Interview mit Anna Katharina Kränzlein

Puchheimer Jugend-Kammerorchester, bayerisches Landesjugendorchester, Preise bei „Jugend musiziert“, Schandmaul und seit Mai diesen Jahres ein Geigendiplom. ANNA KATHARINA KRÄNZLEINS bisherige musikalische Laufbahn liest sich wie aus dem Bilderbuch. Mit ihrer ersten eigenen CD „Neuland“ zeigt sie sich von einer anderen Seite und entdeckt auf eigene Faust bisher unbekannte Pfade zwischen alt und neu, zwischen traditionell und fortschrittlich sowie zwischen „biederer“ Klassik und schwungvollem Geigenspiel.

Keinen Bock zum Lesen? Dann lausche doch dem der lieblichen Stimme von Anna und dem ollen Sigi (ca. 21 Minuten, 19 MB) mit einem Klick hier.

Du hast nach eigener Aussage zwei Jahre gebraucht für die Verbindung aus Klassik und Moderne. Wie hast du es letztendlich geschafft, der Klassik ein für dich zeitgemäßes Outfit zu verpassen und was sind die Hauptmerkmale deiner Interpretationen?
Im Prinzip bin so vorgegangen, dass ich von einem klassischen Stück die Hauptsolostimme genommen und die Begleitung bzw. das Arrangement dazu modern verändert habe. Dadurch ist die Verbindung entstanden, da ich in der Solostimme die Klassik habe und in der Begleitung andere Einflüsse, wie z.B. Folk, Jazz und viele weitere, die mir aus dem Bauch heraus eingefallen sind.

Hattest du dabei musikalische Vorbilder, die das schon einmal vor dir gemacht haben, oder war das eine spontane Idee von dir, die Hauptstimme zu lassen und selbst etwas dazu zu dichten?
Es gibt diverse Interpreten, die das schon gemacht haben. Ich bin nicht die erste, die versucht, eine Geige in ein modernes Gewand zu packen, wie es z.B. Vanessa Mae mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ gemacht hat, wobei sie es im Gegensatz zu mir sehr durch Pop und mit Hilfe eines Orchesters bombastisch aufgemotzt hat. Bei mir ist die Begleitung sehr klein gehalten: Ich beschränke mich auf eine Quartettbegleitung bestehend aus 3 Streicherstimmen und einem Bass oder Schlagzeug. Dadurch wird es sehr durchsichtig und klar.

Haggard ließen im Metal klassische Elemente in ihre Musik einfließen. Deine Lakaien haben Klassik mit Elektronik in Verbindung gebracht. Außerdem steigt die Beliebtheit von Akustikprojekten wie z.B. euer Kunststück oder Subway to Sally mit der Nackt-Tour. Wie ist deine Meinung zu diesen Projekten? Was ist noch denkbar in dieser Richtung?
Das ist alles sehr unterschiedlich gelaufen. Ich kenne mich selbst zu wenig aus, um konkret sagen zu können, dass mir dies und jenes auffällt. Aber manche arbeiten mit Orchesterstimmen im Vordergrund, während andere die Streicher als „Synthieersatzbegleitung“ ansehen und mit ihnen Keyboardflächen machen. Was man in unserem Falle noch machen könnte, wäre neben einem normalen Streichorchester ein klassisches Symphonieorchester mit Blechbläsern hinzu zu ziehen. Metallica haben das natürlich auch schon gemacht, insofern nichts Neues. Man muss wohl für sich selber gucken: ich glaube, dass diese neue Verbindung dadurch entsteht, dass man seine eigene Musik mit der Klassik mixt. Deswegen sind diese Projekte auch so unterschiedlich, da alle ihren eigenen Stil einfließen lassen.

Wie gefallen dir persönlich Haggard und Deine Lakaien?
Haggard habe ich zwei Mal live gesehen und fand’s super. Ich steh drauf, wenn man sich z.B. einer klassischen Frauenstimme, dem Klang einer Oboe oder was die Klassik sonst noch zu bieten hat bedient. Ich denke, dass die Verbindung sehr gut möglich ist und gut reinpasst in das Moderne. Natürlich höre ich mir auch gern harte Musik an, aber wenn es ständig nur *duschduschdusch* geht, dann brauch ich eine Verschnaufpause. Wenn es allerdings zwischenzeitlich melodiös aufgemotzt wird, dann ist das für jemanden wie mich noch schöner.

