Interview mit Rick und Björn von Airu

Das Duo AIRU möchte mit einem bunten Instrumenten-Mix den Bal-Folk kultivieren. Wie sich die beiden Musiker das konkret vorstellen und welche Ideen auf ihrem Erstlingswerk „Mosaik“ bereits verwirklicht sind, das verraten Rick Krüger und Björn Kaidel in ihrem ersten Interview für ein Metal-Webzine.

Hallo ihr beiden! Ihr habt mit AIRU gerade euer Erstlingswerk „Mosaik“ veröffentlicht. Wie würdet ihr den Entstehungsprozess des Albums bis zum letztendlichen Ergebnis zusammenfassen?
Björn: Wir arbeiten eigentlich ständig neue Stücke aus und so haben wir die meisten Stücke nicht explizit für “Mosaik” erarbeitet sondern uns, als wir beschlossen haben, eine CD zu produzieren, hingesetzt und hauptsächlich Stücke ausgewählt, die uns bisher am besten gefielen. So gesehen ist das Album daher eine “Momentaufnahme”. Natürlich haben wir aber auch ein paar Stücke neu für das Album geschrieben und arrangiert.
Rick: Die eigentliche Produktion fand dann im “Studio Trad” von Jeroen Geerinck (u.a. Snaarmaarwarr, Hot Griselda) in Belgien statt. Das ist ein in der Folk-Szene sehr renommiertes Tonstudio, in dem beispielsweise auch die CDs von Naragonia und Trio Dhoore entstanden sind. Die Studioaufnahmen, Photos und Videos waren dann tatsächlich auch in knapp vier Tagen im Kasten, so dass wir einen ganzen Tag früher zurückfahren konnten, als wir ursprünglich geplant hatten.

Für alle, die euch nicht kennen: Welcher musikalischen Idee folgt ihr? Wodurch unterscheidet ihr euch von anderen Bands aus eurem Genre?
Björn: Wir spielen Bal Folk, das ist Folk-Musik mit Fokus auf Tanz. Die Tänze (und teilweise auch die Musik) sind vielen vermutlich zumindest vom Namen her aus der Pagan-Folk- oder Mittelalterszene bekannt: Andro, Polska, Slängpolska, Hanter Dro… das sind alles Tänze, die auch heute noch getanzt werden, was wir auch lange Zeit nicht wussten. Die Szene entstand hauptsächlich in Frankreich, hat sich dann aber recht bald über ganz Europa verbreitet. Die Musik entstammt ursprünglich traditioneller Musik, also quasi “Volkstanz”, deckt heute aber eine riesige Bandbreite von ganz traditionell bis hin zu Hiphop-Crossovers ab.
Rick: Unsere Idee war anfangs, ein Projekt mit Musik aus alten deutschen Musikhandschriften (Zeitraum 17.-19. Jahrhundert) zu starten. In den letzten Jahren werden immer mehr solche Handschriften (wieder-)entdeckt und diese enthalten wunderbare Musik. Das wollten wir gern nach außen tragen. Einfach um zu zeigen, dass es auch hier spannende traditionelle Musik und nicht nur klischeehaftes Musikantenstadl-Gedudel gibt. Es gibt zwar mittlerweile einige Bands, die diese Musik spielen, aber das ist eine ganz kleine Subszene. In Skandinavien hat man sich schon in den 70er Jahren intensiv mit den dortigen Handschriften befasst, was beispielsweise ein Grund dafür war, dass die Polska wieder so populär wurde. Wir haben dann aber schnell festgestellt, dass wir beide die eigenen Kompositionen des jeweils anderen sehr mochten und so spielen wir mittlerweile einen Mix aus unseren eigenen Stücken und ebensolchen alten Melodien.
Björn: Was uns wohl am meisten von anderen Bands unterscheidet sind die Instrumentenkombinationen, mit denen wir spielen. Dadurch dass wir beide mehrere Instrumente spielen, haben wir eine Vielfalt an Optionen, etwa Nyckelharpa plus Schäferpfeife oder Gitarre plus Concertina, was beides eher selten im Duo gespielt wird und ganz verschiedene Klangfarben erzeugt.

