. Manche Tracks machen einfach mehr Spaß zu spielen als andere.

Aethernaeum - Interview 2015 II

Verzeih mir, wenn ich schon nach Zukunftsplänen frage, so direkt nach Veröffentlichung einer neuen Platte, aber hast du vielleicht schon Neuigkeiten auch zu deinen anderen Projekten (oder gar zu AETHERNAEUM)?
Zur Zukunft von Aethernaeum kann ich außer der besagten Tour gerade nichts sagen. Wir werden sehen, wann die Zeit reif ist für weitere Kreativausflüge. Aber ich kann verraten, dass wir mit Eden Weint Im Grab, wo wir in ähnlicher Besetzung aktiv sind, derzeit an einem neuen Album schreiben, das hoffentlich irgendwann 2016 erscheint. Derzeit sind etwas Dreiviertel der Songs geschrieben und ich kann verraten, dass es ein Konzeptalbum wird, das NICHT ‚Geysterstunde III’ heißt, haha.

Anstelle des üblichen Wortspiels machen wir (wie beim letzten Mal schon) etwas zu Musik. Sag doch mal, was ist die beste Musik zum:

Aufstehen: Ich höre zum Aufstehen eigentlich gar keine Musik. Würde ich zum Aufstehen Musik hören, dann wäre es wohl etwas Entspanntes. Vielleicht Klassik oder Reggae, haha.
Putzen: Ich putze nicht ;-) Scherz … da gerne etwas mit Dampf, damit es schnell geht. Death Metal mit ordentlich Druck macht da sicher Sinn. Schön dreckige Musik ;-)
Autofahren: Ich nehme mir gerne CDs mit ins Auto, die ich intensiv hören möchte, da ich hier die ungeteilte Aufmerksamkeit auf die Musik richten kann. Stilistisch habe ich während des Autofahrens wirklich schon so ziemlich alles gehört, von elektronischer Musik über Pop bis Black Metal. Jüngst wurde meine Auto leider aufgebrochen und das Radio und die Boxen gestohlen, seitdem ist es verdammt ruhig geworden …leider…
Entspannen: Siehe Aufstehen. Im Zweifel etwas Sphärisches.
Lesen: Ebenso. Da brauche ich Musik, die mich nicht ablenkt, also am besten mit unaufdringlichem Gesang oder ganz instrumental.

So, schon wieder haben wir ein Interview geschafft. Du kennst das ja, die letzten Worte sind dein.
Vielen Dank, Jan, dass du so unermüdlich mit jedem Release ein Interview mit mir/uns führst. Das ist immer wieder eine große Ehre und Freude!

Publiziert am von Jan Müller

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