Wie groß dein persönlicher Einfluss beim Kunststück vom Punkt der klassischen Musik aus?
Für das Arrangement habe ich mir z.B. eine Bratsche gekauft, da ich das selber ausprobieren wollte. Ich bin jemand, der aus dem Bauch heraus Stimmen komponiert und erfindet, aber ich will es selbst ausprobieren. Ich singe es mir nicht im Kopf vor und spiel es auf dem Keyboard, um zu sehen, ob es auf der Geige funktioniert. Das geht nicht. Man muss am Instrument selber sehen, wie es klingt und wie es zusammenpasst. Insofern war mein Einfluss beim Kunststück recht groß, da ich eben Geige und Bratsche spiele. Diese Stimmen habe ich geschrieben und ansonsten habe ich sehr viel mit Thomas gemacht. Das lief ähnlich wie hier: Ich war im Aufnahmeraum und er saß drüben in der Regie und sagt: Hey, die Melodie könnte da noch eher hoch oder eher runter. So hat das ganz gut funktioniert.

Trennst du generell deine Arbeit bei Schandmaul strikt von der Klassik oder gibt es Überschneidungen?
Eigentlich muss man es vollständig trennen, da selbst das Geige spielen bei Schandmaul auf der Bühne ganz anders ist. Wenn wir auf Tour sind, übe ich jeden Tag 2 Stunden Klassik, damit ich das, was ich auf der Bühne verschlampe, wieder zurückhole und meine Technik behalte. Dadurch ist letztendlich die CD entstanden, da bei mir der Wunsch da war, dies noch mehr zu verbinden. Ich wollte die Sachen an der Klassik, die mich so gestört haben, aufweichen – also, das „Verbiesterte“ und auch die Konzerte, wo das Publikum ganz starr dasitzt und einen buchstäblich mit den Augen auffrisst, so dass man selbst denkt: Hilfe, bloß kein falscher Ton. Das wollte ich ändern.

Warum spielt Matthias von Schandmaul den Bass, aber Stefan nicht das Schlagzeug, sondern Curt Cress?
(lacht) Ja, darauf werde ich öfters erbost angesprochen. Ich halte von Stefan als Schlagzeuger ungemein viel, darum ging es nicht. Es war keinesfalls zu schlecht oder weiß Gott was. Ich hab einfach das Angebot von Curt bekommen und ich denke, dass mir das einmal im Leben passiert. Da wäre ich schön blöd gewesen, wenn ich es nicht angenommen hätte.

Einige Lieder deiner CD waren Teil deines Geigendiploms. Haben sich an dieser Stelle Spaß und Arbeit ergänzt oder hast du das getrennt?
Insgesamt besteht mein Beruf aus Spaß und Arbeit. Das gehört einfach zusammen. Wenn mir das Arbeiten keinen Spaß machen würde, könnte ich nicht weitermachen. Was das Diplom betrifft, hat es mir insofern sehr geholfen, dass sich mein Gefühl zu einigen Stücken geändert hat, nachdem ich sie anders arrangiert und aufgenommen habe, da ich eine ganz andere Sichtweise dafür entwickelt habe. Das waren auch die Stücke, die ich danach am leichtesten wieder klassisch spielen konnte, da diese eine gewisse Lockerheit hatten. Ich wusste ganz genau: Ah, auf Platte kommt nun das Schlagzeug, doch jetzt ist es das Klavier.

Vier von neun Liedern auf „Neuland“ sind Eigenkompositionen von dir, d.h. fast die Hälfte. Welchen Stellenwert haben sie für dich?
Die sind insofern ganz interessant, da man sagen kann, dass es das erste Mal „Ich pur“ ist. Wenn ich bei Schandmaul etwas komponiere, dann rutscht meine Band drüber – wir sind zu sechst und da kann man nicht sagen: Einer hat einen Song gemacht, sondern wir machen ihn zusammen. Bei „Neuland“ war es so, dass diese 4 Stücke nur aus mir entstanden sind. Es war interessant, diesen Entwicklungsprozess von Anfang bis Ende zu sehen und auch das Ergebnis.

Viele Begleitstimmen hast du selbst geschrieben wie z.B. die Begleitung bei „Czardas“. Inwieweit darf sich ein Künstler vom Original entfernen, ohne es zu entfremden?
Ich glaube, dass dieses starre An-den-Noten-hängen-bleiben in gewissen Phasen des Lernens mit Sicherheit gut ist. Aber auch zu Zeiten von Mozart und Beethoven hat man improvisiert, was inzwischen total verloren gegangen ist. Damals sind die Künstler auf die Bühne gegangen und haben eine Kadenz improvisiert oder rumgespielt. Das gibt es heute leider nicht mehr. Deswegen sollte man die Klassik so in die Moderne holen, dass man wieder lockerer damit umgeht. Man sollte wieder gucken, was man aus den einzelnen Stücken herausholen und wie man sie interpretieren kann. Viele Stücke werden tausendfach auf gleiche Weise von jedem gespielt. Es ist immer irgendwo das Gleiche. Warum sollte man nicht sein eigenes daraus machen?