(c) Jeroen Geerinck

Wie habt ihr zwei euch kennengelernt und dann entschieden, neben euren anderen Projekten zusammen Airu zu gründen?
Björn: Wir sind auf unseren Instrumenten hauptsächlich Autodidakten, weil es sehr schwer ist, in Deutschland Privatunterricht für Nyckelharpa oder Schäferpfeife zu finden. Es gibt aber eine ganze Menge Workshops und Festivals rund um diese Instrumente und da sind wir uns immer wieder über den Weg gelaufen. Nachdem wir auf einigen Sessions beim “Spielkurs Mühlhausen” 2016 gemeinsam gespielt haben und gemerkt haben, dass es sehr gut harmoniert, haben wir uns kurz danach entschieden, ein gemeinsames Projekt zu starten.

Wie ist die Rollenverteilung bei euch und wer wirkt im Hintergrund noch an Airu mit?
Rick: Wir haben keine feste Rollenverteilung. Jeder von uns bringt Ideen und neue Stücke ein, die wir dann gemeinsam arrangieren. Auch im Hintergrund arbeitet niemand für uns, wir sind da eine pure Indie-Band wie sie im Buche steht. Booking, Social Media, YouTube, unsere Website etc. – darum kümmern wir uns alles selbst. Wir haben aber einige gute befreundete Musiker/innen, die wir immer mal wieder für Feedback heranziehen können, was sehr wertvoll ist.

Wer oder was sind eure größten Inspirationen?
Björn: Wir denken, dass wir unseren ganz eigenen Sound haben, aber gerade die Folkszenen in Schweden, Belgien und Holland haben einen großen Einfluss auf uns. Bands wie Garmarna, Zirp, Naragonia oder Trio Dhoore haben uns stark geprägt. Der Musiker, der uns beide bei Airu am meisten inspiriert, dürfte Toon van Mierlo von Naragonia sein.
Rick: Jeder von uns hat natürlich auch ganz eigene Vorbilder. Björn ist durch seinen Fokus auf die Nyckelharpa und regelmäßige Musikreisen nach Schweden beispielsweise sehr stark von schwedischen Musikern/innen wie Josefina Paulson beeinflusst. Für mich sind es spielerisch definitiv Musiker wie Matthias Branschke, Remi Decker und Christoph Pelgen, kompositorisch ist aber Andy Cutting definitiv ein starker Einfluss.
Björn: Was uns inspiriert ist dagegen schwierig auf einen Punkt zu bringen. Das kann alles mögliche sein, von spontanen Ideen beim Jammen bis hin zu verrückten Erlebnissen mit Freunden oder bei Konzerten. Musikalisch lassen wir uns nicht nur vom Folk inspirieren, ich habe mir beispielsweise ganz konkret ein paar Tricks von Djent-Gitarristen abgeschaut und dann für uns angepasst.

(c) Ward Dhoore

Viele Bands, die akustisch begonnen haben, sind später in der Anzahl der Musiker gewachsen oder auch in der stilistischen Ausrichtung beispielsweise perkussiver geworden. Wollt ihr Airu zu etwas „Größerem“ weiterentwickeln oder eher als musikalisches Kleinod belassen?
Björn: Airu möchten wir gern als Duo belassen. Das Duo-Format ist für uns etwas besonderes und bietet sehr interessante Möglichkeiten. Man muss sehr genau miteinander spielen, sehr feinfühlig auf den anderen eingehen. Zusätzlich lieben wir es, aus der Zweierkombination einen möglichst “großen” Sound rauszukitzeln, obwohl wir nur zwei Instrumente gleichzeitig zur Verfügung haben. Das ist zwar herausfordernd, aber musikalisch sehr reizvoll und inspirierend. Wir können uns aber vorstellen, zukünftig unter anderem Namen noch etwas mit weiteren Musikern zu machen…
Rick: Wie sich unser Stil in Zukunft weiterentwickelt ist schwierig zu sagen. Wir lassen uns da alle Optionen offen und probieren auch ständig neue Ideen aus.

Ihr habt euren instrumentalen Stücken so klangvolle Namen wie „Spaghetti mit Cornflakes“ oder „Gepresster Tofu“ gegeben. Könnt ihr uns verraten, wie es dazu kam?
Björn: Es ist nie so wirklich vorhersehbar, wann einen die Inspiration für ein neues Stück packt. Bei “Spaghetti mit Cornflakes” war es das merkwürdig sortierte Frühstücksregal bei Bekannten von Rick, bei “Gepresster Tofu” ein gelungenes Kochexperiment von mir mit eben diesem. Da wir instrumental spielen, ist es häufig gar nicht so einfach einen Titel für ein neues Stück zu finden, es gibt ja keinen Text, an dem man sich orientieren könnte… wenn man dann ausnahmsweise klar die Inspirationsquelle nennen kann, ist das schon erleichternd.

