Review Aethernaeum – Wanderungen durch den Dämmerwald

  • Label: Einheit
  • Veröffentlicht: 2013
  • Spielart: Black Metal

Muss man an dieser Stelle noch einmal auf das lichtgeschwindigkeitsmäßige Arbeitstempo von Alexander Paul Blake (a.k.a. Sascha Blach) hinweisen? Vermutlich eher nicht, denn nachdem er das ambitionierte Elemente-Konzept mit Transit Poetry beendet hatte, legte er flott wie düster mit Eden weint im Grab nach, um dann im Handstreich auch noch den romantischen Black-Metal-Sektor im Sturm zu nehmen. Dies tat er mit dem Vorgänger des vorliegenden Albums, allerdings noch unter seinem eigenen Namen, mittlerweile ist das Kind zu einer kompletten Band angewachsen und erhielt folgerichtig eine eigene Bezeichnung. Alexander Paul Blake sind also nun unter AETHERNAEUM unterwegs, wobei sich „unterwegs“ hauptsächlich auf Studioarbeit bezieht, denn live ist man bis heute noch nicht so recht in Erscheinung getreten.

Neuer Name und sonst alles beim Alten? Mitnichten! Zwar hat sich die musikalische Ausrichtung nicht wirklich geändert, weiterhin wird verträumter, düsterer Metal geboten, aber man muss schon sagen, war das Debüt „Die Rückkehr ins goldene Zeitalter“ schon ein starkes Album, setzt der Wahl-Berliner mit „Wanderungen durch den Dämmerwald“ noch mal locker eins oben drauf. Ohne Übertreibung ist es ein Album, welches nicht nur vom ersten bis zum letzten Moment fesselt und beim ersten Durchlauf in Herz und Gehörgang verweilt, sondern trotzdem mit jedem weiteren Durchgang noch mehr von seiner Klasse offenbart. Auf der anderen Seite gibt es wenige Werke, bei denen das bloße Zuhören den Konsumenten derartig emotional fordert, ja regelrecht anstrengt, so dass er nach einer guten Stunde mit einer fast schon greifbaren Erschöpfung zurückbleibt.
Fast unüblich legt man mit den zwei längsten Stücken los, aber was heißt hier schon unüblich, auch wenn beide Songs die Zehn-Minuten-Marke mit Leichtigkeit nehmen, kommt nicht eine Sekunde Langeweile auf. Vom ersten Klang des intromäßigen Anfangs an ist der Hörer, nun, gefangen würde vielleicht zu negativ implizieren, aber zumindest doch ergriffen von der Intensität der Musik, die sowohl mit atmosphärischen Keyboards zu gefallen weiß, wie auch mit wüsten Blast Beats, epischen Melodien und ruhigen, fast sphärischen Augenblicken. Besonders großartig sind meiner Meinung nach die Arrangements, die die zahlreichen phantastischen Ideen in einer Weise in Szene setzen, die man in letzter Zeit sicher schmerzlich vermisst hat.
„Waldaura“ setzt an genau diesem Punkt an, die Songs gehen auch beinahe so ineinander über, dass man kaum merkt, dass zum einen schon fast wieder eine Viertelstunde Leben verstrichen ist, sondern zweitens auch ein ganz neuer Song beginnt. Hier verstehe mich bitte niemand falsch, die Lieder klingen als solche kein bisschen ähnlich, sondern stehen ein jedes für sich, aber man merkt einfach, welche(r) Künstler hier am Werk war / sind. Auch Titel Nummer zwei ist überhaupt nicht wahnsinnig schnell, hat dennoch seine harten Parts und verströmt eben dies, was der Titel verheißt, nämlich eine tief berührende Aura, bei der nicht viel Phantasie notwendig ist, um sich in die Welt zu versetzen, die AETHERNAEUM für den Hörer (?) geschaffen hat. Überhaupt drängt sich wie beim Debüt die Frage nach den Texten geradezu auf, denn im Gegensatz zu vielen Bands der Szene hat man doch einiges zu sagen. Die Message kommt dabei angenehm dezent rüber, aber sie ist da und offenbart sich dem Hörer, der so selber entscheiden kann, ob er die Perspektive des Protagonisten einnimmt oder lediglich die Klänge auf sich wirken lassen möchte.

Für emotionale Verschnaufpausen sorgen zwei kurze Zwischenspiele, die zwar nicht weniger intensiv daher kommen, aber dennoch für kurze Momente der Ruhe sorgen und dem Herzen die Gelegenheit geben, sich auf neue Erlebnisse einzustellen. Das durchaus kurze und extrem entschleunigte „Zur Mittwinternacht“ ist ein solches, der Gesang ist fast durchgehend geflüstert, die Geschwindigkeit liegt in einem sehr überschaubaren Bereich und dennoch fegt der Song nur so über das brach liegende Gemüt und hinterlässt Gedanken der Leere, der Sehnsucht und des Verlangens nach innerem Frieden. Sicherlich wird der kritische Geist nun Fragen zur Stilistik stellen mögen und ja, es wird hier und da recht dick aufgetragen, der Hall ist noch einmal ein Logarhythmus zum Klang im Kölner Dom, die Keyboards sind hier und da extrem in den Vordergrund gemischt, aber hier heiligt der Zweck einfach die Mittel und das Endresultat gibt AETHERNAEUM schlicht weg recht.
Dies ist auch beim letzten richtigen Song „Sonnentor“ der Fall, ein Song, der sich und seinen Spannungsbogen mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit über zehn Minuten aufbaut, ein harmonisches Keyboardintro wird bald von einer verträumten Gitarrenmelodie unterstützt, welches in einen gänsehauterzeugenden Part mündet, der schließlich die ganze Pracht dieser durch und durch epischen Nummer aufzeigt. Dass bis zum Einsetzen des Gesanges schon wieder fast zweieinhalb Minuten vergangen sind, bemerkt man eher am Rande, genauso gut könnten es zweieinhalb Sekunden oder ebenso viel Jahre sein, bei diesem Song bleibt die Zeit stehen und man hat plötzlich das Gefühl, als winziges Rädchen Teil eines ganz Großen zu sein. Die besungene neue Zeit, die sich mit dem Öffnen des Sonnentors ankündigt, kann, denke ich, jeder für sich selber mit Leben füllen, AETHERNAEUM geben nichts vor, verbieten nichts, aber geben quasi eine Hilfestellung, sich selbst ganz neu zu entdecken.

Wenn man „Wanderungen durch den Dämmerwald“ mit einem Wort beschreiben müsste, müsste man „unbeschreiblich“ wählen. So paradox es klingt, so wahr ist es auch, das Album ist die perfekte Flucht aus dem Alltag hinein in den Dämmerwald, der meiner Meinung nach nur die menschliche Sehnsucht nach einer besseren Welt sein, wie auch immer die für den einzelnen persönlich aussehen mag. Egal, ob man AETHERNAEUM nun als Black Metal oder Dark Metal mit epischen, progressiven, folkigen oder paganistischen Einflüssen bezeichnen will, hier trifft eigentlich nur eine Bezeichnung die ganze Angelegenheit wie den Nagel auf den Kopf, AETHERNAEUM machen Musik, Punkt, aus.

Wertung: 9.5 / 10

Publiziert am von Jan Müller

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