Kannst du dir vorstellen, auf Solobasis Stücke mit Gesang selber zu schreiben? Bei Schandmaul stammt u.a. der Text zu „Mitgift“ von dir.
Das weiß ich nicht, da ich klassischen Gesang mache und lerne. Der ist selten deutsch, sondern meistens italienisch und französisch. Deutsch in der Klassik zu singen ist für mich schwierig, da die Sprache nicht viele Vokale hat und es dann nicht so schön klingt. Trotzdem bin offen für alles, was kommt. Ich kann jetzt nicht generell ja oder nein sagen.

„Dügün“ klingt wie ein türkisches Hochzeitslied. Besitzt du zur Türkei eine spezielle Verbindung oder entstand das Lied ebenfalls aus dem Bauch heraus?
Nein, da gibt es insofern keine Hintergründe, da ich nicht sagen kann, dass dies oder jenes der Ursprung dafür ist. Ich höre unglaublich gerne Musik und nehme das wahrscheinlich anders wahr. Als Musiker hört man sich nicht einfach Lieder an und denkt sich: „Ach, ist das schön!“, sondern überlegt sofort, was da mitspielt und beginnt zu analysieren. Das ist mir auch so und ich weiß nicht genau, woher der Ursprung zu diesem Stück stammt. Aber irgendwo kam da sicher der Anstoß, denke ich.

Ihr seid sehr in der Musiktherapie engagiert: Kann man mit Stücken wie „Dügün“, der „Bergkönigin“ oder auch „Amelie“ blinden Menschen gewisse Stimmungen oder sogar Bilder vermitteln?
Ich glaube, dass man mit den Bildern und Geschichten noch freier zu sehen ist. Es ist das, was ich mir darunter vorstelle. Es birgt die Gefahr, dass man sich das Booklet durchliest und erfährt, was es ausdrücken will und dann sofort selbst die gleiche Assoziation hat. Vielleicht wäre es besser, sich ein Stück einfach anzuhören und z.B. einen Blinden zu fragen, was er sich dabei denkt und welche Bilder er im Kopf entwirft.

Damit hast du keine Erfahrungen gesammelt, oder?
Nein.

Bei wem hast du Gesangsunterricht für Lieder wie „Carmen“ genommen?
Den Unterricht dafür habe ich bei einer Gesangsstudentin genommen, als ich noch in Würzburg gewohnt habe. Jetzt habe ich in Puchheim Privatunterricht.

„Carmen“ und „Che faro“ handeln von der Liebe, auch bei deinen Eigenkompositionen schwingt viel Romantik und Melancholie mit. Ist das Zufall oder gewollt?
Zufall (lacht). Was heißt Zufall? Doch, schon.

Spiegelt das den Menschen Anna Kränzlein ein bisschen wieder?
Die Stimmung zu der Zeit vielleicht. Man verändert sich und es gibt Phasen im Leben, da merke ich selber, dass ich schlecht drauf bin und dann geht gar nichts oder es geht in die Düsterecke. Ich kann nicht sagen, dass das für immer gilt.

Kann es also sein, dass du ein 2. Album machst, auf dem die Stimmung der Lieder anders ist?
Ja. Dann mache ich nur noch Metal…(lacht)

Was drückt für dich „Neuland“ aus persönlicher und musikalischer Sicht aus?
Für mich war es total spannend. Ich habe mit diesem Projekt begonnen und wusste nicht, was es wird, wo der rote Faden ist und ob es Sinn ergibt, das zu machen. Irgendwann war dann klar, wo die Verbindung ist und wie es weitergeht. Ich wusste vorher einfach nicht, was hinterher passiert. Das ist das Überraschende gewesen.

Bist du im Laufe des Projektes auf unerwartete Schwierigkeiten oder Hindernisse gestoßen, wo du deine Entscheidung in Frage gestellt hast?
Überraschende Wendungen hat es gegeben, als Schlagzeug und Bass dazu kamen. Ich habe z.B. Matthias nicht vorgeschrieben, dass er die und die Stimme spielen soll – er ist Bassist, er kann das besser als ich. Damit verbunden war dann ein Aha-Effekt für mich, da ich gesehen habe, wie sich meine Arrangements ändern, wenn er dazu stößt und eine ganz schräge Harmonie darunter legt. Das gilt ebenso für das Schlagzeug. So haben die Stücke immer ein ganz neues Gesicht bekommen. Das waren im Großen und Ganzen die Veränderungen, aber negative fallen mir gerade keine ein.