Gibt es Stücke, die euch besonders am Herzen liegen und vielleicht eure Vorstellung von Airu am besten wiedergeben?
Rick: Da würden wir “B. Disoriented Rex” und “Dimmapolskan” nennen. „B. Disoriented Rex“ zeigt eher die rockige und groovige Seite und bei „Dimmapolskan“ wird es dann etwas sanfter und nachdenklicher. Die beiden Stücke spiegeln ganz gut unseren Klangkosmos wieder, weshalb wir auch für beide In-Studio-Videos produziert haben.

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Steht hinter dem Album ein Gesamtkonzept oder ist es mehr eine Ideensammlung rund um modernen Bal Folk?
Björn: Es ist kein Konzeptalbum in diesem Sinne, aber die Stücke haben wir dennoch sehr genau aus unserem Repertoire ausgewählt. Wichtig war es uns eine ausgewogene Mischung der zugrundeliegenden Tänze und unsere Bandbreite an verschiedenen Klängen auf der CD zu haben.

Welche Instrumente und Klänge könnt ihr euch im Airu-Kosmos noch vorstellen?‘
Björn: Rick hat jetzt seit paar Wochen eine neue Säckpipa, das ist ein schwedischer Dudelsack mit einem ganz besonderen Klang, den wir beide wahnsinnig mögen. Daher wollen wir sie auf jeden Fall in unser Airu-Instrumentarium aufnehmen. Ansonsten spielen wir beide noch sehr viele andere Instrumente, beispielsweise Flöten, Drehleier oder Rahmentrommeln. Aktuell haben wir keine konkreten Pläne, aber mal sehen, was sich da noch ergibt. Die Kombination Nyckelharpa und Concertina haben wir erst kurz vor den Studioaufnahmen ausprobiert, sodass wir nur ein Stück in dieser Besetzung aufnehmen konnten. Da uns dieser Sound aber echt gut gefällt, wird es auch davon in Zukunft mehr zu hören geben.

Gibt es etwas an „Mosaik“, mit dem ihr nicht zufrieden seid?
Rick: Wir sind sehr zufrieden mit dem Album, da wir gefühlt sehr gut getroffen haben, was Airu aktuell für uns bedeutet. Da wir uns aber beide weiterentwickeln, sowohl was Fähigkeiten auf unseren Instrumenten angeht als auch unser Zusammenspiel, denken wir, dass eine weitere CD zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich ganz andere Facetten unserer Musik erfassen wird. Ganz konkret würden wir bei einem weiteren Album wohl ein, zwei mehr Stücke in Dur aufnehmen. Auch, dass wir es zeitlich nicht mehr geschafft haben mehr Stücke mit der gerade eben angesprochenen Kombi Nyckelharpa plus Concertina vorzubereiten finden wir schade, aber man muss sich ja auch etwas aufheben!

Wie war die Resonanz auf euer Erstlingswerk und eure Live-Auftritte bisher?
Björn: Bisher äußerst positiv, worüber wir sehr glücklich sind! Die ersten zwei Release-Auftritte haben sehr viel Spaß gemacht, wir freuen uns, wenn es im Spätsommer weitergeht!

(c) Ward Dhoore

Wie herausfordernd ist es für euch, mit eurer Musik mehr gehört oder auch von Medien beachtet zu werden – und ist euch das überhaupt wichtig?
Rick: Bal Folk ist eine ziemliche Nischenmusik und das ist Folk an sich ja auch schon. Da ist es durchaus sehr schwierig außerhalb der eingeschworenen Szene wahrgenommen zu werden. Wir sind daher auch sehr glücklich über dieses Interview! In unseren Nachbarländern Frankreich, Holland und Belgien ist die Szene wesentlich größer und auch noch stärker durchmengt, bspw. gibt es auch beim Castlefest und ähnlichen Veranstaltungen Möglichkeiten Bal Folk zu tanzen und auch die Tänze zu lernen. Wir wünschen uns, dass Bal Folk bekannter wird, denn wir lieben einfach diese Musik, die Szene ist voll mit wunderbaren Menschen und nicht zuletzt macht das Tanzen einfach unglaublich viel Spaß, weil alles so ungezwungen ist.