In eurem Genre gibt es viele Geiger und auch in der Musikwelt allgemein. Was hältst du z.B. von Tobi von Fiddlers Green oder die von dir angesprochene Vanessa Mae?
Vor Tobi Hut ab, er spielt meiner Meinung nach supergut. Da spürt man einfach, dass er Musiker ist. Das kommt aus dem Herzen. Er spielt hauptsächlich Folk – das ist sein Gebiet und das kann er.
Zu Vanessa Mae: Von der bin ich weniger begeistert, da sie für mich so eine Art Stempel aufgedrückt bekommen hat. Sie muss die verführerische Frau sein, die toll Geige spielt und im durchsichtigen Nachthemd im Fluss steht. Und bei den ganzen Sachen, die sie spielt, weiß man nie, was wirklich von ihr kommt, ob sie das spielen will und was sie live überhaupt echt spielt. Für mich ist das alles nur ein Bild und ich weiß nicht, was dahinter steckt.

Wie war das Feedback auf deine CD bandintern und aus der übrigen Musikwelt?
Bandintern habe es natürlich alle mitbekommen, da Thomas „Neuland“ produziert hat und Matthias Bass spielt. Mit Stefan ist es etwas blöd gelaufen, da ich ihn anfangs tatsächlich gefragt habe, ob er Schlagzeug für mich spielen möchte. Nach meinem Rückzieher dachte ich schon, er sei beleidigt. Aber nach den Aufnahmen wollte er sofort eine CD und dann hat er behauptet, dass sie bei ihm auf Dauerschleife gelaufen ist. Es war richtig begeistert. Das sonstige Feedback war sehr vielfältig: Meine Schwester hatte z.B. ein 4-jähriges Mädchen zum Babysitten da. Die hat gespielt und als bei „Czardas“ das Schlagzeug einsetzte, sprang sie auf und tanzte plötzlich durch das Zimmer. Das sind so Beispiele, wo ich mir denke: „Cool, wenn ein Kind darauf abgeht, dann kann das nur gut sein.“ Das hat mir echt viel bedeutet. In einer Kritik stand auch, dass es einen mit den Schwiegereltern am Frühstückstisch wieder versöhnen kann. Das fand ich ganz lustig und treffend. Unsere Elterngeneration findet es super und trotzdem ziehen die in meinem Alter auch den Hut und sagen: „Hey, cool, das ist etwas Schönes!“

Ist das so die Verbindung zwischen Schandmaul und Klassik, die man herstellen kann, um mehr Menschen anzusprechen?
Ich glaube, dass die Schnittmenge Schandmaul/Neuland noch ein bisschen mehr in die Richtung zu Leuten geht, die vorwiegend Klassik hören.

Glaubst du, dass das auf den Hörerkreis von Schandmaul Auswirkungen haben könnte?
CD-technisch könnte ich es mir schon vorstellen. Live ist es schwieriger, da es da noch ein bisschen mehr scheppert und kracht. Natürlich hat es etwas miteinander zu tun, da ich von Schandmaul auch ein Sechstel bin.

Könntest du dir vorstellen, dass du ausgehend von deinem Klassikprojekt und deinen gesammelten Erfahrungen zukünftig mehr oder andere Einflüsse zu Schandmaul beiträgst?
Wir achten schon drauf, dass wir das zu sechst durchziehen bzw. es ergibt sich so. Wir machen ja gerade bei Schandmaul ein neues Album und haben letzte Woche geprobt. Da ist so, dass ich zwar mit einer Idee ankommen kann, aber die bleibt nicht so. Da rutschen die anderen 5 drüber und sie verändert sich noch einmal. Natürlich gibt jeder, was er hat – aber ich glaube nicht, dass es in meinem Fall jetzt mehr wird.

Möchtest du mit deinem Klassikprojekt und einer kleinen Band auf Tour gehen?
Das ist natürlich eine Frage der Zeit (grinst). Ich kriege es derzeit nicht auf die Reihe, das mit einer Band aufzuziehen. Momentan habe ich einfach Schandmaul als Band und nebenher mache ich sehr viel klassisch mit meiner Pianistin zusammen. Wir spielen auch Konzerte, ich muss selbst viel üben, für Schandmaul Stücke schreiben, darf Drehleier und Gesang nicht vernachlässigen – irgendwann weiß man dann nicht mehr, wo oben und unten ist. Es geht schlichtweg im Augenblick nicht.

Vielen Dank für das Interview!

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