Wo und mit wem würdet ihr gerne einmal auftreten?
Björn: Wir würden sehr gern irgendwann mal auf den richtig großen Bal Folk-Festivals spielen, etwa dem Boombalfestival in Belgien oder Le Son Continu in Frankreich. Hier in Deutschland gibt es aber natürlich auch schöne Folk-Festivals die noch auf unsere Wunschliste stehen, etwa das Rudolstadt Festival oder das TFF Berlin. Ebenfalls würden wir sehr gern mehr Konzerte zum Zuhören spielen.
Rick: Die Frage, mit wem wir gern mal auftreten würden, ist durch unsere Vorbilder eigentlich schon ganz gut beantwortet. Dabei ist aber das schöne an der Folkszene, dass alle sehr kollegial sind und sich neben den eigentlich Auftritten davor oder danach immer wieder Sessions ergeben. Da kann es leicht passieren, dass man auf einmal direkt neben einem seiner “Idole” sitzt und mit ihm oder ihr jammt, was auch schon einige Male passiert ist. Daher freuen wir uns auch auf unsere kommenden Festival-Termine, denn da spielen wir mit einigen spannenden Bands.

(c) Jeroen Geerinck

Spielt ihr lieber in Clubs oder auf Open-Air-Bühnen?
Björn: Eigentlich egal, es hat beides seinen ganz eigenen Reiz!

Habt ihr irgendwelche Zeremonien vor einem Liveauftritt?‘
Rick: Keine besonderen… wir mischen uns aber gern vor den Auftritten unter das Publikum, um schonmal zu sehen, wer so da ist.

Vielen Dank für eure Zeit und Antworten – zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Dudelsack zu Hause üben:
Rick: Kommt auf den Dudelsack an. Und auf die Nachbarn – vielen Dank an meine doch sehr toleranten Exemplare! Allgemein spiele oich seit einiger Zeit primär die etwas gemäßigtere Schäferpfeife, die doch bedeutend angenehmer von der Lautstärke ist als bspw. Marktsäcke oder die “klassischen” Great Highland Bagpipes aus Schottland.
Mein lustigstes Markterlebnis:
Rick: Wir haben bisher noch nicht auf einem Mittelaltermarkt gespielt – zumindest nicht als Airu, ich bin regelmäßig mit verschiedenen Bands dort unterwegs. Aber wir antworten mal frei mit einem Festivalerlebnis: Beim Klangrauschtreffen in Norddeutschland 2017 gab es ein spontanes Avantgarde-Konzert gegen 4 Uhr morgens, kurz vor Sonnenaufgang, bei dem zwei Drehleierspieler die Grenzen ihrer Instrumente ausgelotet und die letzten verbliebenen Tänzer nochmal alles gegeben haben. Da wären auch Drone-Metal-Fans auf ihre Kosten gekommen!
Welches Traditional ich nicht mehr hören kann:
Rick: Schwierig! Meistens werden die viel gespielten Traditionals ja viel gespielt, weil sie verdammt gut sind. Es ist natürlich schade, dass der restliche Schatz an traditionellen Stücken ignoriert wird, aber das macht die viel gespielten Stücke an sich ja nicht schlechter.
Festival Mediaval:
Björn: Tolles Festival mit einer super Atmosphäre. Könnte aber etwas Bal Folk vertragen.
Bandcamp:
Björn: Für uns eine gute und faire Möglichkeit unsere eigene Musik anzubieten, aber auch um andere spannende Bands zu entdecken. Sehr empfehlenswert!
Das nächste Airu-Album:
Björn: Sagen wir mal so… wir haben mehr oder weniger direkt nach den Studioaufnahmen 8 neue Stücke geschrieben und arrangiert. Rein musikalisch könnte das also schnell gehen. Jetzt wollen wir aber erstmal Mosaik auf die Folk-Welt loslassen!
Metal1.info:
Rick: Spannendes Online-Metal-Magazin mit Blick über den Tellerrand und Interviewpartner für unser erstes Interview in einem Metal-Magazin!

(c) Ward Dhoore

Die letzten Worte gehören euch …
Rick: Vielen Dank für das Interview! Wir würden uns auf jeden Fall sehr freuen, euch und eure Leserschaft mal bei einer Bal Folk-Veranstaltung oder auch einem Metal-Konzert anzutreffen! Wir blicken ja auch gern mal “über den Tellerrand”! Björn findet beispielsweise die neuen Alben von Amorphis und The Contortionist grandios!

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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